»Eine magnetische Persönlichkeit«

Otis Redding brachte mit seinen Auftritten nicht nur Hippies an den Rand der Ekstase. Vor 80 Jahren wurde der Soul-Sänger geboren

  • Thomas Grossman
  • Lesedauer: 6 Min.

Es sollte eine kurze Tournee durch drei Städte der USA werden. Der aufstrebende afroamerikanische Musiker Otis Redding (1941-1967) und seine Begleitband, die Bar-Keys, unternahmen sie im Dezember 1967. Die Stationen waren Nashville (Tennessee), Cleveland (Ohio) und Madison (Wisconsin). Die Bar-Keys waren blutjung, aber bereits auf dem Wege zu einer anerkannten Band des schwarzen Platten-Labels Stax. Nach Auftritten in Nashville und Cleveland flogen die Musiker mit der zweimotorigen Beechcraft-Maschine, die Otis Redding gehörte, zur letzten Station - nach Madison. Am 10. Dezember stürzte die Maschine - bei Nebel und heftigem Regen - etwa sechs Kilometer vor dem Ziel in den vereisten Monona-See. Redding, der Pilot, der Manager und vier Mitglieder der Bar-Keys starben. Nur Trompeter Ben Cauley überlebte, sich an ein Wrackteil klammernd.

Otis Redding wurde vor 80 Jahren, am 9. September 1941, in der Kleinstadt Dawson (Georgia), einer Baumwollgegend, geboren. So schildert es Geoff Brown in seinem Buch »Otis Redding - Try A Little Tenderness«. Vater Redding war Pfarrer in der örtlichen Kirche. Als Otis drei Jahre alt war, zog die Familie in das 150 Kilometer entfernte Macon (Georgia) - eine Stadt, die für »Soul« stand. Denn hier begannen auch Little Richard und James Brown ihre Karrieren.

»Soul war die bittere Frucht der Segregation«, der Trennung zwischen Schwarzen und Weißen, schreibt der USA-Musikkritiker und Autor Peter Guralnick. Als die Musik »dann den Weg aus dem Untergrund fand, wurde sie fast zum festen Begleiter der schwarzen Bürgerrechtsbewegung ... Ihre Popularität war gleichsam ein Spiegelbild des sozialen Wandels, der überall zu spüren war.«

Otis sang im Kirchenchor, begann zu trommeln, Klavier zu spielen, bald auch eigene Songs zu schreiben. Nach dem Ende der Schule arbeitete er in einer Tankstelle und half Brunnen zu graben. Bei einem Gesangs-Talentwettbewerb gewann er 15 Wochen hintereinander mit einem Song von Little Richard - in der 16. wurde er nicht mehr zugelassen. Bald ging er mit den Upsetters, der Band von Little Richard, auf Tour. Bei einer Party lernte der 18-Jährige die 15-jährige Zelma kennen. Er rief ihr ein »Hello, Baby« hinterher, das sie mit einem »Ich bin nicht dein Baby!« quittierte. Doch nach einer Weile wurden sie ein Paar.

In Memphis (Tennessee), 750 Kilometer von Macon entfernt, hatte Stax, neben dem berühmten Label Motown das beste Studio und der beste Verlag für schwarze Soul-Musik, seinen Sitz. Wobei der Memphis-Soul meist rauer und schwerer war als der von Motown. Auch Redding nahm seine ersten Songs bei Stax auf. Zunächst ohne Erfolg. Doch nach einem Abstecher ins Apollo Theater in New York kamen die Dinge ins Laufen. Die Hits wurden größer, die Tourneen ausgedehnter.

1964 wurde bei Stax die erste LP von Redding, »Pain In My Heart«, veröffentlicht - in einigen US-Staaten erfolgreich. Wayne Jackson, Trompeter bei Stax, sagte: »Otis war von Anfang an magisch. Er hatte eine so magnetische Persönlichkeit. Er verströmte Glücklichkeit.« Und Booker T. Jones, Frontmann von Booker T. Jones & the M.G.’s, meinte: »Reddings Stimmumfang war nicht so toll. Aber er konnte Gefühle transportieren, und da kam seine Physis ins Spiel, weil er ein so kräftiger Mann war. Er wirkte wie ein Profiboxer, der auf seinen Kampf wartet.« Die nächste LP, »The Soul Ballads Album« (1965) wurde bereits in Stereo aufgenommen. Das erste Lied, ein Cover, hieß »That’s How Strong My Love Is« und wurde sogleich von den Rolling Stones übernommen. Mehrere Songs stammten von Otis selbst - der einmal in zwei Monaten 30 Lieder schrieb. Eigentlicher Durchbruch jedoch wurde die dritte LP »Otis Blue« (1965), die noch heute als eines der besten Alben der Rockgeschichte gehandelt wird. Drei Lieder darauf stammen von Sam Cooke, der nur Monate zuvor in einem Hotel von einer weißen Angestellten erschossen worden war, ein Schock für die Soul-Community.

Doch das wichtigste Lied des Albums ist »Respect«, das in der Version von Aretha Franklin zwei Jahre später eine stolze Hymne der Afroamerikaner werden sollte. Redding brauchte zwanzig Minuten, um den Song zu arrangieren und nur einen Take, um ihn aufzunehmen. »Otis war wirklich ein Genie«, sagte Wayne Jackson: »Wenn er ins Studio kam, hatte er alle Songs im Kopf. Er wusste die meisten Bläsermelodien, Basslinien, Gitarrenläufe, alles ... Auf der Gitarre konnte er (damals) jedoch noch nicht einmal ein C greifen. Also sang er nur die Worte und summte die Bläserlinien und klopfte den Rhythmus.« Bis zum Jahr 1966 hatte Redding sein Liveprogramm zu einer guten Show ausgebaut. Größere Konzerterfolge feierte er zunächst in Europa. Vor allem in Großbritannien, wo er 1966 und 1967 mehrmals auftrat. Redding war der Star dieser »Stax-Tour«. Er wurde so beliebt, dass er in der britischen Musikzeitschrift »Melody Maker« zum besten männlichen Sänger gewählt wurde und Elvis Presley verdrängte. Dieser hatte die Position zehn Jahre lang innegehabt.

Doch der größte Erfolg war der Auftritt von Redding auf dem Monterey Pop Festival in Kalifornien im Sommer 1967, ein Vor-Festival zu Woodstock, wo er vor 50 000 Menschen sang. Innerhalb von 20 Minuten, in denen er und die Band alles gaben, brachten sie die weißen Zuhörer - zumeist Hippies - an den Rand der Ekstase. Redding wurde zum Helden des Crossover, das nach dem schwarzen nun auch das weiße Publikum erreichte.

Im Dezember 1967 ging er ein letztes Mal ins Studio. Er spielte Songs ein, die auf drei postum erschienenen Alben landen sollten. Darunter befand sich auch sein größter Hit »(Sittin’ On) The Dock Of The Bay«. Er nahm ihn drei Tage vor seinem Tod auf.

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Reddings Begräbnis fand am 19. Dezember 1967 in Macon statt - etwa 5000 Trauernde kamen, darunter James Brown. Redding hinterließ seine 24-jährige Frau Zelma und vier Kinder. »Wir weinten«, so Isaac Hayes. »Es war so ein Schock! Wir waren fassungslos. So viele Tote!« Booker T. Jones erklärte: »Erst da erkannten wir, wie wichtig Otis als Mensch und als Musiker für uns gewesen war.«

»(Sittin’ On) The Dock Of The Bay« kletterte im März 1968 in den USA auf Platz 1 der Charts und blieb dort vier Wochen lang. Für das Lied gab es zwei Grammys. Doch Musiker wie Booker T. und Steve Cropper verließen Stax nach einiger Zeit. »Ich glaube, mit dem Tod von Otis starb auch Stax«, kommentiert Trompeter Wayne Jackson.

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