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Wenn Die Linke fehlt, dann wird es unsozialer
Die Linke-Politikerinnen Petra Pau und Gesine Lötzsch haben 2002 erlebt, was ohne eine sozialistische Fraktion im Bundestag passiert
Der Bundestagswahlkampf tritt in seine entscheidende Phase. Der Gewinn von mindestens drei Direktmandaten ist eine Art Lebensversicherung für die Linkspartei. Meinungsforschungsinstitute sehen Die Linke bei sechs Prozent, da rückt die Fünf-Prozent-Hürde bedrohlich nahe. In der Partei wird auf Ihre Direktmandate in Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg gebaut. Wie stark fordert Sie das?
Petra Pau und Gesine Lötzsch sind seit 1998 beziehungsweise seit 2002 Mitglieder des Bundestags. Sie gewannen ihre Mandate für die PDS und später die Linke in Berlin immer direkt. Im Jahr 2002, nach dem Scheitern der PDS an der Fünf-Prozent-Hürde, saßen sie als fraktionslose Abgeordnete im höchsten deutschen Parlament, weil die Bildung einer Fraktion an den Gewinn von mindestens drei Direktmandaten oder das Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde geknüpft ist.
Martin Kröger sprach mit Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und Haushaltsexpertin Gesine Lötzsch über den aktuellen Bundestagswahlkampf, die schlechten Umfragewerte für die Linke, historische Parallelen zwischen damals und heute sowie den grassierenden Rechtsruck.
Pau: Jetzt wird gekämpft! In Berlin haben wir die Aufgabe, für eine starke Linke im Bundestag zu sorgen und gleichzeitig mit mindestens drei Direktmandaten - und wir treten mit starken Kandidatinnen und Kandidaten an - die parlamentarische Lebensversicherung der Linken sozusagen zu sein.
Lötzsch: Die Situation war nie einfach, wenn wir uns an die letzten 30 Jahre zurückerinnern. Jede Wahl hat ihre eigenen Regeln. Wir erleben gerade eine Neuauflage der Rote-Socken-Kampagne, die einige den Kopf schütteln, andere schmunzeln lässt. Wir sagen deutlich, die SPD und die Grünen müssen sich entscheiden - wenn sie linke Programme formulieren, dann können sie die natürlich nicht mit der FDP umsetzen.
Sie meinen den »Linksrutsch«?
Lötzsch: Das ist kein Linksrutsch. Das ist völlig übertrieben. Aber alles andere wäre ja noch mal ein deutlicherer Rechtsrutsch, und dem stellen wir uns als Linke entgegen.
Bleiben wir kurz bei den Wahlkreisen. In Marzahn-Hellersdorf sieht Wahlkreisprognose.de das Mandat »eher sicher für Die Linke«. Das war nicht immer so. Mit Mario Czaja haben Sie einen CDU-Gegenkandidaten, der lokal gut vernetzt ist. Wie bewerten Sie diese Auseinandersetzung?
Pau: Also eines kann Mario Czaja gut, nämlich verdecken, dass er die Partei vertritt, die für Hartz IV verantwortlich ist und für Kriegseinsätze der Bundeswehr. Ich denke, wer wirklich soziale Gerechtigkeit, wer Frieden und mehr Demokratie will, der hat nur eine Wahl, nämlich Die Linke. Nach Umfragen habe ich mich noch nie gerichtet.
Ihr Bezirksvorsitzender hat uns gegenüber beklagt, dass es eine besonders aggressive Art des Wahlkampfes und der Desinformation der CDU gebe.
Pau: Man wundert sich. Am 26. September wird in Berlin über den Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen abgestimmt. Die CDU-Wuhletal mit ihren Kandidaten fällt dadurch auf, dass sie seit Monaten eine Desinformationskampagne fährt, dass Genossenschaften enteignet werden sollen. Das ist Unsinn. Genossenschaften sind gemeinnützig, Die Linke steht für Gemeinnützigkeit.
Sprechen wir über Lichtenberg. Da sagt Wahlkreisprognose.de »sicher für Die Linke«. Trauen Sie solchen Prognosen zu Wahlkreisen?
Lötzsch: Nein. Ich nehme jeden Mitbewerber und jede Mitbewerberin ernst. Wichtig ist mir, möglichst mit vielen Menschen über unsere politischen Ziele zu sprechen.
Sie haben beide sehr oft Direktmandate gewonnen. Hängt es damit zusammen, dass Sie so aktiv vor Ort vertreten sind?
Lötzsch: Mich kennen viele Leute. Das hat eine Wirkung, wenn man nicht fünf Minuten vor der Wahl zum ersten Mal erscheint, sondern die Leute sagen: Sie sind ja schon seit Jahren da, Sie unterstützen seit Jahren unseren Gartenlauf oder arbeiten bei uns im Tierparkverein mit.
Das ist in Marzahn-Hellersdorf ähnlich?
Pau: Die direkte Begegnung wird nach den langen Corona-Einschränkungen wieder möglich. Viele Menschen sind darauf angewiesen. Eine unserer ersten Spendenaktionen, als Corona losging, war, dass Gesine Lötzsch und ich für den Gehörlosenverband Ostdeutschland Gesichtsschilde gespendet haben. Diese Menschen sagten mir, dass sie keine Chance hatten, ihre Dinge in Ämtern zu lösen, weil sie nicht telefonieren konnten und auf Dolmetscher angewiesen sind, um Termine zu vereinbaren ...
Lötzsch: ... Die Ämter waren ja geschlossen.
Bleiben wir beim Wahlkampf. Wenn die Fünf-Prozent-Hürde so bedrohlich näher rückt, löst das bei Ihnen Erinnerungen an 2002 aus?
Pau: Es spornt mich an, dass eine solche Situation nicht noch einmal eintritt. Wir haben bei Corona wie unter einem Brennglas gesehen, welche Probleme in dieser Gesellschaft existieren. Was die Privatisierung im Gesundheitswesen betrifft, das Streichen auch im öffentlichen Gesundheitsdienst. Zugleich wurden - dazu kann Gesine Lötzsch ganze Vorträge halten - die großen Konzerne gepäppelt, während die Kleinen, die Selbstständigen in Ungewissheit gehalten werden. Da hilft es auch nicht, dass in Berlin zumindest der Senat schnell und richtig reagiert hat. Wir brauchen auch auf Bundesebene andere Mehrheiten, die mittel- und langfristig umsteuern. Die Zeit, die Gesine Lötzsch und ich hier allein im Bundestag verbracht haben, hat uns doch gelehrt, dass es sich lohnt, auch außerhalb des Bundestages um andere Mehrheiten zu kämpfen.
Als die PDS mit nur zwei Abgeordneten im Bundestag vertreten war, wurden die sogenannten Hartz-Reformen verabschiedet.
Pau: Genau. Die Agenda 2010. Wir wurden damals ausgelacht, als wir beispielsweise am 19. Dezember 2003 - das ist der Tag, an dem Hartz IV hier im Bundestag beschlossen wurde und später dann auch im Bundesrat - gesagt haben, gesetzliche Mindestlöhne müssen her. Es gab eine Gewerkschaft, die dafür war, die Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten. Heute kommt keine ernst zu nehmende Partei um das Thema Mindestlohn herum. Es ärgert mich allerdings mächtig, wer heute noch bei Tarifverhandlungen um Mindestlöhne Unterschiede zwischen Ost und West macht. Der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
Lötzsch: Selbst bei Hartz IV hatte man einen Unterschied zwischen Ost und West eingeführt. Der Ostsatz für Hartz IV war niedriger. Es ist ganz einfach: Wenn Die Linke im Bundestag fehlt, dann wird es unsozialer. Meine These ist: Wenn es damals eine starke PDS-Fraktion gegeben hätte, dann hätte es dieses Verarmungsprogramm nicht gegeben. Heute sagt man uns aus den anderen Parteien, wir sollen ihnen das nicht mehr vorhalten. Doch, wir halten es ihnen so lange vor, bis es korrigiert wird.
War das damals nicht auch ein bisschen würdelos, wenn der Präsident des Hauses Sie immer als fraktionslos eingeführt hat?
Pau: Der hat uns gar nicht eingeführt.
Lötzsch: Ich habe meine Rede damals immer damit begonnen: Ich bin Abgeordnete der PDS. Es folgten wütende Zwischenrufe: »Nein, sind Sie nicht.« Aber wir haben deutlich gemacht, dass wir nicht Einzelpersonen sind, sondern dass wir für eine Partei stehen. 2005 waren wir dann wieder eine starke Fraktion.
Gibt es da eine Parallele zur Gegenwart, dass seinerzeit die sogenannte Agenda 2010 verabschiedet wurde und heute wieder krasse Kürzungsprogramme drohen, mit denen die ganzen Hilfspakete, die geschnürt worden sind, bezahlt werden müssen?
Lötzsch: Seit Anfang der Pandemie sage ich mir bei jeder Debatte, dass wir jetzt wissen möchten, wer die Rechnung bezahlt? Vor dieser Antwort drückt sich die Bundesregierung. Es ist völlig klar: Wenn sowohl die CDU als auch die FDP und teilweise auch Vertreter der SPD - ich sage Olaf Scholz - von der Rückkehr zur schwarzen Null sprechen ohne Steuererhöhungen, dann heißt das andersherum, dass es Sozialkürzungen geben wird. Es geht bei dieser Wahl darum, ob die einfachen Menschen oder die Reichen die Rechnung für die Pandemie bezahlen.
Soziale Kürzungen stehen nach der Wahl unmittelbar bevor?
Pau: Wenn es keine anderen Mehrheiten gibt, dann ist das so.
Lötzsch: Deshalb kämpfen wir für andere Mehrheiten im Bundestag. Ein Beispiel: Wir brauchen eigene Produktionsstätten für Medikamente, die aufgrund der neoliberalen Logik, es muss billig sein, nur in Indien hergestellt werden. Hier stehen Profitinteressen und gesundheitliche Vorsorge im Widerspruch.
Ab 2003 formierte sich der gesellschaftliche Widerstand gegen die Agenda 2010, eine Fusion der WASG mit der PDS resultierte ebenfalls daraus. Damals war die neue Partei klar die Stimme der Prekarisierten und der benachteiligten Menschen in Ostdeutschland. Warum hat sich an dieser Selbstgewissheit einiges verändert?
Lötzsch: Das Parteiensystem wird immer breiter, splittert sich auf. Aber wir vertreten klar die Interessen der Menschen, deren Portemonnaie nicht so voll ist. Die Große Koalition hat sich dagegen als Vermögensverwalterin der Superreichen profiliert. Das kann man an allen Entscheidungen, wer hat Hilfspakete bekommen und wo ist nichts angekommen, nachvollziehen.
In Marzahn-Hellersdorf machte sich bereits bei den früheren Wahlen Politikverdrossenheit breit. Hat das die Kümmerer- und Sprachrohrfunktion der Linken beeinträchtigt?
Pau: Die Gesellschaft verändert sich, auch in Marzahn-Hellersdorf, wo viele Menschen aus der Innenstadt hinverdrängt wurden. Zugleich haben es Rechtspopulisten und stramme Nazis geschafft, Protest an sich zu binden. Ich sage, schaut genau hin, und solltet ihr euch beim letzten Mal verwählt haben, schaut doch bitte, was diese Partei, die vorgibt, für die kleinen Leute da zu sein, tatsächlich reißt. Hier im Bundestag ist diese Partei die Partei der Immobilienhaie sowie der Privatisierung der Gesundheitsversorgung.
Lötzsch: Wir müssen auch die Frage stellen: Wer finanziert wen warum? In diesem Jahr gibt es einen Rekord an Parteispenden, aber nicht alle sind öffentlich und direkt. Wir als Linke nehmen keine Großspenden an, keine Konzernspenden, sondern wir leben davon, was unsere Mitglieder und natürlich unsere Sympathisanten aus ihren privaten Ersparnissen uns zur Verfügung stellen.
Sie haben sich immer gegen rechts positioniert. Sie haben gesagt, man muss die Rechte argumentativ stellen. Unser Eindruck ist, dass das nicht dazu führt, dass die AfD wieder aus dem Bundestag oder dem Abgeordnetenhaus in Berlin verschwindet, sondern dass sich da leider ein stabiles Wählerreservoir herausgebildet hat. Was heißt das für Ihre Strategie gegen rechts?
Pau: Der Kampf gegen rechts ist kein Parteiprivileg, sondern eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Diese Partei ist nicht vom Himmel gefallen. Ich war dabei, als Professor Wilhelm Heitmeyer und sein Team am 11. November 2011 die Ergebnisse der Langzeitstudie »Deutsche Zustände« vorgestellt haben. Lange, bevor die vielen Geflüchteten zu uns kamen. Sein Befund war, dass die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zunimmt und die Akzeptanz von Gewalt zur Lösung gesellschaftlicher Probleme als Politikersatz. Seine Erklärung war, dass die Ökonomisierung von allem Sozialen und die Entleerung der Demokratie Ursachen sind. Wir müssen dem gesamtgesellschaftlich etwas entgegensetzen.
Lötzsch: Die AfD ist ein Kind der Großen Koalition und deren Politik. Darum ärgert es mich wahnsinnig, wenn hier im Bundestag Reden gehalten werden zum Beispiel von CSU-Abgeordneten, die die AfD beispielsweise kritisieren für deren Flüchtlingspolitik. Dabei macht sie genau das, was die AfD will. Es gibt auch keine Konstellation »alle gegen die AfD«. Zwar sind bei fast allen geheimen Wahlen für das Präsidium die AfD-Abgeordneten durchgefallen, aber ins Parlamentarische Kontrollgremium, also in das Gremium, das die Geheimdienste kontrollieren soll, wurde ein Vertreter der AfD gewählt. Mit unseren Stimmen garantiert nicht. Da kann man sich ja ausrechnen, wo die Stimmen hergekommen sind.
Für eine Regierungsbeteiligung braucht Die Linke Partner aus anderen Parteien. Ist Rot-Rot-Grün im Bund für Sie ein Thema?
Lötzsch: Sicher. Wir sind die einzige Partei auf der Bundesebene, die klar sagt, mit wem sie regieren wird, nämlich mit SPD und Grünen. Ich finde es allerdings befremdlich, dass Herr Scholz uns Bedingungen stellt und mit der FDP bedingungslos in Verhandlung gehen will.
Pau: Wir sollten über Inhalte reden. Denn es geht nicht um Konstellationen, und ein Kreuz macht man auch nicht bei einer Konstellation auf dem Wahlzettel. Insofern kann ich nur sagen: Eine starke Linke ist am Ende die Gewähr dafür, dass sich überhaupt etwas ändern kann.Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
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