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Bolsonaro putscht seine Anhänger auf
Brasiliens ultrarechter Präsident droht mit Verfassungsbruch am Tag der Unabhängigkeit
Nur Gott werde ihn seines Amtes entheben, brüllte Jair Bolsonaro einer johlenden Menschenmenge zu. Der cholerische Rechtsaußen-Präsident war am Dienstag umjubelter Stargast bei Kundgebungen, zu denen seine Anhänger*innen seit Wochen mobilisiert und vollmundig »die größten Demonstrationen in der Geschichte des Landes« versprochen hatten.
Mit den Aktionen wollte der Ex-Militär ein Zeichen der Stärke in Krisenzeiten senden. Corona-Chaos, Korruptionsvorwürfe, Wirtschaftskrise: Die brasilianische Regierung steht mit dem Rücken zur Wand. Politisch ist Bolsonaro isoliert, viele ehemalige Verbündete haben sich abgewendet. In Umfragen für die Wahl 2022 liegt er weit hinter seinem sozialdemokratischen Widersacher, Ex-Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
»Bolsonaro will Macht demonstrieren und zeigen, dass die Umfragen manipuliert sind«, sagte der politische Analyst Kennedy Alencar dem »nd«. Für Bolsonaro sei es wichtig, Bilder zu produzieren, die symbolisieren, dass »das Volk« hinter ihm stehe. Ist das am Dienstag geglückt?
In mehr als 80 Städten gingen Bolsonaro-Fans auf die Straße. Den Auftakt machte ein Aufmarsch im Regierungsviertel der Hauptstadt Brasília. Seit Wochen hatten Bolsonaro-Anhänger*innen dazu aufgerufen. Viele Demonstrierende waren mit Buskolonnen aus anderen Bundesstaaten angereist. Bolsonaro kam am Morgen mit einem Rolls-Royce vorgefahren, am Steuer saß der ehemalige Formel-1-Fahrer Nelson Piquet.
In der Finanzmetropole São Paulo kamen am Nachmittag laut Polizeiangaben 125 000 Bolsonaro-Fans zusammen. Regierungsvertreter*innen feierten das als »historisch«. Doch die Teilnehmer*innenzahlen blieben insgesamt hinter den Erwartungen zurück. »Man muss die Proteste ernst nehmen und es ist extrem beängstigend, was dort geäußert wurde. Doch von den Zahlen her waren die Demonstrationen eine Enttäuschung für die Regierung«, meint der Geschichtsprofessor und Rechtsextremismusexperte Odilon Caldeira Neto gegenüber »nd«.
Es waren die radikalsten Kräfte, die am Dienstag auf die Straße gingen. Einige forderten ganz ungeniert eine Militärintervention. Andere Demonstrierende trugen am Dienstag Schilder bei sich, die eine Schließung des Obersten Gerichtshofes und die Inhaftierung von Richter*innen forderten. Mit den demokratischen Institutionen befindet sich Bolsonaro im Dauerkonflikt. Insbesondere mit dem Obersten Gerichtshof hatte sich der Pöbel-Präsident in den vergangenen Wochen heftige Schlagabtausche geliefert. Zuletzt leitete ein Richter Ermittlungen gegen Bolsonaro ein, weil dieser Lügen über das elektronische Wahlsystem verbreitete.
Bolsonaro reagiert zunehmend gereizt und geht in die Offensive. Von einem Lautsprecherwagen auf São Paulos Prachtstraße Avenida Paulista aus brüllte er am Dienstagnachmittag, er werde nicht länger die Entscheidungen von Verfassungsrichter Alexandre de Moraes befolgen. Zudem drohte er ganz offen einzelnen Richter*innen. Nicht wenige verstanden das als Aufruf zum Verfassungsbruch. »Seine Aussagen waren eine Ansage an seine treusten Anhänger«, meint der Historiker Neto. »Bolsonaro betreibt eine konstante Radikalisierung. Immer, wenn es politisch eng für ihn wird, muss er den Ton verschärfen. Das klappt besonders gut mit solchen antidemokratischen Aussagen.«
Trotz wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung kann sich der Präsident auf rund 20 Prozent der Brasilianer*innen verlassen. Und viele seiner Anhänger verehren den Pöbelpräsidenten mit fast schon religiösem Eifer. Bei ihnen kommen sein Radikalismus, die ständigen Provokationen und die ungehobelte Art gut an. Die Dauerkonflikte mit den demokratischen Institutionen bestätigen für viele Bolsonaro-Unterstützer*innen, dass ein Komplott gegen ihr Idol im Gang sei.
Vor den Protesten wurde wild über mögliche Gewaltakte spekuliert. Nicht wenige vermuteten Bilder wie am 6. Januar in Washington, als Unterstützer von Ex-Präsident Donald Trump den Kongress stürmten. Zwar kam es zu vereinzelten Auseinandersetzungen, doch insgesamt blieb es friedlich. Neben Bolsonaro-Fans gingen in mehreren Städten auch Linke auf die Straße. Zehntausende marschierten beim »Schrei der Ausgeschlossenen«, einer antikapitalistischen Demonstration, die traditionell am Nationalfeiertag stattfindet. In São Paulo fand zudem eine Gegenkundgebung zum rechten Aufmarsch statt. Das Motto dort: »Weg mit Bolsonaro!«.
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