»Coronakranke galten als Aussätzige«

Hoa Phuong Tran und Hung Manh Le unterrichten in Berlin traditionelle vietnamesische Instrumente. Kürzlich waren sie in Vietnam gefragte Interviewpartner - weil sie Corona hatten

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 7 Min.

Sie leben seit 1991 in Deutschland. Aber im Moment sind Sie in Vietnam sehr populär. Wie kommt das?

Hung Manh Le: Bis zu meiner Ausreise habe ich als Journalist bei dem staatlichen Rundfunksender Voice of Vietnam gearbeitet. Meine Frau ist Berufsmusikerin und war Teil des Musikensembles Vietnams. Das sind Tätigkeiten, mit denen wir in der Öffentlichkeit standen. Dazu kommt, dass wir traditionelle vietnamesische Musik im Ausland bekannt machen. Ich glaube, wir sind die Einzigen, die an einer staatlichen Musikschule außerhalb Vietnams das Spiel auf traditionellen vietnamesischen Instrumenten unterrichten. Das ist schon etwas Besonderes.

Interview

Hoa Phuong Tran, geb. 1961, absolvierte das Konservatorium in Hanoi im Fach traditionelle vietnamesische Musikinstrumente und arbeitete anschließend im staatlichen Musikensemble Vietnams. Seit 1991 lebt sie in Deutschland und trat zunächst als Solistin auf, seit 2000 mit dem Lotus-Ensemble, das ihr Mann managt. Sie erteilte anfangs privat Musikunterricht und seit 2005 an zwei Berliner Musikschulen.

Hung Manh Le, geb. 1958, nahm als Kind Unterricht in Klavier, Gitarre, Schlagzeug und traditionellen vietnamesischen Instrumenten. Er wurde bei Voice of Vietnam als Journalist und Rundfunksprecher ausgebildet. Von 1988 bis 1991 war er Journalist bei Radio Moskau, 1995 bis 2008 bei Radio Multikulti in Berlin und seit 2008 Berliner Korrespondent des vietnamesischen Programms der BBC. Seit 2010 ist er Lehrer an Berliner Musikschulen und Musiker. Die beiden sind seit 1985 verheiratet, Eltern der Schauspielerin Chi Le und einer weiteren erwachsenen Tochter. Sie haben zwei Enkel.

Ihre Popularität hat aber gerade viel mit Corona zu tun ...

Hoa Phuong Tran: Das ist richtig. Ich war im April an Corona erkrankt. Den ganzen Monat. Damals gab es in Vietnam kaum Coronafälle. Die wenigen Personen galten aus Aussätzige, manchmal wurden Namen und Adresse in der Zeitung abgedruckt. Darum habe ich im Mai auf Facebook über meinen Kampf gegen die Krankheit geschrieben. Ich wollte, dass meine engen Freundinnen in Vietnam mehr darüber erfahren.

Dann kam die Coronawelle in Vietnam, und eine Zeitungsredaktion bat mich um Erlaubnis, meinen Erfahrungsbericht abzudrucken. Ich habe das erst abgelehnt, weil das sehr privat war. Dann habe ich mich doch überreden lassen.

Hung Manh Le: Mein ehemaliger Arbeitgeber, Voice of Vietnam, wurde im Juli darauf aufmerksam und fragte, ob ich denn auch Corona gehabt hätte. Ja, sagte ich, aber ich hatte anders als meine Frau kaum Symptome. Der Sender fand, dass auch diese Erfahrung für seine Hörer in Vietnam wichtig sei, und bat uns beide um einen Doppelbericht.

Wie haben die Leser und Hörer in Vietnam reagiert?

Hung Manh Le: Mit riesigem Interesse. Aber es gab auch viel Kritik an der Coronapolitik in Deutschland. Damals wurden in Vietnam Infizierte und ihre Kontaktpersonen noch in staatlichen Quarantäneeinrichtungen isoliert, ob sie wollten oder nicht. Oder sie kamen im Krankenhaus auf spezielle Stationen. Viele Hörer kritisierten: Deutschland lässt Coronakranke einfach zu Hause allein.

Aber ich habe argumentiert, dass das die freie Entscheidung von meiner Frau und mir war, uns zu Hause zu kurieren. Und im Notfall hätten wir sofort einen Krankenwagen rufen können. Unsere Erfahrungsberichte kamen zu einer Zeit, als auch Vietnam dazu überging, Infizierte und Kontaktpersonen zu Hause in Quarantäne zu schicken. Einfach weil es plötzlich so viele Coronafälle gab und Krankenhausbetten und Quarantänestationen fehlten. Wir haben einen wichtigen Beitrag zu dieser Debatte in Vietnam geleistet.

Wir erging es Ihnen mit Corona?

Hoa Phuong Tran: Bei mir wurde die Krankheit sehr spät diagnostiziert. Ich schicke vielleicht voraus, dass wir im Winter und Frühjahr sehr vorsichtig waren. Wir haben keinen Besuch bekommen, keine Fahrstühle benutzt, nur online unterrichtet. Besuche im Supermarkt waren aber unvermeidbar.

Bei mir ging es los mit Gliederschmerzen. Die Finger taten mir weh. Ein Corona-Schnelltest schlug negativ an. In der zweiten Woche bekam ich Fieber bis 38 Grad und Hautausschlag. Drei weitere Schnelltests waren ebenfalls negativ.

Hung Manh Le: Wir haben einen Arztbesuch lange abgelehnt. Wir dachten, meine Frau sei einfach überarbeitet und sie würde sich in der Arztpraxis dann vielleicht noch mit Corona infizieren. Am Wochenende nach der zweiten Woche ging es ihr aber so schlecht, dass ich sie füttern musste. Das Fieber stieg auf über 39. Der Hautausschlag wurde immer schlimmer, wie Masern. Da brachte ich meine Frau zum Arzt. Der gab ihr fiebersenkende Mittel und schickte sie ins Krankenhaus.

Hoa Phuong Tran: Auch im Krankenhaus schlug der Schnelltest negativ an. Die Ärztin wollte mich stationär aufnehmen, um die Ursache des Hautausschlags zu untersuchen. Sie bestellte mich für den nächsten Tag. Als wir da das Krankenhaus betraten, zeigte der Schnelltest erstmals ein positives Ergebnis.

Nachdem er zuvor fünfmal negativ ausgefallen war …

Hoa Phuong Tran: Ja, genau. Schnelltests sind leider unzuverlässig. Da ich nun wusste, welche Krankheit ich hatte, und weil es gegen Corona keine Medikamente gibt, haben wir gemeinsam mit der Ärztin entschieden, dass ich mich zu Hause auskuriere. Mein Mann konnte dann asiatisches Essen für mich kochen. Unsere erwachsenen Kinder und Freunde haben eingekauft.

Hung Manh Le: Wir haben das auch so entschieden, weil meine Frau keinen Sauerstoff brauchte und jederzeit eine Notfallnummer anrufen konnte. Und weil die Krankenhäuser damals sehr voll waren. Wir wollten uns solidarisch gegenüber solchen Patienten verhalten, die keine Hilfe zu Hause hatten.

Und dann waren Sie beide in häuslicher Quarantäne?

Hoa Phuong Tran: Ja. Wir haben in verschiedenen Zimmern unserer Wohnung gelebt. Mein Mann hat mich per Video überwacht, damit er reagieren konnte, wenn es mir schlecht ging. Miteinander gesprochen haben wir am Telefon, und er hat mir das Essen vor die Tür gestellt. Mir ging es sehr schlecht. Ich hatte Fieber bis 40 Grad, fror, und meine Haut juckte entsetzlich.

Ich habe mir gesagt, jetzt muss ich die Viren selbst aus meinem Körper holen. Ich habe mehrmals am Tag meine Nase und den Rachen mit Salzwasser gespült, um die Viren dort zu bekämpfen. Wie in der traditionellen vietnamesischen Medizin habe ich mir abwechselnd kalte und warme Tücher auf die Stirn gelegt. Das hat das Fieber gesenkt. Um zu verhindern, dass die Viren in die Lunge kommen, habe ich mich dort mit traditionellen Methoden selbst massiert. Mein Mann hat vitaminreich für mich gekocht. Ich habe keine schlechten Nachrichten an mich herangelassen, habe statt Radio viel Musik gehört und mit meinen Kindern gechattet.

Nach vier Wochen konnte ich das Bett verlassen, aber nur mit Gehhilfen laufen. Ich habe meinen Körper mit leichter Hausarbeit wieder fit gemacht, zuerst habe ich nur Wäsche gefaltet und in den Schrank gelegt.

Und Sie hatten sich auch mit Corona angesteckt?

Hung Manh Le: Ja, aber das habe ich nur durch den Test erfahren, den ich machen musste, nachdem das bei meiner Frau festgestellt worden war. Ich hatte nur ein leichtes Kratzen im Hals. Später kam dann Long Covid: Mein Geschmackssinn änderte sich. Ich trinke sonst viel Kaffee, aber ich konnte keinen mehr trinken und auch kein Gemüse mit Bitterstoffen essen. Es dauerte zwei Monate, bis das vorbei war.

Hoa Phuong Tran: Das hatte ich nicht. Ich konnte alles essen.

Sie arbeiten beide freiberuflich an Berliner Musikschulen. Was haben die Lockdowns für Ihr Berufsleben bedeutet?

Hung Manh Le: Die Lockdowns waren schlimm. Wir leben nicht nur vom Unterricht, auch von Konzerten mit unserem Lotus-Ensemble mit traditioneller vietnamesischer Musik. Alle Auftritte fielen weg. Für die Musikschule unterrichteten wir online von zu Hause. Aber nicht alle Schüler kommen damit klar. Wir unterrichten viele Vietnames*innen im Rentenalter, haben mit ihnen ein eigenes Ensemble aufgebaut. Das fiel vollständig weg.

Sie meinen das Hanoi-Ensemble der Musikschule Lichtenberg, wo sich ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter*innen im Rentenalter den Wunsch erfüllen, ein vietnamesisches Instrument zu erlernen, und miteinander auftreten.

Hung Manh Le: Ja, genau. Diese Auftritte sind normalerweise sehr gefragt. Aber wir konnten weder proben noch auftreten. Ich konnte die Einnahmeverluste kompensieren, weil ich nebenher Berliner Korrespondent des vietnamesischen Programms der BBC bin. Ich habe für die BBC mehr Beiträge gemacht.

Hoa Phuong Tran: Ich habe die Einnahmeverluste stärker gespürt. Meine viele Zeit habe ich für ein neues Hobby genutzt: Ich habe jetzt einen Garten hinter unserem Haus in Pflege genommen. Ich baue mein Biogemüse selbst an, auch asiatische Kräuter.

Die Pfefferminze in dem Wasser, das ich gerade trinke?

Hoa Phung Tran: Zum Beispiel. Ich ernte bald auch Kürbisse und Mais.

Hung Manh Le: Der Garten ist das Hobby meiner Frau. Ich selbst habe Gartenarbeit als Kind als Last empfunden. Ich bin im Krieg in Hanoi aufgewachsen. Wir brauchten den Garten, Schweine, Hühner und Kaninchen, um nicht zu verhungern. Die Arbeit habe ich gehasst. Aber nun habe ich gesehen, dass meine Frau Hilfe im Garten braucht. Und ich helfe ihr mittlerweile ganz gern.
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