- Politik
- Wahlkampf in Sachsen
Selbst in der Großstadt wird es eng
AfD könnte in Sachsens Wahlkreisen viele Erfolge feiern – Kipping kämpft um Direktmandat in Dresden
Klaus Brähmig will es noch einmal wissen. 27 Jahre lang hatte er als direkt gewählter CDU-Abgeordneter die Sächsische Schweiz im Bundestag vertreten, teils mit über 50 Prozent der Erststimmen. 2017 aber zog er gegen die damalige AfD-Bundeschefin Frauke Petry klar den Kürzeren, obwohl diese in der Region nicht verwurzelt war. Brähmig war schockiert, machte dann aber einfach weiter, als hätte er sein Mandat noch. Er absolvierte Termine ohne Ende und tritt nun wieder an: als Einzelbewerber. Aus der CDU ist er ausgetreten, in den Bundestag will er trotzdem – als »Bürgerkandidat«, wie er sagt.
Die Kandidatur ist aussichtslos, könnte jedoch ein weiterer Sargnagel für Hoffnungen der sächsischen CDU sein, den Wahlkreis 158 zurückzuerobern. Stimmen für ihn dürften Corinna Franke-Wöller fehlen, die einst Juso-Chefin im Freistaat war, heute Ehefrau des sächsischen Innenministers und CDU-Kreischefs Roland Wöller ist und das Direktmandat in dem Wahlkreis holen soll. Es ist freilich eine Region, in der extrem rechte Positionen viel Zuspruch finden, sagt André Hahn, regionaler Bundestagsabgeordneter der Linken – und zwar schon seit Jahren. Die NPD fuhr teils zweistellige Wahlergebnisse ein. Heidenau und Freital, wo 2015 der Hass gegen Flüchtlinge eskalierte, liegen im Wahlkreis.
Petry holte das Mandat 2017 mit 37,8 Prozent – Erststimmenrekord für die AfD.
Der Wahlkreis 158 war einer von drei, die die zumindest außerhalb der Großstädte erfolgsverwöhnte sächsische CDU an die AfD verlor. Es war indes die kleinere Schmach im Vergleich zu der Niederlage bei den Zweitstimmen, die mit 0,1 Prozentpunkten zwar knapp ausfiel, aber für ein landespolitisches Beben im Freistaat sorgte. Ministerpräsident Stanislaw Tillich warf hin; es folgte Michael Kretschmer, der zuvor in Görlitz sein Bundestagsmandat verloren hatte.
AfD rechnet sich Chancen auf Direktmandate aus
Diesmal droht der sächsischen Union ein noch größeres Debakel. Das Portal »Wahlkreisprognose.de« rechnet derzeit mit sechs Direktmandaten für die AfD in Sachsen; laut der Erststimmenprognose von »election.de« liegt sie sogar in 13 der 16 Wahlkreise mehr oder weniger klar vorn. Zwar ist umstritten, wie verlässlich derlei Prognosen für einzelne Wahlkreise sind. Die generelle Schwäche der CDU lässt ein solches Ergebnis aber nicht unplausibel erscheinen. Eine Umfrage von Infratest dimap sah sie im Freistaat schon Ende August bei nur 21 Prozent, sechs Punkte weniger als zur vorigen Bundestagswahl. Die AfD lag bei 23 Prozent, weniger als 2017, aber mit größerem Abstand zur CDU als vor vier Jahren. Zum Zeitpunkt der Umfrage lag die Union bundesweit noch bei 24 Prozent, seither verlor sie weiter.
Folge ist, dass sich die AfD selbst in städtischen Bezirken wie dem Wahlkreis 159 in Dresden Chancen auf das Direktmandat ausrechnet – und das, obwohl sie dort mit einem Kandidaten antritt, der sich keinerlei Mühe um ein gemäßigtes Auftreten gibt. Jens Maier, Ex-Richter am Landgericht, wird vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft, sieht das aber als Gütesiegel: »Wer in diesen Zeiten nicht als Rechtsextremist diffamiert wird, macht etwas falsch«, sagte er bei der Aufstellung der Landesliste, auf der er hinter Bundeschef Tino Chrupalla auf Platz 2 rangiert. Maier war Obmann des »Flügel«, vertritt rassistische Positionen, indem er etwa vor »Mischvölkern« warnt; er relativierte die Terrortat des norwegischen Rechtsextremen Anders Breivik und erklärte mit Blick auf die Aufarbeitung der NS-Zeit den »Schuldkult« für beendet. Maier ist enger Verbündeter von AfD-Rechtsausleger Björn Höcke, mit dem er am Montag bei Pegida auftrat. Dennoch hat er gute Chancen auf das Direktmandat – die noch steigen, weil die bisher im Wahlkreis stets siegreiche CDU mit Markus Reichel einen nur wenig bekannten, neuen Kandidaten aufbietet.
Wahlempfehlung für Katja Kipping
Viele Hoffnungen ruhen daher auf Katja Kipping. Die Ex-Bundeschefin der Linken beschwört, gestützt auf Prognosen, ein »Kopf-an-Kopf-Rennen« mit Maier und ruft zu einem Kampf um das Direktmandat auf. »Am 26. September geht es um Dresden«, erklärt sie in einer Videobotschaft und fragt besorgt: »Was, wenn der Hass gewinnt?!«
Kipping tritt zum vierten Mal als Direktkandidatin in Dresden I an. Ein Einzug in den Bundestag ist ihr auch ohne einen Sieg im Wahlkreis sicher; sie steht auf Platz 1 der Landesliste ihrer Partei. Allerdings soll ein Prestigeerfolg für die AfD unterbunden werden. Man müsse, sagt Kipping, »gemeinsam verhindern«, dass in Sachsens Landeshauptstadt ein Rechtsextremist gewinnt. Vor vier Jahren lag sie 2452 Stimmen hinter Maier (und 6452 Stimmen hinter dem siegreichen CDU-Mann Andreas Lämmel). Auf dem Papier ist sie also nicht unbedingt die Favoritin.
Allerdings gibt es beispielsweise eine Wahlempfehlung der Bewegung »Campact«, die Dresdner Wähler aufruft, eine »strategische Erststimme« an Kipping zu vergeben. Es gelte zu verhindern, dass Maier gewinnt, weil die »progressiven Parteien sich gegenseitig die Erststimme streitig gemacht haben, anstatt gemeinsam einen rechtsextremen Kandidaten zu bekämpfen«. Erschwert wird die Lage aber, weil manche Prognosen vor dem Hintergrund des SPD-Höhenflugs auch deren Bewerberin Rasha Nasr vorn sehen. Vor vier Jahren hatten SPD und Grüne zusammen weniger Stimmen als Kipping. Offizielle Absprachen gibt es bisher nicht. Debatten in sozialen Netzwerken deuten darauf hin, dass viele Dresdner Wähler gewillt sind, taktisch abzustimmen – aber noch unschlüssig, bei wem ihre Stimme am besten aufgehoben ist.
Im Nachbarwahlkreis 158 hat Kippings Parteifreund André Hahn allenfalls Außenseiterchancen – obwohl er »die Arbeit für den Wahlkreis im Bundestag allein gemacht« habe, sagt er. Petry verließ kurz nach ihrer Wahl die AfD und ließ sich in ihrem Wahlkreis selten sehen; Hahn war der einzige aktive Abgeordnete der Region und wurde mit Anfragen überhäuft. Leider, bedauert er, »fragen die Wähler selten, was ihr Abgeordneter geleistet hat und was nicht«. So könnte erneut die AfD gewinnen. Ihr Kandidat Steffen Janich ist Polizist, aber suspendiert, seit er Versammlungsleiter einer eskalierten Querdenkerdemo in Pirna war. Demnächst steht er als direkt gewählter Abgeordneter womöglich in einer Reihe mit Petry und Klaus Brähmig – dem heutigen »Bürgerkandidat«, der seine Ex-Partei wertvolle Stimmen kosten dürfte.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.