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Abtreibungsgegner in der Defensive
Feministische Aktion protestierte gegen »Marsch für das Leben«. Forderung nach freiem Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen
In pink-, silber- und goldfarbenen Outfits wedeln etwa acht Personen ihre Pom Poms direkt vor dem Brandenburger Tor durch die Luft. Ein Pulk von Demonstrierenden schart sich um die bunten Cheerleader. »My Body, my Choice – raise your voice«, rufen die Aktivist*innen im Sprechchor auf dem Pariser Platz. Der Durchgang durch das Brandenburger Tor ist abgesperrt. Vom Platz des 18. März schallen predigtartige Redebeiträge, die abgetriebene Föten betrauern. Es ist wieder soweit: Wie jedes dritte Septemberwochenende stehen sich am Samstag Fundamentalist*innen und Feminist*innen auf den Straßen in Berlin-Mitte gegenüber.
Der Bundesverband Lebensschutz – ein Zusammenschluss aus 15 Organisationen – veranstaltet seit 2002 den »Marsch für das Leben«. Besonders gut mobilisiert haben die Veranstalter*innen dieses Jahr wohl nicht: Etwa um 14.30 Uhr schätzte die Polizei die Demonstrierenden auf etwa 800 Teilnehmende. Dabei demonstrieren christliche Fundamentalist*innen und Akteur*innen der Neuen Rechten gemeinsam gegen Schwangerschaftsabbrüche.
Vermutlich wegen der Imageprobleme der vergangenen Jahre, versuchen die selbst ernannten Lebensschützer*innen sich einen moderateren Anstrich zu verpassen: Grüne Schilder mit Sprüchen wie »jedes Kind will leben« oder »No Children, no future« werden von den Veranstalter*innen verteilt, um so Plakate mit Vergleichen von Abtreibung und Holocaust zu unterbinden. Selbst der Papst höchstpersönlich hatte in der Vergangenheit Abtreibungen mit der Euthanasie der Nazis verglichen. Auch in den Gesprächsversuchen mit den Demonstrierenden vor Ort wird die radikale Gesinnung direkt deutlich: Strikt und stur wird das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen gefordert. Aber bei heimlich, selbst durchgeführten Abtreibungen sterben doch auch viele Frauen. Ist ihr Leben nicht schützenswert? »Nein«, antwortet eine Demonstrantin. »Wenn sie das Kind aus Egoismus töten möchte, dann schaufelt sie sich zu Recht ihr eigenes Grab.« Auf der vermeintlich kinderfreundlichen Kundgebung mit Luftballons in Rot und Grün, wo die Nonne auch mal neben dem Neonazi steht, gab es dieses Jahr wohl Gewalt: Laut eines DJU-Vertreters soll ein*e Journalist*in von Demonstrierenden körperlich angegriffen worden sein.
In ganz Berlin-Mitte sind immer wieder dezentrale Proteste des What-the-Fuck-Bündnisses aufgepoppt. Etwa 20 Personen legen sich im weißen T-Shirt mit Kunstblut befleckt auf die Straße. »Das ist ein Symbol für die etwa 22 000 Toten pro Jahr durch unsachgemäße Schwangerschaftsabbrüche«, sagt Ella, Pressesprecherin von What-the-Fuck. Je restriktiver die Gesetzeslage, umso gefährlicher für die Betroffenen. Gegen späten Nachmittag stehen Aktivist*innen von Trans*Sexworkers mit bunten Bannern auf dem Washingtonplatz hinter dem Hauptbahnhof. Auch sie sind Teil des What-the-fuck-Bündnisses. »Wir demonstrieren hier auf das Recht von Abtreibung. Das betrifft nicht nur Frauen, sondern alle Personen die schwanger werden können«, sagt Casper Tate. Er ist seit Anfang an bei den Gegenprotesten von What-the-fuck mit dabei. »Es ist heute ein riesiger Erfolg, denn wir waren heute mehr als die christlichen Fundamentalist*innen. Hoffen wir mal, dass wir in Zukunft gar kein Gegenprotest mehr starten müssen.«
Auch das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung hat im Rahmen der Kampagne »Weg mit 218« eine Demonstration angemeldet. In den Redebeiträgen wurde unter anderem ein Blick über die Grenzen geworfen: Während in Polen und in Texas sich die Gesetzeslage extrem verschärft hat, geben lateinamerikanische Länder Hoffnung. In Argentinien wurden im Dezember 2020 Abtreibungen nach jahrelangem feministischem Kampf legalisiert. Die US-amerikanische Performancekünstlerin Viva Ruiz brachte die Demonstrierenden zum Tanzen.
Ines Scheibe vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung hat die Kundgebung angemeldet und ist am Ende zufrieden. »Es war eine sehr, sehr gute Veranstaltung«, sagt sie und lacht. »Es war sehr beeindruckend, wie die jungen Leute mit Aktivist*innen aus den 60er und 70er zusammenstanden und zusammen ihre Forderung gestellt haben: My Body, my choice. Uns freut sehr, dass es zunehmend ein gesellschaftliches Thema ist.«
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