Trudeau gewinnt Wahlen in Kanada

Liberale Partei von Kanadas Premierminister verfehlt bei Parlamentswahl eine eigene Mehrheit

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Montréal. Kanadas Premierminister Justin Trudeau hat bei den vorgezogenen Parlamentswahlen einen halben Sieg errungen: Prognosen von Montagabend (Ortszeit) zufolge haben seine Liberalen die Wahl gewonnen, ihnen fehlt jedoch eine stabile Mehrheit. Örtliche Medien berichteten kurz nach Schließung aller Wahllokale, die Regierungspartei werde voraussichtlich 155 der 338 Sitze im Parlament erhalten. Trudeau hatte mit der vorgezogenen Wahl die wichtige Schwelle von 170 Sitzen angestrebt.

Beim Verlassen des Wahllokals in Montréal in Begleitung seiner Familie zeigte sich der Premier »gelassen«. »Wir haben während des Wahlkampfes sehr hart gearbeitet und die Kanadier treffen eine wichtige Entscheidung«, sagte er. Am Ende ging sein Kalkül jedoch nicht auf.

Trudeau war bei seinem ersten Wahlsieg 2015 noch als Erneuerer gefeiert worden. Nicht zuletzt wegen wegen einer Reihe politischer Affären seiner Regierung hatte der 49-Jährige deutlich an Rückhalt in der Bevölkerung verloren. Seit seiner Wiederwahl 2019 führte er eine Minderheitsregierung. Mitte August rief Trudeau dann in der Hoffnung auf eine stabile Mehrheit vorgezogene Neuwahlen aus.

Dank großzügiger Hilfszahlungen, einer schnellen und erfolgreichen Impfkampagne und eines allgemein positiv bewerteten Agierens der Behörden in der Corona-Pandemie hatten sich die Zustimmungswerte zuvor gebessert. Ein plötzlicher Anstieg der Corona-Fälle wegen der Delta-Variante und nachdem die meisten Einschränkungen aufgehoben worden waren, wirkte sich allerdings wieder negativ aus.

Der 71-jährige Douglas O'Hara, 73, der in Trudeaus Wahlbezirk Papineau in Montreal seine Stimme abgab, zeigte sich »sehr enttäuscht« über den Premierminister. Trudeau habe bei der Bewältigung der Pandemie zwar eine »halbwegs gute Arbeit geleistet«, sagte der Rentner. Der Regierungschef habe jedoch auch versprochen, während der Pandemie keine Wahl abzuhalten. »Doch sobald er die Chance wittert, eine Mehrheit zu erlangen, ruft er die Wahlen aus«, sagte O'Hara.

Vor den Wahllokalen bildeten sich in mehreren Großstädten lange Schlangen, wie AFP-Reporter berichteten. Die kanadische Wahlbehörde sicherte den wartenden Bürgern auf Twitter zu, dass sie auch nach der Schließung der Wahllokale noch ihre Stimmen abgeben dürften. Die letzten Wahllokale schlossen am Montagabend um 19.00 Uhr (Ortszeit, 04.00 Uhr MESZ am Dienstag) in British Columbia, an der Pazifikküste und im Yukon.

Am Ende des nur 36 Tage langen Wahlkampfes hatten Liberale und Konservative - die beiden großen politischen Parteien, die Kanada seit Staatsgründung 1867 regieren - gleichauf gelegen. Statt der erhofften Mehrheit drohte Trudeau eine Niederlage gegen seinen konservativen Herausforderer Erin O'Toole.

Dies blieb ihm erspart. Doch ohne die nötige Mehrheit im Parlament sind die Liberalen weiterhin auf die Zusammenarbeit mit kleineren Parteien wie der sozialdemokratischen NDP oder dem Bloc Québecois angewiesen, den Unabhängigkeitsbefürwortern der französischsprachigen Provinz Kanadas.

Der Wahlkampf habe insgesamt wenig polarisiert, sagte Max Cameron, Professor an der Universität von British Columbia, vor der Wahl. »Es gibt tatsächlich eine Menge Konsens in der Mitte.« Am Ende habe sich tatsächlich nicht viel geändert, kommentiert Felix Mathieu von der Universität Winnipeg: In vielen Provinzen seien die Abgeordneten »systematisch wiedergewählt worden«. AFP/nd

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