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Weder Nato noch EU-Militarisierung
Europa versucht, in der Liga der Großmächte mitzuspielen. In Brüssel ist bereits von einer Konkurrenz zu den USA die Rede.
Kaum war die Aufregung über die Pleite der Nato in Afghanistan und den schnöden Umgang Washingtons mit seinen europäischen Hilfstruppen etwas abgeklungen, kam der nächste Eklat im transatlantischen Verhältnis: AUKUS. Australien, Boris Johnsons United Kingdom und Joe Biden verkündeten ein neues anti-chinesisches Militärbündnis. Zum Einstieg bekommt Australien von den USA schon einmal ein Dutzend U-Boote mit Atomantrieb - gegen Cash versteht sich.
»Vertrauensbruch! Verrat!« schäumte man in Paris, und Präsident Emmanuel Macron beorderte sogar seine Botschafter in Washington und Canberra zurück. Plötzlich hatte sich nicht nur die Aussicht auf satte Profite der französischen Rüstungsindustrie aus einem Deal über 60 Milliarden US-Dollar für französische U-Boote in Luft aufgelöst. Jetzt hatte der Chef des Westens auch noch eine Allianz aus besonders strammen anti-chinesischen Scharfmachern geschmiedet. Dabei hatte Frankreich schon 2018 ein Kanonenboot zwischen Inseln und Riffen vor Chinas Küsten kreuzen lassen. Außerdem hatte sich die französische Marine an Manövern der sogenannten Quad-Gruppe - ein anderes, gegen Peking gerichtetes US-Projekt mit Japan, Indien und Australien - beteiligt. Zudem war Paris die treibende Kraft für die EU-Strategie zum Indo-Pazifik.
Neben spezifischen Interessen im Kontext seiner kolonialen Besitzungen im Indischen Ozean und Pazifik wie Mayotte, Réunion oder Neu Kaledonien möchte Frankreich angesichts der Umbrüche im internationalen System unbedingt in der Liga der Großmächte spielen. Europapolitisch hat das zudem den Vorteil, im Dauerclinch um die Führung in der EU mit den wirtschaftlich stärkeren Deutschen wenigstens auf Augenhöhe zu kommen. Denn die stecken in einer unangenehmen Zwickmühle: China ist der größte Abnehmer für Autos und Maschinen des »Exportweltmeisters«. Der Ex-Chef von Siemens, Joe Kaeser, brachte es auf den Punkt: »China braucht uns nicht, wir brauchen aber China.« Da kann eine allzu aggressive Linie gegen das asiatische Land kostspielig werden, zumal die Wirtschaft mit Dekarbonisierung und Digitalisierung ohnehin schon genug Probleme am Hals hat.
Inzwischen hat sich auch Brüssel zunächst einmal verbal hinter Macron gestellt und es gibt eine heftige Debatte zwischen Transatlantikern und Europäisten um »strategische Autonomie Europas«. Wie weit will oder kann sich die EU von den USA und damit der Nato abkoppeln? Wie viel eigene militärische Macht will man sich leisten? Da Frankreich ab Januar den EU-Vorsitz hat, Macron sich zudem in der heißen Phase des Wahlkampfes Präsidentschaftswahlen im April 2022 befinden wird und Merkel weg ist, wird er sich als die einzige Führungsfigur der EU inszenieren. Seit seiner Diagnose vom »Hirntod der Nato« vor zwei Jahren ist Macron Vorreiter der europäistischen Linie. Das Thema dürfte uns also einige Zeit erhalten bleiben.
Aus Perspektive eines emanzipatorischen Internationalismus gibt es allerdings nicht den geringsten Grund, sich im Streit zwischen Transatlantikern und Europäisten für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Ist doch gemeinsamer Nenner von beiden die Orientierung auf eine Politik der Stärke, auf Aufrüstung, Konfrontation und Säbelrasseln. Beide scheinen noch nicht begriffen zu haben, dass die 500-jährige Epoche vorbei ist, in der der weiße Mann dem Rest der Welt diktieren konnte, wo es lang geht. Das gilt natürlich auch für weiße Frauen wie Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) oder die Härte gegenüber China zeigende Annalena Baerbock (Grüne). Gerade in Afghanistan haben wir einmal mehr erlebt, wohin das dünkelhafte Überlegenheitsdenken führt, man könne seine eigenen Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten exportieren - und das auch noch mit Drohnen und Kanonen.
Die emanzipatorische Alternative zu den zwei Varianten neo-imperialer Politik sind Multilateralismus weltweit und nicht nur innerhalb des Westens, Kooperation, Abrüstung und friedliche Koexistenz. Nur so werden wir die existenziellen Menschheitsprobleme wie Klimawandel, Artensterben oder Atomkriegsgefahr in den Griff bekommen.
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