Am kalten R2G-Büfett

Rot-Rot-Grün oder nicht? »Das hängt nicht von uns ab«, sagt Bundestagskandidatin Anke Domscheit-Berg (Linke)

  • Andreas Fritsche, Oranienburg
  • Lesedauer: 5 Min.
Janine Wissler (l.) und Anke Domscheit-Berg (r.) am Freitagvormittag in der Innenstadt von Oranienburg
Janine Wissler (l.) und Anke Domscheit-Berg (r.) am Freitagvormittag in der Innenstadt von Oranienburg

»Ich finde, elf Prozent brandenburgweit sind zu wenig, ich will mehr als das«, sagt die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg am Freitag, als sie nach ihrem Ziel für die Wahl an diesem Sonntag gefragt wird. Die Linke-Politikerin steht auf Platz zwei der Landesliste der märkischen Sozialisten und ist Direktkandidatin im nordbrandenburgischen Bundestagswahlkreis 58. Noch vor vier Jahren wurde Domscheit-Berg im Wahlkreis angemeckert, von wegen Stasi-Partei. Diesmal nichts in der Richtung. »Es macht so Spaß, weil es so eine nette Atmosphäre ist. Ich denke immer: Wo sind denn die 90 Prozent, die uns nicht wählen?«

Am Freitagmorgen veranstaltet Die Linke ein rotes Frühstück in der Bernauer Straße in Oranienburg (Oberhavel). Es gibt Brötchen mit Tomatenbutter, selbst gemacht von der Kreisvorsitzenden Ursel Degner, und viel Rotes wie Erdbeeren, Salami und Konfitüre. Auch ein »R2G-Büfett« ist im Angebot, wie Domscheit-Berg fröhlich anmerkt. Auf dem betreffenden Tablett liegen Tomaten (SPD), dunkelrote Weintrauben (Linke) und Gurken (Grüne).

Ob sie denn nach der Wahl am 26. September ernsthaft mit einer Bundesregierung in diesen Farben rechne? »Das hängt nicht von uns ab«, sagt Domscheit-Berg. Die Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) haben bekanntlich Bedingungen gestellt. Die Linke müsste sich demnach zur Nato und zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr bekennen. Das kommentiert Domscheit-Berg: »Die Grünen können es ihren Enkeln nicht erklären, dass sie, um ein paar Hundert Soldaten in Mali zu haben, auf den Klimaschutz verzichten.« Denn mit der FDP statt der Linken als Koalitionspartner von SPD und Grünen ließe sich ein Klimaschutz, wie er jetzt notwendig sei, nicht machen. Ähnlich verhielte es sich mit der SPD. Bei der sei die Frage, mit wem sie glaube eher ihre sozialen Versprechungen erfüllen zu können: mit der FDP oder mit der Linken?

Als die Bundesvorsitzende und Spitzenkandidatin der Linken, Janine Wissler, eintrifft und am Büfett sagen soll, was sie essen möchte, greift sie übrigens nicht beim R2G-Tablett zu, sondern entscheidet: »Erst einmal ein Käsebrötchen.«

Nachdem sich Wissler gestärkt hat, tritt sie vor zum Gespräch mit Domscheit-Berg. Von dieser bekommt Wissler die Regieanweisung: »Du musst links stehen, ich bin auf dem rechten Ohr taub. Das ist im Bundestag praktisch. Da wird man beim Reden nicht von dem Quatsch gestört, der von rechts kommt.«

Janine Wissler soll erklären, warum sich das Programm der Linken nicht bloß gut anhört, warum es keine Träumereien enthalte, die nicht zu bezahlen wären. Das fällt ihr nicht schwer. Die Rente beispielsweise sei durchaus finanzierbar, wenn alle in die Rentenkasse einzahlen würden, sagt sie. Und: »Mit Pflege kann man in Deutschland richtig Geld verdienen – vorausgesetzt, man ist keine Pflegekraft!« Im Gesundheitswesen werden riesige Profite gemacht, so Wissler. Unrealistisch sei, was die FDP wolle: Steuerentlastungen im Umfang von 90 Milliarden Euro und ein ausgeglichener Haushalt. »Das ist irgendwie Voodoo.« Wissler betont: »Wir brauchen dringend mehr Einnahmen. Wir brauchen die Vermögensteuer.« Dabei beruhigt sie ihre Zuhörer: »Sollte sich irgendjemand von euch Sorgen machen: Die erste Million ist frei.« Das zeige, wie absurd die Angstmache vor einer Vermögensteuer sei. Nur sehr wenige müssten sie entrichten.

Gut 50 Menschen haben sich auf dem Gehweg versammelt, um die beiden Politikerinnen zu erleben. Die Leute müssen immer wieder gebeten werden, den Radweg frei zu halten. So voll ist es. Auch Autofahrer hören zu, die auf der Bernauer Straße im Stau stehen, ebenso wie die Kunden in der Schlange vor dem Bäcker auf der anderen Straßenseite. Dort hat sich übrigens die CDU postiert. Linke-Kreisgeschäftsführer Ralf Wunderlich lässt die Einladung übermitteln: »Bei uns gibt es was zu essen.« Einer der Wahlkämpfer der CDU möchte nachher wirklich auf einen Happen rüberkommen und außerdem eine Frage an Janine Wissler richten.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Uwe Feiler, Anke Domscheit-Bergs Konkurrent im Wahlkreis, steht einige Hundert Meter weiter an einem kleinen Infotischchen. »Ich habe schon gefrühstückt«, lehnt er die Einladung der Sozialisten trocken ab. Feiler gewann den Wahlkreis 2013 und 2017 und möchte ihn jetzt verteidigen. Sein Thema hier sind die Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg. Mehr als 200 mit chemischen Langzeitzündern werden noch im Untergrund von Oranienburg vermutet und können jederzeit hochgehen. Der Bund bezahlt aber normalerweise nur für die sogenannte reichseigene Munition, nicht für die Entschärfung der von den Alliierten abgeworfenen Bomben. »Den Leuten hier ist es scheißegal, wer bezahlt. Die Dinger müssen raus«, sagt Feiler. Dafür brauche es jemanden mit guten Verbindungen ins Bundesinnenministerium. »Die habe ich.« Feiler sagt, er sei vor Ort der einzige Kandidat, der Themen aus dem Wahlkreis aufgreife. Die Blindgänger allerdings spricht Domscheit-Berg am Freitag ebenfalls an.

Auch die SPD hat am Freitag einen Stand an der Bernauer Straße aufgebaut. »Bei uns gibt es auch was zu essen«, versichert dort ein Sozialdemokrat und überreicht strahlend ein Minigläschen hausgemachten Apfelgelees mit einem Bild der SPD-Direktkandidatin Ariane Fäscher auf dem Deckel. Persönlich ist Fäscher nicht vor Ort. Sie mache gerade Wahlkampf in Hennigsdorf, sagen ihre Helfer.

Janine Wissler muss gegen 12 Uhr zum nächsten Termin. Aber ihre Genossen machen weiter.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!