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Sagt ihren Namen
Jeja nervt: Die Verachtung von transgeschlechtlichen Frauen kennt keine Totenruhe
Am 14. September verbrannte sich eine transgeschlechtliche Frau auf dem Berliner Alexanderplatz. Ein Mitarbeiter eines Kaufhauses konnte die Flammen mit einem Löscher zunächst ersticken. Doch im Unfallkrankenhaus verstarb sie schließlich. In einer ersten Mitteilung an die Öffentlichkeit schloss die Hauptstadtpolizei einen politischen Hintergrund der Selbsttötung sofort aus. Die Berichterstattung über Suizide gebietet laut Pressekodex stets Zurückhaltung, insbesondere, was die Nennung von Namen und Begleitumständen angeht.
Zusätzlich geben sich Medien bei Selbstverbrennungen besonders bedeckt: Beispiele wie das eines südvietnamesischen Mönchs 1963 oder Selbstverbrennungen im Umfeld der PKK haben gelehrt, wie sich Zeitungen und Fernsehen schnell emotional-hitzig in Vorgänge hineinziehen lassen, die sie sachlich darstellen sollten.
Wenige Medien berichteten über Ella, die aus dem Iran geflohen war und seit einigen Jahren in Magdeburg lebte. Dort ist sie zunächst als «Mann», später als «Transperson» und dann, irgendwann, erst als Frau tituliert worden. Ein Polizeisprecher teilte einem Fernsehteam mit, Ella sei für sie «insofern eine Frau», weil in ihrem Ausweis ein Frauenname stand. So viel zu einer Ordnungsmacht, die in Berlin darum wirbt, dass sich LGBTIQ bei den unzähligen Übergriffen endlich vertrauensvoll an sie wenden, statt sich weiter still mit ihrem Schicksal abzufinden.
Schon die Art, wie über die Frau geredet und berichtet wurde, gibt einen deutlichen Vorgeschmack darauf, warum beim «Fall Ella» ein anders gelagertes, öffentliches Interesse besteht und warum dieser hochpolitisch ist. Wir wissen zwar kaum etwas über die konkreten Gründe, die die Tote hatte. Studien zeigen jedoch, dass transgeschlechtliche Personen aufgrund der Diskriminierung und Gewalt, die sie ständig erleben, eine vielfach höhere Suizidgefährdung aufweisen.
In Deutschland müssen Menschen noch immer ein extrem erniedrigendes, übergriffiges und langwieriges Verfahren nach dem Transsexuellengesetz über sich ergehen lassen, wenn sie ihren Namen und den Personenstand ändern wollen. Den jüngsten Versuch, endlich Selbstbestimmung in Gesetzesform zu gießen, hat die GroKo vor einigen Wochen zusammen mit der AfD scheitern lassen. In Deutschland werden lieber die horrenden gesellschaftlichen Folgekosten in Kauf genommen, die das Vorenthalten von geschlechtsangleichenden OPs wie gesichtsfeminisierenden Eingriffen nach sich zieht, als den zumeist in Armut lebenden Frauen ein paar Tausend Euro für «Schönheits-OPs» zu überlassen.
Es gibt gute Gründe, anzunehmen, dass die Selbstverbrennung auch politisch motiviert war. Vergangenen Sonntag gedachten Dutzende des Opfers auf dem Alexanderplatz. Doch dann nahm die traurige Geschichte eine weitere, schockierende Wendung. Es wurde bekannt, dass im Unfallkrankenhaus der nackte, verbrannte Körper der Frau heimlich fotografiert worden ist. Die Aufnahmen, auf denen sowohl ihr Gesicht als auch der Unterleib zu sehen waren, zirkulierten dann in WhatsApp-Gruppen von Mitarbeiter*innen. Alfonso Pantisano, Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes, erstattete Anzeige.
Abscheu und Menschenverachtung gegenüber transgeschlechtlichen Frauen machten also nicht einmal mehr vor der Totenruhe halt. Dies hat viele transgeschlechtliche Menschen zutiefst betroffen gemacht. Sie wissen, dass auch sie gemeint sind.
Als ich von den kursierenden Fotos las, war ich gerade dabei, mich von den letzten zwei transfeindlichen Anfeindungen zu erholen, die ich jüngst auf Berliner Straßen ertragen musste. Eben jene Straßen, die vom Abgeordnetenhaus zur «LSBTIQ*»-Freiheitszone« ausgerufen worden waren. Zwei Tage nach Ellas Suizid. Darüber, dass transgeschlechtliches Leben nach wie vor existenziell bedroht ist, müssen die Medien berichten. Sachlich, fair und der Humanität verpflichtet. Und sie sollten den Namen einer in den Tod getriebenen Frau nicht vergessen: Ella.
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