Klima-Koalition trotz Nicht-Klimawahl?

Die Umweltlobby hat hohe Erwartungen an die künftige Bundesregierung und den liberal-grünen Block

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Gut eine Woche nach der Bundestagswahl steht fest: Von der Stimmung der Wähler*innen her war es keine Klimawahl. Nur für diejenigen, die den Grünen ihre Stimme gaben, stand der Klimaschutz bei der Wahlentscheidung - und das deutlich - auf Platz eins. Bei den SPD-Wähler*innen dagegen landete das Klima auf Platz drei hinter den Themenbereichen Soziales/Sicherheit und Wirtschaft/Arbeit. Bei denen, die bei Union oder FDP ihr Kreuz machten, nahm Klimaschutz abgeschlagen den vierten und letzten Platz ein. So gesehen muss die Klimalobby in den nächsten Wochen weiter dafür werben, dass das Thema in der neuen Koalition oben bleibt, gab Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Windenergieverbandes BWE, am Donnerstag bei einem Briefing als Parole aus.

Auch der vom BWE eingeladene Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte machte beim Klima ein widersprüchliches Wähler*innenverhalten aus. Das sei auch daran zu erkennen, dass manche Eltern ihre Kinder am Freitag vor der Wahl im SUV zur großen Klimademo in Berlin gefahren hätten. Für Korte haben die Deutschen generell »sicherheitsorientiert« gewählt. Eine Wechselstimmung wie beispielsweise 1998 habe es nicht gegeben, sagte der Politologe von der Universität Duisburg-Essen. Allerdings könnten wie 1998 erstmals wieder zwei Parteien aus der Opposition heraus in eine neue Bundesregierung kommen. Damals waren das SPD und Grüne, diesmal könnten es Grüne und FDP sein. Bei einer umweltpolitischen Analyse der Wahl sei aber auch das hohe Durchschnittsalter der Wähler*innen zwischen 57 und 58 Jahren zu beachten, erläuterte Korte weiter. Nur 15 Prozent seien jünger als 30 und nur ein Prozent konnte erstmals seine Stimme abgeben. »Woher also soll ein durchschlagendes Thema Klima- und Umweltschutz kommen, wenn es von jungen Leuten getragen wird?«, fragte Korte.

Einen neuen Aspekt stellt für ihn aber dar, dass Grüne und FDP eine »junge Bürgerlichkeit« repräsentierten, die sich jetzt eine Mehrheit suche. Als verbindende Elemente dieses liberal-grünen Blocks machte Korte »moralischen Ernst«, »sozialstaatliche Pragmatik« und einen »gemeinwohlorientierten Kaufmannsgeist« aus.

Für den Politikwissenschaftler lässt sich Klimaschutz gut mit Innovation und Infrastruktur verbinden, auch Markt und Nachhaltigkeit könnten originell verknüpft werden. Zugleich gelte es allerdings auch, das Gemeinwohl nicht aus dem Blick zu verlieren.

Korte ist ziemlich sicher, dass das Klimathema in der kommenden Bundesregierung einen größeren Stellenwert erhält, ob allerdings als »großer Cluster« in Form eines Klima-Superministeriums - das sei nicht so klar, betonte er beim Briefing. Gingen doch derzeit alle davon aus, dass das Klima auch beim Kanzler im Zentrum stehen soll. Für Korte zeigt sich die Wichtigkeit des Klimaschutzes weniger an der Größe eines entsprechenden Ministeriums, sondern eher daran, ob dieser vom Kanzleramt als Regierungsauftrag wahrgenommen werde.

Neben den möglichen Dreierkoalitionen »Ampel« (SPD, Grüne, FDP) und »Jamaika« (CDU, Grüne, FDP) hält Korte noch immer auch eine Neuauflage der großen Koalition unter einem SPD-Kanzler Olaf Scholz für nicht ausgeschlossen. Dies sei jedenfalls wahrscheinlicher als Neuwahlen im kommenden Jahr.

Wenn die Koalitionsverhandlungen tatsächlich begonnen haben, werden die Karten nach Ansicht von Korte und Axthelm ohnehin noch einmal neu gemischt. In den Delegationen würden dann 50 bis 60 Prozent der Verhandelnden aus den Bundesländern kommen, erinnerte Korte. Dort in den Ländern regieren bereits acht Dreier-Koalitionen. Und diese wüssten auch, wie man solche Verhandlungen führt. Windverbandschef Axthelm merkte zudem an, dass bei den Koalitionsverhandlungen 2017 insgesamt 360 Personen in 18 Arbeitsgruppen mit am Tisch saßen.

Die Erwartungen der einschlägigen Verbände an diese Runden sind durchaus groß. So ist es etwa der Wunsch der Windkraftlobby, dass die Bundesebene die restriktiven Abstandsregeln in einigen Bundesländern aufhebt.

Auch das größte zivilgesellschaftliche Klimabündnis des Landes, die Klima-Allianz Deutschland, macht Druck. Das Wahlergebnis sei ein klarer Auftrag an die Parteien: Die Wähler*innen wollten Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit, erklärte Klima-Allianz-Geschäftsführerin Christiane Averbeck zu Wochenbeginn. Alle Parteien hätten Klimapolitik in den Fokus genommen, das seien gute Voraussetzungen für die Koalitionsverhandlungen. Averbeck: »Die neue Bundesregierung muss Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad bringen, egal, aus welchen Parteien sie bestehen wird. Wir brauchen jetzt eine Klima-Koalition.«

Ob die tatsächlich aus einer Nicht-Klimawahl hervorgeht, ist allerdings noch lange nicht ausgemacht.

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