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Bayerische Datensammelwut
»EASy Gewalt und Sport« heißt die lange geheim gehaltene Datei der Landespolizei, in der sich mehr als 1600 Fußballfans wiederfinden. Aktive Fans und die Opposition gehen dagegen auf die Barrikaden.
Fußballfans sind mitunter unverhältnismäßigen Repressionen ausgesetzt. Der Schutz speziell ihrer Daten wird gerne mal vernachlässigt, wie man spätestens seit Bekanntwerden der Datei »Gewalttäter Sport« weiß. Eine neue Anfrage des Linke-Abgeordneten André Hahn im Bundestag, die sich auf die neueste Datensammlung namens »EASy Gewalt und Sport« in Bayern bezog, wurde am Mittwoch dieser Woche von der Bundesregierung beantwortet. Doch der knappe Text verriet nichts Substanzielles: Zuständig für einzelne Dateien seien die Landespolizeibehörden, weshalb die Bundesregierung dazu keine Stellung beziehen könne. Einzig eine Nutzung durch Bundesbehörden könne ausgeschlossen werden.
Damit ist weiterhin unklar, ob es neben der Datei in Bayern auch in anderen Bundesländern entsprechende Datensammlungen gibt. Linke-Politiker Hahn kommentierte dies kritisch: »Ich habe das Gefühl, dass hier nicht nur die Abgeordneten, sondern auch die betroffenen Sport- und insbesondere Fußballfans getäuscht und belogen werden.« Nun liegt es an kritischen Abgeordneten in den Landtagen, Licht ins Dunkel zu bringen, so wie es zwei der Grünen-Fraktion im Bayerischen Landtag im August dieses Jahres getan hatten, die Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze und Maximilian Deisenhofer.
Mit ihrer schriftlichen Anfrage an die Bayerische Staatsregierung sorgten die Abgeordneten damals für einen Paukenschlag in Fußballdeutschland, denn sie zwang zur Aufdeckung einer bis dahin geheim gehaltenen Datensammlung der Polizei. Wenn sich Fußballfans zu den Spielen ihrer Vereine im Freistaat Bayern aufmachen, verblasst die »boarische Gmiadlichkeit« recht schnell. Mittlerweile zum Standard geworden sind die bundesweit berüchtigten Einsatzkräfte des Unterstützungskommandos (USK), die bei vielen Fanszenen für Verärgerung sorgen. Dazu kommt ein Repressions- und Justizapparat, der besonders bei Fußballfans, aber auch bei politischen Aktivist*innen, gerne mit der von Konservativen in jeder Lebenslage geforderten »vollen Härte des Rechtsstaats« zuschlägt.
Dass der freidrehende Staatsapparat für seltsame Blüten sorgt, zeigte ein Strafbefehl eines jungen Nürnberger Ultras im Jahr 2020, als dieser für das Anbringen von drei Aufklebern unglaubliche 2243,50 Euro zahlen sollte - eine Forderung, das die Unverhältnismäßigkeit im Bezug auf Fußballdelikte exemplarisch zeigt. Der Einsatz der Rot-Schwarzen Fanhilfe aus Nürnberg verhinderte Schlimmeres. Am Ende blieb es bei 335 Euro. Unter Anwält*innen gilt in Fußballdelikten eine geringe Geldstrafe als »bayerischer Freispruch«.
Wahrscheinlich konnten sie aber nicht verhindern, dass sich der von ihnen verteidigte Fan nun in einer Kartei wiederfindet, von der die Öffentlichkeit erst durch jene Anfrage im Sommer erfahren hat: die Datei »EASy Gewalt und Sport«. »Wir stehen regelmäßig mit der Fanszene, insbesondere den bayerischen Fanprojekten im Austausch und haben im vergangenen Jahr erstmals davon gehört, dass es eine solche Datei geben soll«, umschreibt Katharina Schulze gegenüber »nd« den Grund für ihr Nachbohren bei der bayerischen Regierung. »Eine kleine Anfrage von uns hat die Existenz der Datei bestätigt, woraufhin wir einen umfangreichen Fragenkatalog an die Staatsregierung gestellt haben, um der Sache nachzugehen.«
Die meisten kommen vom »Glubb«
Auf insgesamt 16 Seit steht die Regierung dann Rede und Antwort. Dabei kommen Dinge ans Tageslicht, die die Polizeibehörden sicher gerne im Verborgenen gehalten hätten. Die im Januar 2020 eingerichtete Datei umfasst 1664 namentlich gespeicherte Personen aus allen größeren Fanszenen Bayerns. Ungewollt »Spitzenreiter« sind dabei die Fans des 1. FC Nürnberg mit 556 Eintragungen, aus der Fanszene von 1860 München sind 407 Personen verzeichnet, fast doppelt so viele wie beim Stadtrivalen FC Bayern (248).
Beachtlich ist, dass hier weit mehr Personen aus den diversen bayerischen Fanszenen verzeichnet sind als in der bundesweiten Datei »Gewalttäter Sport«. Ein Grund dafür ist das offenbar niedrigschwelligere Auswahlverfahren, das die Grünen-Politikerin Schulze »maßlos« nennt. »Als Kriterium für die Aufnahme genügt bereits eine sogenannte Individualprognose, ohne dass der konkrete Verdacht auf eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit besteht. Das finde ich schon krass.«
Dass überhaupt immer mehr Daten gesammelt werden, ist für Schulze ohnehin unverständlich. »Warum es neben der Datei ›Gewalttäter Sport‹ eine weitere Datei braucht, zumal die Zahl der Delikte und Ordnungswidrigkeiten bei Fußballspielen in Bayern kontinuierlich zurückgeht, ist mir schleierhaft«, sagt die Politikerin.
Auch der Münchener Anwalt Marco Noli schlägt Alarm. Seit Jahren betreut er Fans aus der Landeshauptstadt, die in Konflikt mit den Behörden gekommen sind. Im Gespräch mit »nd« erklärt der Jurist: »Es werden zahlreiche persönliche Daten gespeichert, darunter auch, welcher Fangruppe man zugehört und welche Fußballspiele eine Person besucht hat, und das sowohl im Inland als auch im Ausland.« Darüber hinaus erschrecken ihn die zusätzlich gespeicherten Erkenntnisse: »Es soll auch die Speicherung von Orten wie der Arbeitsstätte, dem Wohnsitz der Eltern, besuchten Orten oder Lokalen möglich sein.« Sprich: Wer als potenzieller Störer gesehen wird, könnte vor brisanten Duellen im Büro besucht werden und eine Gefährderansprache der szenekundigen Beamten bekommen - vor den Augen von Vorgesetzten und Mitarbeiter*innen. Ein für Einzelne durchaus bedrohliches Szenario, das durch das Wissen um die für ihre Unverhältnismäßigkeit bekannte bayerische Polizei nicht gerade entschärft wird.
Um als Fan in der Datei zu landen, reicht es übrigens schon, mal beim Zünden von Pyrotechnik ertappt worden zu sein oder auch gegen gegen die Stadionordnung verstoßen zu haben. In den Richtlinien der Sportanlagen ist oftmals sogar das Klettern auf Zäune untersagt.
Das im besten Bürokratendeutsch verfasste Ziel der neu geschaffenen Datei sei es, »die Prognosemöglichkeiten im Hinblick auf phänomentypische Störungen im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen im Rahmen der vorbeugenden Bekämpfung bzw. Verhinderung von damit zusammenhängenden Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu unterstützen«, wie es in der Antwort auf die Grünen-Anfrage heißt. Durch die verschiedenen Details erhoffe sich die Polizei vor allem Aufklärung zur Gefahrenprävention.
Taucht also bei vielen Anhängern eines Klubs immer die gleiche Kneipe als Treffpunkt auf, gibt es eine gute Begründung, um einen weiteren Polizeiwagen zu bestellen, der dann vor der Lokalität abgestellt wird, selbst wenn keine direkte Gefahr im Verzug ist. Im Zusammenhang mit der Tatsache, dass Fußballfans bereits jetzt über massive Polizeieinsätze klagen und auch in der Öffentlichkeit zunehmend die massive Verschwendung von Steuergeld kritisiert wird, wirkt eine überzogene Datensammlung gleichermaßen wie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.
Es geht um Grundrechte
Ein großer Kritikpunkt an »EASy Gewalt und Sport« ist dabei der kaum vorhandene Datenschutz. Grundlage für eine solche Datei muss eine verfassungskonforme Errichtungsanordnung der Polizeibehörden sein. Diese legt für jeden Anwender verbindlich fest, wie mit den Daten umzugehen ist, was wiederum die Kontrolle erleichtern soll. Dass diese Anordnung mit Vehemenz geheim gehalten wird, beunruhigt Fananwalt Noli, der die Datei für verfassungswidrig hält. »Die Speicherung der Daten ist ein erheblicher Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das sich aus der Menschenwürde ergibt. Wenn Daten wie hier auch noch systematisch gesammelt und verknüpft werden, ist dies ein umso stärkerer Eingriff in die Grundrechte.«
Noli kritisiert vor allem, dass betroffene Fans nicht über die Eintragungen informiert würden, weshalb es de facto auch keine Möglichkeit gäbe, Einspruch einzulegen. Das kritisiert auch Katharina Schulze: »Ob eine Speicherung rechtmäßig ist, muss man immer im Einzelfall bewerten. Genau da drehen wir uns aber im Kreis«, sagt die Abgeordnete. »Wenn ich als Betroffene nicht proaktiv über den Eintrag benachrichtigt werde, kann ich mich auch nicht dagegen wehren. Das kritisiert übrigens auch der zuständige Datenschutzbeauftragte Dr. Thomas Petri.«
Die Fanhilfen versuchen nun in Kooperation mit den Fanprojekten zumindest für Klarheit zu sorgen. »Das Bekanntwerden dieser Datei hat jetzt dazu geführt, dass viele Fans aus ganz Bayern mit Unterstützung der örtlichen Fanprojekte eine größere Anzahl an Auskunftsersuchen gestellt haben, um zu erfahren, ob und was über sie jeweils gespeichert ist.«
Die Fanszene des FC Bayern veranstaltete jüngst zwei Informationstage, bei denen die Ersuchen bearbeitet wurden. Für eine Abfrage der gespeicherten Daten reicht ein im Internet verfügbares Formblatt, in das die persönlichen Daten eingetragen werden, das durch eine Kopie des Personalausweises ergänzt wird. Auch wenn die Mühlen in den Polizeibehörden sehr langsam mahlen, wenn es um unangenehme Situationen geht, sind Fans nicht hilflos. Sobald eine Auflistung aller bekannten Eintragungen vorliegt, können die Fans mit Hilfe eines Rechtsbeistands die Löschung ihrer Daten beantragen, die sonst bis zu zehn Jahre durch die Polizeicomputer geistern könnten, was im Gegensatz zur Datei »Gewalttäter Sport« einer doppelt so langen Laufzeit entspricht.
Für die Zukunft wünschen sich sowohl Fananwalt Noli wie auch die Grünen-Abgeordnete Schulze eine deutliche Verbesserung der Situation und fordern eine Abschaffung der umstrittenen Datei. »Eine transparente, bürgerfreundliche Polizei wäre ein Beitrag zur Deeskalation. Verschiedene deeskalierende Handlungsoptionen haben sich in anderen Bundesländern bereits bewährt«, erklärt Noli und spielt damit auf den Modellversuch der »Stadionallianzen« in Baden-Württemberg an, bei dem Fußballspiele mit dem Minimum an Polizeikräften geschützt werden, um so Einsatzstunden und Konfliktpotenzial zu reduzieren.
Katharina Schulze will beim Thema Fanrechte am Ball bleiben und die Geschehnisse um die EASy-Datei genau im Auge behalten. Ebenso werde die Verfassungsklage gegen das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) aufrecht erhalten, bestätigte die Fraktionsvorsitzende: »Wir werden weiterhin unsere parlamentarischen Möglichkeiten ausschöpfen, um zu zeigen: Wir haben bunte und stimmungsvolle Fankurven, ein Stadion ist ein friedlicher Ort, wir brauchen keine geheimen Datenbanken und erst recht keine Überwachung im Fanblock.«
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