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- Deutsche Wohnen & Co enteignen
Enteignen - aber rechtssicher
BUND-Landesgeschäftsführer Tilmann Heuser will auf kreative Weise vor Inkrafttreten ein verfassungsrichterlich überprüftes Gesetz bekommen
Die Berliner Wählerinnen und Wähler haben dem neuen Senat mit über 56 Prozent Zustimmung einen eindeutigen Auftrag erteilt: Er soll ein Gesetz zur Sozialisierung der Wohnungsbestände renditeorientierter Großvermieter erarbeiten. Doch welche juristischen und finanziellen Schwierigkeiten die Verabschiedung eines solchen Gesetzes nach sich ziehen kann, sind weiter unklar. Nach Inkrafttreten könnte eine jahrelange juristische Hängepartie die Folge sein.
»Das könnte ein echtes Problem bei einer der zentralen Herausforderungen der Stadtentwicklungspolitik der nächsten Legislaturperiode werden - der radikalen Kehrtwende beim Klimaschutz durch ökologische Sanierung der Bestände sowie ein Zurückdrehen der Versiegelung des Bodens«, befürchtet Tilmann Heuser, Berliner Landesgeschäftsführer des Umweltverbandes BUND im nd-Gespräch. »Wir dürfen nicht Jahre in einer unübersichtlichen Diskussion zum Umgang mit dem Volksentscheid verlieren. Wenn wir jetzt nicht anfangen, schaffen wir die Klimawende nie«, führte der Umweltschützer weiter aus.
Heuser hat sich einen Weg überlegt, wie der Senat dem »eindeutigen Willen des Volksgesetzgebers folgen kann und gleichzeitig eine größtmögliche Rechtssicherheit sowie eine Abschätzung der Kosten bekommen kann«. Zunächst muss dafür das entsprechende Sozialisierungsgesetz ausgearbeitet werden. »Und zwar in einem offenen und transparenten Prozess, in dem die möglichen Knackpunkte offengelegt und gut geklärt werden«, so Heuser.
Dafür skizziert der Stadtsoziologe Andrej Holm, der einer der Unterstützer des Volksentscheids ist, die ersten Ideen. »Ich könnte mir vorstellen, dass zunächst eine zentrale Koordinierungsstelle in der Senatskanzlei geschaffen wird«, sagt er zu »nd«. Denn der klassische Mitzeichnungsprozess mit Umlaufmappe, bei dem verschiedene Senatsverwaltungen ihre Anmerkungen zum Entwurf einer federführenden Verwaltung machen, sei bei so einem Gesetzesvorhaben wahrscheinlich nicht angemessen. Schließlich beträfe die Sozialisierung verschiedene Bereiche außerordentlich, neben der Stadtentwicklungsverwaltung beispielsweise auch die Bereiche Soziales sowie Finanzen. »Außerdem wäre es sinnvoll, wenn es in dem Prozess auch einen regelmäßigen Kontakt mit verschiedenen Verbänden und der Sozialisierungsinitiative gäbe«, so Holm weiter. Eine Vereinbarung zu einem Verfahren sollte auch Teil eines neuen Koalitionsvertrages sein, fordert Holm.
Auch Tilmann Heuser vom BUND kann sich den Prozess so vorstellen. Nach der Fertigstellung des Gesetzentwurfs schlägt er jedoch einen ungewöhnlichen neuen Weg vor: »Dieser Entwurf sollte anschließend wieder der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen übergeben werden«, sagt er. Daraufhin sollte diese entscheiden, ob sie ein Gesetz so für sinnvoll hält. »Lautet die Antwort Ja, könnte sie ein erneutes Volksbegehren starten, wobei diesmal der Gesetzentwurf Teil davon ist«, schlägt er vor. Wenn die nötigen 20 000 Unterstützungsunterschriften für die erste Stufe zusammen sind - was angesichts der enormen Zustimmung für den Vorstoß kein großes Problem sein dürfte -, landet der Entwurf erneut beim Senat. »Wenn der verfassungsrechtliche Zweifel hat, kann er es nun dem Landesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegen«, erläutert Heuser. Dieses könne die Vereinbarkeit des Gesetzes mit höherrangigem Recht prüfen.
»Nur die Verfassungsgerichte haben die Autorität, eine verbindliche Entscheidung zu treffen«, sagt Heuser. Neben der grundsätzlichen Möglichkeit von Sozialisierungen könnte auch die Höhe der Entschädigung für die rund eine Viertelmillion Wohnungen abgeschätzt werden, die in Berlin davon betroffen sein könnten. »Auf dieser Basis könnte das Abgeordnetenhaus entscheiden, ob es das Gesetz annimmt«, so Heuser weiter. Und auch die Zivilgesellschaft wüsste, ob die Sozialisierung machbar ist - und zu welchem Preis.
Der BUND-Landesgeschäftsführer sieht einen weiteren Vorteil bei seinem Verfahrensvorschlag: »Der Eindruck, dass ein Gesetz absichtlich gegen die Wand gefahren worden ist, kann vermieden werden.« Negatives Beispiel ist für ihn der von der FDP angestrengte Volksentscheid zur Offenhaltung des Flughafens Tegel. »Es ist nicht gelungen, den Anhängern deutlich zu machen, woran der Weiterbetrieb tatsächlich scheitert, außer am Unwillen des Senats«, sagt Heuser. Schon nach Beauftragung des ehemaligen Bundesverwaltungsrichters Stefan Paetow mit einem Gutachten zur Möglichkeit des Weiterbetriebs von Tegel durch den Senat 2017 säte FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja Zweifel an der Unabhängigkeit. Als die schließlich 2018 vorliegende Untersuchung gleich mehrere schwerwiegende bis unüberwindbare Hürden für einen weiteren Flugbetrieb aufzeigte, sprach Czaja schließlich von einem »Gefälligkeitsgutachten«.
»Es klingt sehr sinnvoll, einen Weg zu gehen, der eine verfassungsrichterliche Vorabprüfung des Gesetzes ermöglicht«, sagt Andrej Holm zu Heusers Vorschlag. Allerdings sei er skeptisch, wenn es um die »Instrumentalisierung eines Volksbegehrens für letztlich einen Verwaltungsweg« gehe. »So eine Überlegung setzt einen vertrauensvollen Umgang zwischen der neuen Regierung und der Initiative voraus«, sagt Holm.
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