- Brandenburg
- Erinnerungsarbeit in Sachsenhausen
Lehrlinge klotzen in Gedenkstätte ran
Hennigsdorfer Berufsschüler erledigen Reparaturen im ehemaligen KZ Sachsenhausen
Mit der Spitzhacke reißt Lucas Bürger den Boden auf. In dichter Folge prasseln seine wuchtigen Schläge auf den sehr festen Untergrund. Mit Unterstützung von angehenden Fliesenlegern baut der Maurerlehrling am Neuen Museum auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen einen Ablauf für das Wasser aus der Regenrinne. Bisher strömt es einfach auf den Weg, der deswegen bereits ein wenig absackt. Künftig wird das Regenwasser ins Erdreich hinter dem Weg abgeleitet.
Das ist eines der Vorhaben auf dem Wochenplan des Hennigsdorfer Eduard-Maurer-Oberstufenzentrums beim Projekt »Lernen und Arbeiten im ehemaligen KZ Sachsenhausen«. Schon seit 1993 kommen Lehrlinge des Schulzentrums Alwin-Lonke-Straße in Bremen einmal im Jahr für eine Woche nach Sachsenhausen und reparieren dort, was es zu reparieren gibt. Seit 1998 machen die Hennigsdorfer mit. 2020 mussten die Bremer absagen, weil sie wegen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie nicht in der Jugendherberge übernachten durften. 2021 machten ihnen die Corona-Bestimmungen in ihrer Heimatstadt einen Strich durch die Rechnung.
Aber die Hennigsdorfer Berufsschüler haben keinen so weiten Weg. Sie wohnen in der Nähe und können zu Hause schlafen. Darum waren sie vergangenes Jahr allein am Werk und sind es nun seit Montag wieder. Die Lehrlinge dieses Jahr – sechs Maurer, neun Fliesenleger und acht Metallbauer, dazu vier Abiturienten mit Leistungskurs Bautechnik und 14 Gestaltungstechnische Assistenten – sind besonders emsig am Werk, als wollten sie das Fehlen der Bremer Kollegen durch ihren Fleiß ausgleichen. Die Fliesenleger beispielsweise, die an einem Ende der ehemaligen Häftlingswäscherei Rasenkantensteine erneuern, haben am Vormittag bereits alles fertig ausgeschachtet und warten eine Weile ungeduldig, bis der Beton angekarrt wird. Es ist absehbar, dass sie die im Vorjahr am anderen Ende des Gebäudes erbrachte Arbeitsleistung weit übertreffen werden. »Wir werden uns noch eine neue Aufgabe für sie ausdenken müssen«, vermutet Lehrerin Henriette Fritzke, die sowohl im Oberstufenzentrum als auch in der Gedenkstätte tätig ist.
Auch Lucas Bürger – der Maurerlehrling mit der Spitzhacke – lässt mit seinem beeindruckenden Arbeitstempo keinen Zweifel daran aufkommen, dass er hier ordentlich etwas schaffen möchte. Man sollte meinen, dass er am Abend einen heftigen Muskelkater bekommt. Doch der 19-Jährige winkt ab. Vom Fußballtraining habe er Kondition. Er spielt bei der SG Sieversdorf in der Abwehr. In der Kreisliga steht sein Verein im Moment an der Tabellenspitze. Für den Arbeitseinsatz in Sachsenhausen hat er sich freiwillig gemeldet. »Wenn jemand Hilfe braucht, komme ich sofort. Ehrenamtliche Arbeit mache ich sehr gerne«, sagt er. Für Geschichte interessiert sich der junge Mann auch ein bisschen. Aber das sei nicht der Hauptbeweggrund gewesen, sich zu melden, erklärt er. Er sei einfach hilfsbereit.
Die Gedenkstätte hat er früher schon mal in der 7. oder 8. Klasse mit der Schule besucht. Montag gab es nun einen Rundgang für die Lehrlinge. »War interessant, das alles noch einmal zu hören und auch Neues zu erfahren«, sagt er und packt bereits wieder fest den Stiel der Spitzhacke. Eine Pause gönnt er sich nicht. Wenn die beiden anderen Lehrlinge das gelockerte Material mit Schaufeln ausschippen, greift er sich einen Hammer und klopft Steine frei. Bevor der Regen zu heftig wird, der gegen 11 Uhr einsetzt, wollen die jungen Männer und einige junge Frauen möglichst weit vorankommen. Wenn sie die Arbeit wegen der Witterung unterbrechen müssen, können sie sich die Ausstellungen der Gedenkstätte anschauen.
Ein Stück weiter setzen andere Lehrlinge neue Platten auf die historische Lagermauer. Die alten sind brüchig. Deshalb müssen sie Stück für Stück ersetzt werden. Seladin Krasniqi rührt den Mörtel für die Fugen an. Er ist erst vor vier Jahren in die Bundesrepublik gekommen, spricht aber bereits ausgezeichnet Deutsch. Vorher besuchte der heute 18-Jährige ein Jahr in Frankreich die Schule. Die Chance, ins Ausland zu gehen, bekam er in seiner Heimat Albanien, weil er dort der Klassenbeste war. Er ist ein schlauer Bursche, weiß auch über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs Bescheid. Seine Heimat wurde damals zunächst vom faschistischen Italien und schließlich von der Wehrmacht besetzt. Zuvor hatten aus Deutschland geflohene Juden in Albanien Schutz gesucht, berichtet Krasniqi. Nach seinem Schulabschluss wollte er ein Handwerk erlernen, Zimmermann oder Tischler. Dass es dann eine Maurerlehre wurde, sei »Zufall« gewesen, erzählt er. »Maurer hat sich auch nicht schlecht angehört. Läuft gut.« Im zweiten Lehrjahr ist er nun.
Bereits im dritten Lehrjahr sind die Metallbauer, die in einer Halle im alten Industriehof eine Trittstufe für die einstige Krankenrevierbaracke und eine Rampe fertigen, die es Rollstuhlfahrern ermöglichen soll, in den Innenhof des Neuen Museums zu gelangen. Hinten in der Halle liegen zwei Rollstühle. Die Gedenkstätte hat sie vorrätig, falls zum Beispiel ein betagter KZ-Überlebender bei einem Besuch vor Erschöpfung nicht mehr laufen kann. Mit einem der Rollstühle möchten die Lehrlinge ausprobieren, ob ihre Rampe den Anforderungen genügt. Sie wollen Qualität abliefern und denken mit. »Sollen wir die Stangen auf der ganzen Länge verschweißen?«, fragt der 21-jährige Paul Martelock seinen Berufsschullehrer Mario Hoffmann. Der sagt: »Ja.« Aber Martelock äußert Bedenken, ob sich das Metall dann nicht verzieht. Lehrer Hoffmann überlegt kurz und bestätigt, dass dies wegen der großen Hitze beim Schweißen tatsächlich passieren könnte. Also werden die Stangen nur an einzelnen Punkten verschweißt. Pädagoge Hoffmann ist stolz auf seine Jungs. »Die können schon was«, lobt er.
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