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  • Berlin
  • Hausprojekt Rigaer Straße 94

Razzia im Morgengrauen

Kurz vor der geplanten Räumung des Köpi-Wagenplatzes in Berlin durchsucht die Polizei das Hausprojekt »Rigaer 94«

  • Darius Ossami und Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Polizei Berlin schickte am Mittwoch insgesamt 320 vermummte Vertreterinnen und Vertreter zu alles andere als freundlichen Haustürgesprächen in die Rigaer Straße.
Die Polizei Berlin schickte am Mittwoch insgesamt 320 vermummte Vertreterinnen und Vertreter zu alles andere als freundlichen Haustürgesprächen in die Rigaer Straße.

Ein Einsatz mit Überraschungseffekt: Mittwochfrüh um 7 Uhr rückte die Berliner Polizei mit 320 Beamt*innen an, um das teilbesetzte Hausprojekt in der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain zu durchsuchen. »Wir vollstrecken einen richterlich erlassenen Durchsuchungsbeschluss hier im Haus«, sagt Polizei-Sprecherin Anja Dierschke zu »nd«. Konkret gehe es darum, die Personalien der Bewohner*innen festzustellen, wer sich in welcher Wohnung befinde und ob es Miet- oder Untermietverträge gebe, so die Sprecherin. Man durchsuche sämtliche Wohnungen im Vorderhaus, dazu weitere im Seitenflügel und Hinterhaus.

Hintergrund der Durchsuchung in der »Rigaer 94« ist demnach ein entsprechender Antrag des Hauseigentümers, der Briefkastenfirma Lafone Investment Limited. Ein Vertreter des Eigentümers hatte diesen Schritt bereits im Juni angekündigt – nach einer mit Hilfe von rund 1000 Einsatzkräften durchgesetzten Brandschutzbegehung in dem Hausprojekt. Laut »Tagesspiegel« sei der Antrag der Lafone Ende Juni dann auch bei der Polizei eingegangen und Mitte September schließlich vom Amtsgericht Tiergarten genehmigt worden. Seither, so heißt es hier weiter, habe man polizeiintern auf strengste Geheimhaltung geachtet.

Tatsächlich fanden sich Mittwochvormittag vor Ort nur etwa ein Dutzend eilig mobilisierte Unterstützer*innen des Hausprojekts ein. An einer Absperrung an der Rigaer Straße, Ecke Liebigstraße riefen sie »Feuer und Flamme der Repression«. Mehr passierte zunächst nicht. Trotzdem hatte sich die Polizeiführung offenbar auf einen Einsatz mit potenziell größeren Komplikationen vorbereitet. Oder wie es der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, Benjamin Jendro, im Nachgang formulierte: auf einen Einsatz »mit einem größeren Kräfteansatz als bei einem gewöhnlichen Gebäude«. So wurde zusätzlich zur Abriegelung der Rigaer Straße zwischen Cellestraße und Liebigstraße zeitweise auch ein Sicherungstrupp der Polizei auf dem Dach der »Rigaer 94« postiert.

Gegen Mittag war der Einsatz beendet und die Beamten zogen ab. Der Polizei zufolge hatte man zuvor die Personalien von 26 Personen in 24 Wohnungen festgestellt. Außerdem habe man einen bislang unbekannten Raum im Dachgeschoss des Hinterhauses entdeckt, den man »dem Augenschein nach« als Wohnung identifiziert habe, sowie ein paar »Zufallsfunde« gemacht: zwei Reizstoffsprühgeräte und eine »Langwaffe«, bei der noch geprüft werde, ob es sich um Luftdruckgewehr oder eine scharfe Wache handele. Widerstand habe es keinen gegeben, ebenso wenig wie Festnahmen, die allerdings ohnehin nicht das Ziel des Einsatzes gewesen seien. Die Bewohner*innen hätten von sich aus die Türen geöffnet, nur eine Wohnung sei »mit technischen Mitteln« von der Polizei geöffnet worden, so Sprecherin Dierschke.

Die Darstellung der »Rigaer 94« klingt weit weniger nach freundlichem Hausbesuch. In einem »ersten Statement zur Razzia« ist die Rede davon, dass von den Einsatzkräften neben einem Fenster im ersten Stock »wieder einmal unsere Türen zerstört« wurden. Und: »In einer verbarrikadierten Wohnung im vierten Stock des Vorderhauses blieb ihnen nicht anderes übrig, als den Putz abzuschlagen und die komplette Tür rauszureißen.« Zudem seien »mal wieder Zeichnungen von Grundrissen gemacht und nach baulichen Veränderungen gesucht« worden.

Die Bewohner*innen des Hausprojekts sehen die polizeilich durchgezogene Personalienfeststellung ohnehin in einem anderen Zusammenhang: der für kommenden Freitag angesetzten Räumung des Wagenplatzes in der Köpenicker Straße 137 in Mitte. Es gebe »keinen Zweifel«, dass die Durchsuchung der »Rigaer 94« nur deshalb angesetzt worden sei, »um die rebellischen Strukturen« in zeitlicher Nähe zum Einsatz gegen den Wagenplatz der »Köpi« zu schwächen. »Ziel dieser Taktik ist es, uns zu zerfleischen und zu isolieren, unseren Widerstand und unsere Solidarität zueinander zu brechen«, so die Bewohner*innen, die bei der Gelegenheit auch zu zwei Demonstrationen für den Wagenplatz am 9. und 15 Oktober aufriefen.

Klar ist, dass im Endeffekt nicht nur dem Wagenplatz in Mitte das Ende droht. Auch der anonyme Eigentümer der »Rigaer 94« ließ über seinen Vertreter wiederkehrend verkünden, dass es ihm um die Räumung des Hausprojekts geht.

Mindestens irritiert über den brachialen Auftritt der Polizei zeigt sich deshalb auch der Innenexperte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. »Es zeigt die Absurdität in unserer Gesellschaftsordnung, dass mit so einem Riesenaufwand die Interessen von dubiosen Eigentümern durchgesetzt werden«, sagt Niklas Schrader zu »nd«. Zu bislang nicht bestätigten Berichten, nach denen es die Beamt*innen keineswegs bei der Identitätsfeststellung belassen hätten, sagt Schrader: »Was nicht sein darf, ist, dass die Polizei die Gelegenheit beim Schopf ergreift und über die gerichtliche Anordnung hinaus Maßnahmen durchführt. Wer vor den anderen Respekt vor dem Rechtsstaat verlangt, sollte sich selbst daran halten.«

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