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Von Leipzig nach Ramallah

Fall von Antisemitismus in dem Leipziger Westin-Hotel spaltet die Netzgemeinde

Ein Aufschrei geht seit Dienstag durch das Internet. Der Grund: Einem mehr oder weniger erfolgreichen Sänger jüdischen Glaubens wurde nach eigener Aussage das Einchecken in das Leipziger Westin-Hotel verwehrt, weil er eine Halskette mit einem Davidstern trug. Der Vorgang spaltete das Netz in mehrere Lager: Die einen bekundeten ihre Solidarität mit dem betroffenen Gil Ofarim, der 1997 als Teenager für eine Foto-Lovestory in der Jugendzeitschrift »Bravo« entdeckt wurde. Die anderen erklärten, dass der Vorgang in dem Hotel bisher nicht bewiesen sei und daher die Unschuldsvermutung für zwei beschuldigte Angestellte gelte.

Die Debatte war – wie bei dem Thema Antisemitismus üblich – hitzig. Vieles, was gesagt wurde, war im Rahmen des Vertretbaren, manches aber auch nicht. Zu letzterem zählen sicherlich abstruse Statements auf Twitter, demnach habe Ofarim den Vorgang frei erfunden und sich aus PR-Gründen in der Öffentlichkeit geäußert. nd-Kollege Robert D. Meyer schleuderte diesen Leuten folgenden, viel beachteten Tweet entgegen: »Menschen, die #GilOfarim nun unterstellen, er haben den Vorfall aus PR-Gründen öffentlich gemacht, haben #Antisemitismus und dessen Auswirkungen nicht verstanden.« Das blieb natürlich nicht unkommentiert. Vor allem rechte Twitter-User fühlten sich von Meyer und anderen Tweets, die in dieselbe Kerbe schlugen, sagen wir: herausgefordert. Motto: Antisemitismus ist ein Problem von Rechten mit Springerstiefeln – und das war’s.

Apropos Twitter von rechts: Der Account DieInsider, eine Recherchegruppe, die sich durch »AfD-nahe Facebook-Gruppen wühlt«, postete am Mittwoch im Kurznachrichtendienst: »Es war abzusehen: Täter-Opfer-Umkehr bei der #no-AfD. Aber nicht nur dort. Auch verschiedene Kommentarspalten auf FB, vor allem bei der @BILD, sehen so aus.« Auf dem Facebook-Account des Hetzblattes aus dem Hause Springer ist tatsächlich viel Unappetitliches zu lesen. Kostprobe gefällig? »JEDER normale Mensch hätte sich an den Hoteldirektor oder Polizei gewandt. Seine Aktion ist schon merkwürdig.« Oder: »Durch so Aktionen kriegt man schnell 50 000 Instagram Follower mehr. Unabhängig davon ob die Geschichte stimmt oder nicht.«

Manchem auf Twitter gelingt sogar das »Kunststück«, die Nahostkarte in der Auseinandersetzung um die Vorfälle im Hotel zu spielen. Gudrun Assmann zum Beispiel, eine Frau, die auf Kriegsfuß mit den »Zionisten« zu sein scheint, schreibt: »Deutschland ist keine Hochburg des Antisemitismus, das ist Antideutsche und sonstige Israel Lobby Propaganda«, erwidert sie auf einen nd-Kommentar des Autors dieser Zeilen, der mit Bezug auf mehr als 230 antisemitischen Vorfälle im laufenden Jahr die Bundesrepublik als »Hochburg« des Judenhasses bezeichnete. Das muss man beziehungsweise frau auch erst mal hinkriegen: eine Linie von Leipzig direkt nach Ramallah sozusagen.

Doch bei allem Stuss, der seit Mittwoch getwittert wird, gibt es sie noch, die Guten, diejenigen Menschen, die Antisemitismus nicht für frei erfunden halten, sondern sich dieser menschenverachtenden Haltung entgegenstellen. So schrieb zum Beispiel »Marcus«: »Ich hatte mir mal als Jugendlicher einen Davidstern in Jerusalem gekauft. Sehr schade, dass ich den irgendwann verloren habe. Jetzt wäre genau die richtige Zeit, ihn aus Solidarität zu tragen.« Und »Andy« twittert: »Er bleibt da wo er ist unverdeckt! Gegen jeden #Antisemitismus. meine volle Solidarität mit #GilOfarim.« Mit »er« ist ein Davidstern an einer Kette gemeint, die der User um den Hals trägt und das Foto davon gepostet hat.

Der Protest blieb jedoch nicht nur digital. Am Abend nach dem Vorfall versammelten sich Hunderte Menschen, um ein Zeichen gegen Judenhass vor Ort zu setzen. Brisant: Als Sicherheitsfirma für das Hotel während der Kundgebung wurde offenbar die »PRO GSL Security« beauftragt. Laut Belltower News sollen die Geschäftsführer dieses Unternehmens Verbindungen in die extrem rechte Szene haben. Unter anderem sollen sie am 20. April 2015, an Hitlers Geburtstag, an einer »Legida«-Demonstration in Leipzig teilgenommen haben, heißt es weiter.

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