Partnerschaft ohne Alternative

Spannungen beim EU-Ukraine-Gipfel erwartet

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 5 Min.

Dass es zwischen der Ukraine und dem Westen kriselt, ist in den letzten Monaten deutlich sichtbar. Kurz vor der Fertigstellung der umstrittenen Pipeline Nord Stream 2 wurde etwa die Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Abschiedsbesuch in Kiew im August ungewöhnlich kühl empfangen. In Kiewer Regierungskreisen kritisiert man stets die fehlende Anerkennung der Friedensoffensive des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im umkämpften Donbass: Am Anfang seiner Amtszeit habe er riskante Schritte wie Truppenentflechtungen an der Frontlinie unternommen, die zu wenig wertgeschätzt werden. Die Ukraine habe mehr Unterstützung verdient, heißt es.

Nun aber, kurz vor dem Gipfeltreffen der Ukraine und der EU am Dienstag in Kiew, platzte ausgerechnet dem ukrainischen Chefdiplomaten Dmytro Kuleba der Kragen. Botschafter der G7-Länder, die per Twitter den Reformprozess in der Ukraine kommentierten und bewerteten, mischten sich zu stark in die ukrainische Innenpolitik ein. »Ich bin der Minister, der die G7-Botschafter am wenigsten trifft, obwohl sie meine unmittelbaren Gesprächspartner sein sollten. Generell genießen die Botschafter in der Ukraine einen Luxus, der ukrainischen Botschaftern in ihren Ländern vorenthalten wird. Dieses Problem haben wir selber geschaffen«, so Kuleba in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Interfax. »Unsere Botschafter müssen oft 33 Ebenen durchgehen, bis sie zum Minister gelangen. Fangen wir endlich an, uns selbst zu respektieren. Wir müssen für die Unterstützung dankbar sein, aber wir müssen auch aufhören, ständig die zweite Nummer in einer Partnerschaft zu spielen.«

Es ist nicht das erste Mal in diesem Jahr, dass der eigentlich zurückhaltende Kuleba mit Blick auf den Westen und insbesondere auf die EU deutlich wird. Als die ehemalige estnische Präsidentin Kersti Kaljulaid die Ukraine besuchte und mit harten Worten Schlagzeilen machte – unter anderem sagte sie, dass die Ukraine nicht vor 2040 mit der angepeilten EU-Mitgliedschaft rechnen sollte und meilenweit von der Erfüllung der nötigen Kriterien entfernt sei –, reagierte der ukrainische Außenminister ungehalten. Das Grundproblem sei doch, dass der EU der politische Willen fehle, der Ukraine die Perspektive einer Mitgliedschaft anzubieten. Sonst sähe die Lage womöglich deutlich anders aus. »Wir glauben den Versprechen des Westens nicht «, betonte Kuleba sogar im Interview mit der britischen Zeitung »The Independent«.

Mehr Erwartungen aus Kiew an den Westen

Aber auch sein Vorgesetzter, Präsident Wolodymyr Selenskyj, hält sich mit öffentlicher Kritik zuletzt nicht besonders zurück. Er erklärte offen, dass er von den Staatschefs Deutschlands und Frankreichs im sogenannten Normandie-Format zur Beilegung des Donbass-Krieges mehr erwartet hatte. EU und Nato bezeichnet er als »zerbröckelnde Strukturen«, weil einige Mitglieder der Bündnisse sich weigern, die Ukraine aus Angst vor einer Verschlechterung der Beziehungen mit Russland aufzunehmen. Kritik am schleppenden Tempo der Reformen in der Ukraine hält der Präsident für unbegründet. Laut Selenskyj ist die Ukraine das Land mit dem höchsten Veränderungstempo in Europa.

Offiziell soll es bei dem Gipfel in Kiew nun vor allem um die Unterzeichnung des bereits 2013 paraphierten Abkommens über den gemeinsamen Luftraum gehen. Die Verschiebung um sieben Jahre ist Ergebnis eines Streits zwischen Großbritannien und Spanien über den Status des Flughafens von Gibraltar. Daher kann dieses Abkommen kaum als Erfolg der Diplomatie zwischen Kiew und Brüssel gelten. Zudem sollen bei dem Treffen neue Geldzahlungen an die Ukraine als Unterstützung für Infrastrukturprojekte diskutiert werden. Doch eigentlich geht es bei dem jährlichen Treffen hinter verschlossenen Türen vor allem um die Bewertung des Fortschrittes, den die Ukraine aus der Sicht der EU im letzten Jahr machte. Dass dabei diesmal so wenig auf dem Tisch liegt, ist bereits ein klares Zeichen. Und dass der ukrainische Präsident Selenskyj zuletzt prominent in den sogenannten Pandora Papers vorgekommen ist, dürfte die Stimmung kaum verbessern.

Tatsächlich ist die Ukraine an ihrer Abhängigkeit von der EU und vom Westen zum Teil selbst schuld. Deklarative Schritte wie die Festschreibung der Zielsetzung von EU-Beitritt und Nato-Mitgliedschaft in der Verfassung waren nicht unbedingt notwendig. Auch der übergroße Einfluss der G7-Botschafter wäre ohne die Zustimmung Kiews so wohl nicht entstanden. Das Problem sei, dass nach der russischen Annexion der Krim und dem Beginn des Donbass-Krieges die Umorientierung auf andere Partner wie China schlicht unmöglich sei, sagt der präsidentennahe Politologe Wolodymyr Fessenko gegenüber der ukrainischen Zeitschrift »Focus«: »Einige Leute im Präsidententeam haben naive Vorstellungen, was China betrifft. Solange China partnerschaftlichen Beziehungen mit Russland pflegt, ist eine politische Umorientierung mit Blick auf Peking unmöglich.«

Dagegen hält es Fessenko für notwendig, die Unzufriedenheit mit dem Westen noch deutlicher zu machen. Sonst werde die Ukraine tatsächlich als Partner zweiter Klasse wahrgenommen. »Wir müssen unsere Stärke demonstrieren und auf die Punkte hinweisen, bei denen die Positionen des Westens für uns inakzeptabel sind. Wir müssen klar betonen, dass westliche Unterstützung wichtig ist, um die Aggression Russlands in der Ukraine einzudämmen. Sie ist allerdings bisher unzureichend und ineffektiv.« Kostjantyn Jelissejew, der außenpolitische Berater des Ex-Präsidenten Petro Poroschenko, sieht das anders: »Die letzten verbalen Angriffe haben keine Bewunderung in Brüssel ausgelöst. Mit der aktuellen Rhetorik riskiert die Regierung, die Ukraine-Müdigkeit in der EU zu vertiefen. Die Ukraine muss den Gipfel nutzen, um die Beziehungen mit EU wieder richtig auszubalancieren.«

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