Unterricht ohne Seiteneinsteiger kaum denkbar

Brandenburg sucht ohne großen Erfolg mehr ausgebildete Pädagogen - der Anteil der Umsteiger aus anderen Berufen an Schulen ist hoch

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Waren die Abstände zwischen leistungsstarken Schülern aus ambitionierten Elternhäusern zu denen aus »bildungsfernen« Familien schon immer groß, so hat die Coronazeit diese noch vergrößert. Die einen haben in den Lockdown-Monaten nichts versäumt und kontinuierlich weiter Wissen angehäuft. Die anderen wissen heute zum Teil weniger als vor zwei Jahren. Die angekündigten Ergebnisse der Lernstandsanalysen liegen nicht vor, aber gleichwohl weiß René Mertens, Sprecher des Landeselternrates Brandenburg, was dabei herauskommen dürfte: »Alles halb so schlimm. Wir kriegen das schon hin.« Wenn Schulen 3000 Euro für soziale Projekte bekämen, sei dies »purer Aktionismus«.

Lehrer stehen heute vor einer gespaltenen Elternschaft: Die einen wollen neuen Lernstoff für ihre Kinder, die anderen Festigung des früher Gelernten. Hier einen Weg zu finden, der es allen recht macht und alle Seiten befriedigt, ist für sie ein echtes Problem.

Das Bildungsministerium geht davon aus, dass es nach der Lockdown-Zeit erheblichen individuellen Förderbedarf gibt, und kündigt die Einstellung weiterer 200 Pädagogen an. Angesichts von 900 Schulen im Land nicht viel, wie Eltern- und Schülervertreter zu bedenken geben. Für Günther Fuchs, Landeschef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), stellt sich die Frage, wie man angesichts des leer gefegten Lehrkräfte-Marktes überhaupt Fachleute einstellen will. »Wir können nicht mal alle unbefristeten Lehrerstellen besetzen, und diese zusätzlichen Posten sind auf zwei Jahre befristet.«

An Teilung der Klassen ist nicht zu denken

Das Ministerium erklärte nach Ferienende aber: »Für das neue Schuljahr 2021/22 konnten wieder alle Stellen besetzt werden.« Der Anteil der sogenannten Seiteneinsteiger an den unbefristeten Einstellungen sei leicht gesunken. In der schulischen Praxis aber fehlen neben Lehrern auch Sonderpädagogen, Psychologen und Sozialarbeiter. Die Verbliebenen sind nicht selten mit der Einarbeitung von Seiteneinsteigern befasst. An eine Teilung von Klassen als Voraussetzung dafür, Lernrückstände wieder aufzuholen, ist unter diesen Bedingungen gar nicht zu denken.

Wenn auch - laut Erklärung - der Anteil der Seiteneinsteiger unter den unbefristet eingestellten Lehrern leicht gesunken ist, so ist doch ihr Gesamtanteil an den Lehrkräften erneut gestiegen. Rund 21 000 Lehrerinnen und Lehrer sind derzeit in Brandenburg an den staatlichen Schulen beschäftigt. Der Anteil der Seiteneinsteiger, also der Menschen ohne Lehrerausbildung, liegt bei 12,9 Prozent. Vor drei Jahren waren es etwas über 10 Prozent.

Die regionalen Unterschiede sind beträchtlich. Im attraktiven Potsdam, dort, wo die Lehrerbeamten gern wohnen, ist der Anteil mit unter fünf Prozent am niedrigsten. Auch im »Speckgürtel« um Berlin ist er mit durchschnittlich 10 Prozent noch relativ gering. Doch in der Fläche des Landes gibt es Schulen, wo ohne Seiteneinsteiger inzwischen gar nichts mehr geht. Die höchsten Quoten weisen der Landkreis Ostprignitz-Ruppin mit 23,3 Prozent und die kreisfreie Stadt Frankfurt (Oder) mit 21,5 Prozent aus. In den Gesamtschulen der Oderstadt machen Seiteneinsteiger inzwischen 29 Prozent des pädagogischen Personals aus. Laut Ministerin Britta Ernst (SPD) nehmen im laufenden Schuljahr rund 460 Seiteneinsteiger an der pädagogischen Grundqualifizierung teil.

Aus fachlichen Gründen ist der Anteil der Seiteneinsteiger an Förderschulen sehr hoch, denn der dort typische »Zweitlehrer« in der Lerngruppe benötigt nicht zwingend eine Lehrbefähigung. Dagegen ist ihr Anteil in den Gymnasien vergleichsweise niedrig.

Stipendium mit Bindung an Bedarfsschule

Um mehr reguläre Lehrkräfte einstellen zu können, vergibt das Land unter anderem das mit 23 Plätzen gestartete Landlehrer-Stipendium. Die Stipendiaten, die sich verpflichten, in einer »Bedarfsschule« Brandenburgs zu unterrichten, erhalten seit Oktober 600 Euro monatlich sowie spezielle Fortbildungen und ein Mentorenprogramm. Dafür sagen sie zu, an einer ausgewählten Schule mit Lehrermangel ein Praktikum, ihr Praxissemester und den Vorbereitungsdienst zu absolvieren. Außerdem müssen sie dort nach dem Abschluss mindestens so viele Schulhalbjahre als Lehrkräfte arbeiten, wie zuvor das Stipendium gewährt wurde. Ähnlich war es in der DDR. Dort erhielten alle Studierenden ein Stipendium, das ihnen die Finanzierung der Grundbedürfnisse während des Studiums ermöglichte. Im Gegenzug verpflichteten sie sich dazu, drei Jahre nach Abschluss des Studiums dorthin zu gehen, »wo die Gesellschaft sie benötigt«.

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