Experten sollen Wahlchaos aufarbeiten

Innensenator behält sich ebenfalls juristische Schritte gegen Ergebnisse der Abgeordnetenhauswahl vor

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Noch im November soll eine bei der Senatsinnenverwaltung angesiedelte Expertenkommission damit beginnen, das Berliner Wahldebakel Ende September aufzuarbeiten und Lösungsvorschläge für die Zukunft zu erarbeiten. Das kündigte Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Freitag auf einer Sondersitzung des noch amtierenden Innenausschusses des Abgeordnetenhauses an. Die Kommission werde auch »überprüfen, ob die Landeswahlleitung und die Bezirkswahlämter personell und organisatorisch neu aufgestellt werden müssen«, sagte Geisel.

Während der Sitzung kamen dann auch noch einmal die zahlreichen Pannen beim Wahlablauf vor drei Wochen auf den Tisch: die falschen und fehlenden Stimmzettel, der Personalmangel, das Versagen der beauftragten Dienstleister für den Druck der Stimmzettel und die Auslieferung der Briefwahlunterlagen. Einig war man sich über die Parteigrenzen hinweg, »dass das in die Hose gegangen ist«, so zumindest die Formulierung des rechtspolitischen Sprechers der Linksfraktion, Sebastian Schlüsselburg. Der SPD-Abgeordnete Christian Hochgrebe nannte die zahlreichen Unregelmäßigkeiten »erschütternd«. CDU-Fraktionschef Burkard Dregger, der den Einzug ins nächste Abgeordnetenhaus bei der Wahl verpasste, sprach vom »Vertrauensverlust in die Funktionsfähigkeit unserer demokratischen Ordnung«.

Nachdem der Senat in den ersten Tagen nach der Wahl eher darum bemüht war, das Wahlschlamassel kleinzureden, sagte Innensenator Geisel nun: »Der Senat hat das Problem verstanden. Wir verstehen auch die Dimension.« Und: »Es ist erheblicher Schaden entstanden, den ich zutiefst bedaure.«

Das immerhin freute den innenpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion, Benedikt Lux, der sich bei Geisel dafür bedankte. »dass der Senat den Schuss jetzt gehört« habe. »Das sah ja am Anfang nicht danach aus.« Auch Lux vergaß es freilich nicht, dem Senator unter die Nase zu reiben, dass sich Berlin mit der Wahldurchführung »zum Gespött der Republik« gemacht habe.

Nun soll es also eine Expertenkommission unter Einbeziehung des Parlaments richten. Die Einrichtung einer solchen Kommission hatte nicht zuletzt die Linksfraktion mehrfach gefordert. Dementsprechend zufrieden zeigte sich auch Linke-Politiker Sebastian Schlüsselburg. Zumal die Sondersitzung des Innenausschusses damit »nur den Beginn der Aufklärung« markiere.

Geisel zufolge laufen die Vorbereitungen für die Besetzung des Gremiums bereits. In der Kommission sollen demnach neben Praktikern, Wissenschaftlern und Juristen auch »Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft« vertreten sein. Geisel sprach von »Demokratie Jetzt«, meinte vermutlich aber den Verein Mehr Demokratie.

Die Kommission solle dabei auch prüfen, ob das Berliner Wahlrecht überarbeitet werden muss, damit künftig in allen Berliner Bezirken die gleichen Standards gelten. Hart ins Gericht ging Geisel bei der Gelegenheit mit der Vorbereitung der Wahlhelfenden. So habe es Wahlhelfende gegeben, die Erst- und Zweitstimme nicht auseinanderhalten konnten. Sein Fazit: »Wir müssen über die Qualität der Schulungen sprechen.«

Zugleich wollte er nicht ausschließen, dass sein Haus vor dem Landesverfassungsgerichtshof Einspruch gegen die Ergebnisse in einzelnen Wahlbezirken einlegen wird: »Ich behalte mir das für die Innenverwaltung auch ausdrücklich vor.« Bereits am Donnerstag hatte die Ex-Landeswahlleiterin Petra Michaelis erklärt, von den Verfassungsrichtern die Erststimmen in den Wahlkreisen Marzahn-Hellersdorf 1 und Charlottenburg-Wilmersdorf 6 überprüfen lassen zu wollen (»nd« berichtete). Möglicherweise, so Geisel, werde sein Haus angesichts der »Rechtsverstöße, die es unzweifelhaft gegeben hat«, auch Einspruch gegen Ergebnisse in anderen Wahlkreisen einlegen. Letztlich wolle er aber erst einmal »das Gesamtwahlergebnis analysieren«, bevor er entscheide, »ob wir in diesen zwei angesprochenen Wahlkreisen beanstanden oder ob das darüber hinausgeht«.

Tatsächlich können bis dahin noch fast zwei Monate ins Land gehen. Das endgültige Ergebnis der Abgeordnetenhaus werde laut Geisel in drei Wochen im Amtsblatt des Landes Berlin veröffentlicht. Erst im Anschluss können Institutionen und Parteien – anders als die Wählerinnen und Wähler – vor das Verfassungsgericht ziehen. Vier Wochen haben sie dann dafür Zeit. Dann endet die Einspruchsfrist. Wie der Landeswahlausschuss hat auch die AfD und die häufig als Satirepartei verstandene Die Partei bereits angekündigt, von ihrem Einspruchsrecht Gebrauch machen zu wollen.

Das Wahlergebnis stehe indes, so Innensenator Geisel bei aller Zerknirschtheit, trotz der Unregelmäßigkeiten in über 200 Wahllokalen »insgesamt« nicht in Frage. Der Konstituierung des neuen Berliner Abgeordnetenhauses am 4. November stehe damit nichts mehr im Weg.

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