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- Russland und das Gasgeschäft
Putins Kalkül in der Gaskrise
Erpresst Russlands Regierung die EU, um eine schnelle Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zu erreichen?
Europa zittert vor dem Winter: Vor allem die Erdgaspreise sind in den vergangenen Wochen drastisch gestiegen. In der EU wird vielfach Russland für die Misere verantwortlich gemacht. Das trifft zwar kaum zu. Allerdings versucht Präsident Wladimir Putin, die Gunst der Stunde zu nutzen, um das Gasgeschäft mit Europa neu zu regeln.
Während bei den Abnehmern in Europa die Energierechnungen steigen, profitiert der russische Staatskonzern Gazprom. Allein im ersten Halbjahr 2021 lag sein Gewinn bei zwölf Milliarden Euro, berichtet die Zeitung »Vedemosti«. Auch der russische Staat kann mit 50 Milliarden US-Dollar mehr Einnahmen als im letzten Jahr rechnen, wie die Ratingagentur Fitch berechnete. Im letzten Jahr habe Gazprom nämlich für durchschnittlich 143 US-Dollar pro Kubikmeter Gas exportiert, in diesem Jahr sei es ein Durchschnittspreis von 320 US-Dollar gewesen.
In der EU wird Russland eine Mitschuld am Preishoch gegeben. Schon Ende September teilte die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris mit, Russland könne »mehr tun, um die Verfügbarkeit von Gas in Europa zu steigern.« Der IEA-Direktor Faith Birol sagte am 7. Oktober der Financial Times, Russland habe Kapazitäten, um die Liefermenge im Winter um 15 Prozent zu erhöhen.
Tatsächlich hatte Gazprom in den vergangenen Wochen zwar seine vertraglich zugesicherten Lieferverpflichtungen erfüllt, aber kaum noch zusätzliche Volumen an den sogenannten Spot-Märkten angeboten, wo zu schwankenden Marktpreisen Erdgaslieferungen verkauft werden. Erst am 6. Oktober kündigte Präsident Wladimir Putin an, wieder zusätzliche Volumen über die Ukraine zu liefern. Russlands Kritiker beruhigte das nicht. »Immer offenherziger macht Moskau deutlich, dass es Europas Gasprobleme lösen könnte - wenn die EU ihre Außenpolitik gegenüber dem Land neu ausrichte. Das ist genau die Art von Erpressung, vor der die Kritiker der Gaspipeline Nord Stream 2 immer gewarnt haben«, schrieb Clemens Wergin am Dienstag in der »Welt«. Moskau liefere weniger Gas, um auf eine baldige Inbetriebnahme der mittlerweile fertiggestellten Ostseepipeline Nord Stream 2 zu drängen. Mitglieder der russischen Regierung wiesen tatsächlich in den letzten Wochen immer wieder demonstrativ darauf hin, dass eine schnelle Inbetriebnahme der Pipeline helfen könne, den Gasmarkt zu entspannen. Diese ist zwar betriebsbereit, doch steht immer noch die Zertifizierung durch deutsche Behörden aus.
Am Mittwoch bezeichnete Wladimir Putin bei der Russischen Energiewoche in Moskau den Vorwurf, Russland setze seine Energielieferungen »als Waffe ein,« jedoch als »politsch-motivierten Unsinn«. Selbst im Kalten Krieg habe Russland immer alle Gaslieferverträge mit Europa eingehalten. Die Ursachen für die hohen Energiekosten seien eher bei der EU selbst zu suchen, etwa bei der wachsenden Bedeutung von erneuerbaren Energiequellen, wodurch es zu Strompreisschwankungen komme. Auch für Russland seien »Stabilität und Vorhersagbarkeit wichtig.« Deshalb, forderte der russische Präsidenten, »sollten wir einen ernsten und substanziellen Dialog zwischen Energieproduzenten und -konsumenten führen.« Putin deutete damit an, welches Ziel die russische Regierung in der derzeitigen Preiskrise verfolgt: Sie wünscht sich mehr Zusagen über langfristige Importvolumen von europäischer Seite. Früher war der europäische Gasmarkt von solchen langfristigen Lieferverträgen über zehn bis 25 Jahre geprägt, bei denen der Gas- an den Ölpreis gebunden war. Doch seit den neunziger Jahren hat die EU immer mehr darauf hingearbeitet, einen flexibleren Markt für Erdgas zu schaffen, auf dem Pipelinegas mit Flüssiggaslieferungen aus aller Welt konkurriert. Der bestimmende Preis dort ist der des Spotmarktes, der kurzfristig stärker schwankt, da der Spotmarkt die kurzfristige Nachfrage bedient
Für die heutigen Preisschwankungen sei deshalb auch nicht allein Russland verantwortlich, sagte Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik. »Vielmehr funktioniert der Markt jetzt genau so, wie sich die EU-Kommission das immer gewünscht hat«, erklärte sie im »Handelsblatt«. »Es gibt keine langfristigen Lieferverträge mehr, die Ölpreisbindung ist längst weggefallen, der Gaspreis bildet sich kurzfristig und ist volatil geworden.« Nun sieht Russland die Krise als Chance für eine Rückkehr zum alten System: »Putin will die EU dazu drängen, einige ihrer Regeln für den Gasmarkt zu ändern, nachdem die EU jahrelang Moskaus Wünsche ignoriert hat«, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf mit diesen Plänen vertraute Personen. Gazprom wolle demnach wie früher wieder mehr langfristige Lieferverträge mit einer Bindung des Gaspreises an den Ölpreis. Die EU habe einen Fehler gemacht, als sie stattdessen auf Gasverkäufe auf den Spotmärkten setzte, sagte Putin bereits am 6. Oktober.
Auch der geopolitische Konflikt zwischen EU und Russland spielt bei dieser Auseinandersetzung eine Rolle. Ende September schloss Ungarn einen Vertrag mit Gazprom über die Lieferung von 4,5 Milliarden Kubikmetern Gas jährlich. Mit 15 Jahren Laufzeit ist es genau die Art von langfristigen Verträgen, die sich Russland wünscht. Doch stellte Russland eine Bedingung: Das Gas sollte nicht mehr wie früher durch die Ukraine geleitet werden, sondern durch Serbien und Österreich. So gehen der Ukraine nicht nur Transitgebühren verloren, das Land befürchtet auch, Russland wolle es, allen Beteuerungen zu Trotz, nach der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 ganz aus dem Gastransit ausschließen.
Die deutsche Regierung hat versprochen, dass auch nach Ende der bisherigen Transitverträge im Jahr 2024 russisches Gas durch die ukrainischen Pipelines fließen soll. Die Verhandlungen darüber stehen aber ebenso wie die letztliche Klärung des für Nord Stream 2 bewilligten Transportvolumens noch aus. Russland hat immer wieder betont, Gastransit durch die Ukraine nach 2024 sei zwar möglich, jedoch nur, wenn Europa auch zusichere, genug Gas abzunehmen.
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