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Die Legende vom Einzeltäter
Ulrich Chaussy erinnert an das Oktoberfest-Attentat von 1980 und klagt an
Am 26. September 1980 erfolgte in München der bis heute folgenreichste Anschlag in Deutschland: das Oktoberfest-Attentat mit 13 Toten und mehr als 200 Verletzten. Drei Monate später, am 19. Dezember 1980, wurden in Erlangen der jüdische Rabbiner Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke ermordet. Die Spuren beider Verbrechen führten zur antisemitischen »Wehrsportgruppe Hoffmann«, die bis 1980 ungestört in Bayern ihre Unwesen treiben konnte, bevor sie der damalige Bundesinnenminister Gerhart Baum verbot.
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Ulrich Chaussy: Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen. Wie Rechtsterrorismus und Antisemitismus seit 1980 verdrängt werden. Ch. Links, 360 S., geb., 20 €.
Bayerns Ministerpräsident Franz-Josef Strauß machte unmittelbar nach dem Oktoberfest-Attentat ebenjenen FDP-Minister als angeblichen Verharmloser des »linken Terrors« für den Anschlag mitverantwortlich. Der CSU-Chef und dessen Mitstreiter hatten zuvor die paramilitärische Einheit immer wieder bagatellisiert und befanden das Verbot als überflüssig, denn »Wehrsport« sei schließlich nicht strafbar. Den Attentäter nannten sie einen »Einzeltäter«. Und Hoffmann selbst setzte die antisemitische Verschwörungserzählung in die Welt, der israelische Geheimdienst stecke hinter dem Anschlag.
Als »Einzeltäter« sind immer wieder, bis heute, rechtsradikale Täter bezeichnet worden. Hintermänner und Hetzer wurden und werden nicht belangt. In München kam der sogenannte Einzeltäter bei seinem Anschlag selbst zu Tode. Der Attentäter von Erlangen soll im Libanon Selbstmord begangen haben, wohin ihm mit Hilfe von Hoffmann die Flucht gelungen war. Zur Erleichterung von Polizei, Justiz und Politik, die auf dem rechten Auge blind waren und sind.
Die Medien wurden eingelullt. Einzig der Journalist Ulrich Chaussy ließ nicht locker, forschte trotz aller Hemmnisse weiter. Er war einer der wenigen, die die Legende vom »Einzeltäter« hartnäckig hinterfragten und auf das gefährliche rechtsextreme Netzwerk rund um die »Wehrsportgruppe Hoffmann« hinwiesen.
Chaussy zeichnet akribisch das mörderische Geschehen »auf der Wiesn« 1980 nach, porträtiert den mutmaßlichen Attentäter Gundolf Köhler, der nicht so verzweifelt, verbittert und suizidal gewesen zu sein scheint, wie es Polizei und Staatsanwaltschaft im Abschlussbericht behaupteten. Er sprach mit Augenzeugen, fragt, wie es sein kann, dass ein von Köhler abgestellter Koffer plötzlich verschwand und Asservaten seltsamerweise vernichtet wurden, sodass eine später mögliche DNA-Analyse einer vor Ort aufgefundenen abgerissenen Hand sowie von Zigarettenstummeln in Köhlers Auto nicht durchgeführt werden konnte. Und was es mit dem Suizid eines polizeibekannten Bombenbauers auf sich hat.
Das Buch liest sich wie ein Krimi. Chaussy lässt Angehörige der Opfer und Bekannte des Täters sprechen. Bereits 1985, fünf Jahre nach dem Anschlag, hat er zum Thema publiziert. Inzwischen hat er neue Erkenntnisse gewonnen und verarbeiten können. Chaussy schrieb auch das Drehbuch zum 2013 erschienenen beeindruckenden Spielfilm »Der blinde Fleck«, der das Oktoberfest-Attentat problematisierte.
Neu ist in seinem jetzt erschienenen Buch die Verknüpfung mit dem drei Monate später verübten Doppelmord in Erlangen an Shlomo Lewin und dessen Frau. Der jüdische Rabbiner hatte sich für das Verbot der »Wehrsportgruppe Hoffmann« eingesetzt. Doch der Mord an ihm wurde von den Medien zunächst als eine Reaktion auf dessen Lebensweise bezeichnet. Man erinnere sich: Ähnlich wurden anfangs die NSU-Morde bewertet. Auch da wurden erst einmal die Opfer verdächtigt. Der Attentäter von Erlangen, Uwe Behrendt, hatte ebenfalls der »Wehrsportgruppe Hoffmann« angehört. Dass Hoffmann ihm zur Flucht ins Ausland verhalf, hatte für jenen keine strafrechtlichen Konsequenzen.
Im Sommer vergangenen Jahres sind die Ermittlungen im Fall des Oktoberfest-Attentates eingestellt worden. Auch wenn es am Tatort eine Erinnerungsstele gibt, so bleibt der Umgang mit diesem ruchlosen Verbrechen beschämend. Ulrich Chaussy ist für seine Erinnerung daran und die Anklage staatlichen Versagens zu danken.
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