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Politische Pokerrunden

Michael Koß über Demokratie ohne Mehrheiten

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 2 Min.

Als der Politikwissenschaftler Michael Koß, Jahrgang 1971 und in Lüneburg lehrend, dieses Buch konzipierte, waren die Turbulenzen nach der Bundestagswahl 2021 noch nicht abzusehen. Nun kann er sich einer gewissen Voraussicht rühmen: »Demokratie ohne Mehrheit« ist Wirklichkeit geworden, da SPD und CDU nicht mehr miteinander koalieren wollen und somit auf Partner angewiesen sind, die sie auch erpressen könnten. FDP und Grüne pokern um die besten Angebote für ihr eigenes Renommee. Fast schien es, als ob sie die beiden Parteien mit den immer noch meisten Stimmen vor sich hertreiben würden.

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Michael Koß: Demokratie ohne Mehrheit. Die Volksparteien von gestern und der Parlamentarismus von morgen.
Dtv, 70 S., geb., 20 €.

»Die übersichtlichen Zeiten sind vorbei«, konstatiert Michael Koß an einer Stelle des Buches, sogar mit einem gewissen Genuss. Sowieso rückten sie mit den klaren Fronten des Kalten Krieges, der mit Westbindung (BRD) und Neutralität (Österreich) politische Leitplanken setzte, in die Vergangenheit. Daraus folgte, so der Autor, ein »Drift in die politische Mitte«, der heute so nicht mehr gilt. Der »Normalzustand eines eher entgrenzten politischen Wettbewerbs« sei zurückgekehrt, zumal es heute neue Konfliktfelder gibt. Das sieht er gelassener als viele, denen er einerseits zu »reflektierter Entschleunigung« - »man muss nicht jedem Stöckchen hinterherrennen« - und andererseits zu politischem Engagement rät: »Haben Sie ruhig ein wenig Angst um die Demokratie.« Und: »Fluchtpunkt politischen Handelns sollen die Parteien sein.« Von plebiszitären Elementen hält der Autor wenig.

Wie so oft im politischen Diskurs gaben die Erfolge der AfD für dieses Buch den Anstoß. Dass in Thüringen eine Minderheitsregierung aus Linkspartei, SPD und Grünen politikfähig ist, stützt indes die Sicht des Autors, der auch im Bund eine Minderheitsregierung für möglich hält - und gar nicht so schlimm, wie das manchen erscheinen mag.

Als Parteienforscher beschäftigt sich Koß allerdings vornehmlich mit diesen und weniger mit den sozialökonomischen Hintergründen ihres Wirkens. Dennoch geht es stets um Kapitalinteressen und Verteilungskonflikte, die sich deutlich auch in den verschiedenen Konzepten der Besteuerung ausdrücken. Eine Regierung von SPD, Grünen und der Linken hätte die Schere zwischen Arm und Reich vermutlich ein Stück schließen können.

Dass die Linke mit geringer Stärke in den Bundestag kommt, ist eigenen Fehlern geschuldet, jedoch letztlich im Interesse der oberen 0,1 Prozent der Bevölkerung, die 20 Prozent des Nettovermögens besitzen.

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