Cruyffs Erben

Zirkus Europa: Berauschendes Ajax, einst und heute. Und jetzt gegen Borussia Dortmund in der Champions League

  • Sven Goldmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Generalprobe am Sonnabend lief dem Klischee entsprechend. Eher bescheiden. 2:0 beim SC Heerenveen, Ajax Amsterdam hat schon sehr viel bessere Spiele gezeigt. Aber jetzt freuen sie sich in der Johan-Cruyff-Arena erst mal auf diesen Dienstag. Auf den ganz großen Fußballzirkus und das Gastspiel von Borussia Dortmund - es ist das aufregendste Duell am dritten Spieltag der Champions League.

Ajax hat, wie der BVB, seine ersten beiden Spiele der Gruppe C gegen Sporting Lissabon und Besiktas Istanbul gewonnen. Und Trainer Erik ten Hag verfügt über eine bemerkenswert angriffslustige Mannschaft. Mit dem brasilianischen Künstler Antony, dem früheren Frankfurter Sébastien Haller oder dem aus Rotterdam akquirierten Steven Berghuis. Aber ob die Reise durch Europa noch mal so weit gehen wird wie vor zwei Jahren, als es beinahe für das Endspiel gereicht hätte?

Zirkus Europa
Früher schlicht Europapokal der Landesmeister genannt, ist die Champions League heute inszeniertes Spektakel und Gelddruckmaschine des Fußballs. Sven Goldmann schaut hier immer mit einem historischen Blick auf den kommenden Spieltag.

Im Frühjahr 2019 ist Ajax eines der aufregendsten Teams der Welt. Da sind Hochbegabungen wie Matthijs de Ligt und Frenkie de Jong, der schnelle Flügelstürmer Hakim Ziyech; in vorderster Linie gibt der clevere Dusan Tadic die Kommandos. Diese Mannschaft spielt so hinreißend schön, dass sie in Amsterdam schon von einer neuen Ära träumen, von einer Renaissance der frühen 70er Jahre, als das von Johan Cruyff angeführte Ajax dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister gewann.

Cruyffs Erben kegeln 2019 im Achtelfinale Titelverteidiger Real Madrid raus und im Viertelfinale Juventus Turin. Im Halbfinale gegen Tottenham Hotspur sind sie längst kein Außenseiter mehr. Donny van de Beek schießt das Tor zum 1:0-Sieg im Hinspiel an der White Hart Lane. Zur Halbzeit des Rückspiels steht es nach Toren von de Ligt und Ziyech 2:0 für Ajax. Was soll, was kann da noch passieren?

Am Abend zuvor hatten Jürgen Klopps Liverpooler im anderen Halbfinale das Barça des Lionel Messi mit 4:0 aus Anfield gefegt - und das nach einer 0:3-Niederlage beim Hinspiel im Nou Camp. Der Vorrat an Wundern scheint für diese Champions-League-Saison aufgebraucht. Dann kommt Tottenham. Das Aschenputtel unter den großen Klubs, lieb und nett, aber doch nicht groß genug für das ganz Große.

Ajax stürmt weiter, trifft noch einmal den Pfosten - und scheitert am Ende, wenn auch großartig. Weil Tottenham das nur scheinbar entschiedene Spiel noch dreht, mit einem finalen Tor zum 3:2 in der sechsten Minute der Nachspielzeit. Der Mann dieser denkwürdigen Nacht heißt Lucas Moura. Der Brasilianer ist nur in die Mannschaft gerutscht, weil Klublegende Harry Kane wegen einer Verletzung nicht mitkicken kann. In Amsterdam schießt Moura alle drei Tore und sich selbst in den Heldenstatus.

Und doch halten sich Sympathie und Beifall für den Sieger in Grenzen. Viele Fans leiden mit Ajax, dem ewigen Ausbilderverein, der seine Mannschaft in ein paar Wochen verlieren wird - die gierige Konkurrenz wedelt schon mit den Schecks. Ein Finale zwischen Liverpool und Ajax hätte die Romantik bedient und nostalgische Erinnerungen geweckt an eine Zeit, in der Europas Fußballzirkus nicht allein ein Wettstreit unter den Magnaten des Großkapitals war. So bleibt die milliardenschwere Premier League im Finale von Madrid unter sich. Liverpool siegt ohne größere Mühe 2:0, weil die Londoner von Tottenham mal wieder das Aschenputtel unter den großen Klubs geben.

Und Ajax? Muss mal wieder eine neue Mannschaft aufbauen. Frenkie de Jong geht im Sommer 2019 zum FC Barcelona und Matthijs de Ligt zu Juventus Turin, Hakim Ziyech wechselt ein Jahr später zum FC Chelsea. Nur Dusan Tadic gibt immer noch in vorderster Linie die Kommandos - das nächste Mal an diesem Dienstag gegen Borussia Dortmund.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.