Umweltschützer als ausländische Agenten

Wladimir Sliwjak, Träger des Alternativen Nobelpreises 2021, über den Kampf gegen die Atomkraft in Russland

  • Bernhard Clasen
  • Lesedauer: 6 Min.

Ich gratuliere Ihnen zum Alternativen Nobelpreis. Was bedeutet der Preis für Sie?

Das ist eine Unterstützung für die Zivilgesellschaft. Dieser Preis lenkt die Aufmerksamkeit auf die Umweltaktivisten in Russland. Genauso wie der Friedensnobelpreis für Dmitri Muratow von der »Nowaja Gaseta«. Wir Aktivisten der Umwelt- und Menschenrechtsbewegung sind in Russland gefährdet. Einige sitzen im Gefängnis oder mussten fliehen, weil sie strafrechtlich verfolgt werden.

Interview
Wladimir Sliwjak stammt aus Kaliningrad. Als Umweltschützer war er schon zu Zeiten der Sowjetunion aktiv. 1989 gehörte zu den Gründern der Organisation Ecodefense. Der 48-Jährige, der auch die Webseite globalcoal.news herausgibt, gehört neben Aktivisten aus Kamerun und Kanada zu den Trägern der Alternativen Nobelpreise 2021 der Right-Livelihood-Stiftung. Sie werden Anfang Dezember überreicht. Mit Sliwjak sprach Bernhard Clasen.

Sie bleiben in Russland?

Ja. Es ist natürlich schwierig, hier Umweltarbeit zu machen, aber man kann etwas bewegen. Deswegen bleibe ich.

Ihre Organisation Ecodefense zählt zehn Aktivistinnen und Aktivisten. Kann man mit so wenigen Menschen etwas bewegen?

Was wir an Quantität nicht bieten können, müssen wir an Qualität haben. Und unsere Aktivisten sind hoch motiviert. Sie wissen, dass jederzeit Gefängnis oder Gewalt drohen können, und machen trotzdem weiter. Alle unsere Mitglieder sehen ihre Arbeit für die Umwelt als Sinn ihres Lebens an. Und wir können auch auf eine ganze Reihe von Erfolgen blicken. So haben wir in Kaliningrad den Bau eines Atomkraftwerkes verhindert, das für die Produktion von Exportstrom gedacht war. Im Kontakt mit westlichen Umweltschützern und Banken konnten wir erreichen, dass Letztere hierfür keine Kredite vergaben.

Nahe Kaliningrad kümmern wir uns auch um den Naturpark Kurische Nehrung (er liegt etwa zu gleichen Teilen in Russland und Litauen, d. Red.), ein Vogelparadies. Dort ist die Parnidis-Düne, eine der höchsten Wanderdünen Europas, zunehmend von den durch die Klimakatastrophe hervorgerufenen starken Stürmen bedroht. Wir beobachten die Düne regelmäßig, veröffentlichen Berichte. Auch wenn wir von der Naturparkverwaltung kritisiert werden, weil wir angeblich das Image Russlands schädigen, wurden einige unserer Vorschläge zur Rettung der Düne umgesetzt.

Sie und Ihre Mitstreiter sind für einen Ausstieg Russlands aus der Atomenergie und aus der Kohleverstromung. Findet so eine radikale Position im Land Unterstützung?

Zur Atomenergie arbeiten wir seit über 30 Jahren. Ich glaube, ein Russland ohne Atomkraftwerke ist möglich. Sehen Sie sich Sibirien an: Dort gibt es kein einziges AKW, Strom und Heizung funktionieren aber auch, weil Sibirien Wärmekraftwerke hat. In den nächsten 15 Jahren muss die Hälfte der 38 Atomreaktoren abgeschaltet werden, weil sie ihr Laufzeitende erreichen. Doch Russland plant nicht den Bau von 19 neuen Reaktoren. Also muss etwas anderes her. Der Augenblick jetzt ist günstig für ein Umsteigen auf erneuerbare Energien. Hier ist übrigens die Entwicklung vergleichbar mit der in den USA.

Aber die Kohle ist weiter fester Bestandteil der Energiewirtschaft. Glauben Sie wirklich, dass Russland bereit ist, bald aus der Kohleverstromung auszusteigen?

Kürzlich hat Russland beschlossen, bis 2060 aus der Kohleverstromung auszusteigen. Das ist eine erfreuliche Tatsache. Natürlich sind wir mit dem Zeitplan nicht zufrieden. Aber nun hat man zumindest schon mal ein Datum, an dem man sich abarbeiten kann. In Deutschland geht es ja auch nur noch darum, ob man den für 2038 geplanten Ausstieg ein paar Jahre vorzieht.

Wie kommt es, dass Russland überhaupt einen Kohleausstieg plant?

Russland hat Angst vor einer CO2-Steuer auf internationaler Ebene. Die Europäische Union könnte ab 2025 Importe aus Russland damit belegen. Das wäre ein schwerer Schlag. Immerhin kommt die meiste Steinkohle, die etwa Deutschland verfeuert, aus Russland. Offensichtlich hofft man, mit einem Ausstiegsplan eine EU-Steuer zu verhindern.

Man kann also auf Russland einwirken?

Ja, aber nicht mit Worten, sondern mit Taten. Ein weiteres Thema: Russland will Wasserstoff produzieren, der Westen will ihn in großen Mengen kaufen. Hier erwarte ich mir von der EU, dass sie durchsetzt, dass russischer Wasserstoff nur gekauft werden darf, wenn er ökologisch produziert worden ist. Also nicht mit Atomstrom oder Erdgas, sondern mit erneuerbaren Energien.

Ecodefense arbeitet mit Umweltgruppen in anderen Ländern zusammen.

Die Zusammenarbeit mit unseren Freunden in Deutschland, Frankreich, Italien, Südafrika und anderswo ist sehr wichtig. So haben wir es gemeinsam mit südafrikanischen Umweltorganisationen geschafft, die Pläne der russischen Atombehörde Rosatom zu durchkreuzen, dort acht Reaktoren und weitere Anlagen wie eine Brennstofffabrik zu bauen. Wir machten einen Vertrag zwischen Rosatom und Südafrika öffentlich, den ein südafrikanisches Gericht für gesetzeswidrig erklärte.

Wie sind die Kontakte nach Deutschland?

Wir arbeiten mit dem Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen, dem Arbeitskreis Umwelt in Gronau und der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg zusammen. Besonders intensiv 1996 bis 2008. In dieser Zeit wurden über 27 300 Tonnen abgereichertes Uran als »Wertstoff« nach Russland transportiert. Gemeinsam mit unseren Freunden in Deutschland haben wir einen Stopp dieser Transporte erreicht. 2010 bekämpften wir gemeinsam einen Castor-Transport mit alten Brennstäben aus dem Kernforschungszentrum Rossendorf zur russischen Wiederaufarbeitungsanlage Majak. Beim Thema Bankkredite für Atomanlagen in Russland arbeiten wir mit der Gruppe Urgewald zusammen.

Besonders erfolgreich waren wir bei Atommülltransporten: Wir haben 2000 den Import von Atommüll aus Bulgarien, 2004 die Transporte aus Ungarn nach Russland und 2009 die Atommülltransporte aus Gronau nach Sibirien gestoppt.

Warum sind der Atomwirtschaft die Transporte nach Russland so wichtig?

Ich glaube, da geht es nicht in erster Linie um Profite. Es sollte vor allem gezeigt werden, dass man auf dem Energiemarkt in Europa ohne Angst vor Sanktionen kooperieren kann. Gerade bei den Atomtransporten wurden keine Sanktionen verhängt, daher wird nun die Zusammenarbeit zwischen der westlichen und der russischen Atomwirtschaft ausgebaut. Ein Beispiel ist das Joint Venture von Rosatom mit der französischen Alstom bei der Produktion von Turbinen. Mit Framatome aus Frankreich will Rosatom ein Werk zur Produktion von Kernbrennstäben bauen.

Russland exportiert auch Atomkraftwerke. Bezahlt werden diese mit russischen Krediten. Lohnt sich das?

Auch hier geht es vor allem um Politik. Wenn man ein AKW in einem Land wie Bangladesch oder Belarus baut, ist dieses auf Jahre von Russland abhängig. Es braucht Ersatzteile, Brennstäbe, Entsorgungsmöglichkeiten und Kredite. Für mich ist die Atomenergie, die aus geopolitischen Gründen exportiert wird, besonders gefährlich, weil der Sicherheitsaspekt in den Hintergrund tritt. Wie in Japan: Dort hatte man aus politischen Gründen lange Zeit Berichte über Sicherheitsmängel verschwiegen. Im Ergebnis bekamen wir die Katastrophe von Fukushima.

Ihre Organisation ist in Russland als »ausländischer Agent« eingetragen. Erschwert das Ihre Arbeit?

Ja, erheblich. Wer will schon etwas mit einem ausländischen Agenten zu tun haben? Das ist eine Diskriminierung. In den letzten sieben Jahren hatten wir 30 Verfahren. Der Vorwurf war immer der gleiche: Verletzung des Gesetzes zu ausländischen Agenten. Gegen unsere Vertreterin in Kaliningrad, Alexandra Korolewa, laufen mehrere Strafverfahren. Sie hat in Deutschland Asyl erhalten.

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