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- Flutfolgen im Ahrtal
Alleingelassen nach der Katastrophe
In von der Juli-Flut besonders hart getroffenen Sinzig sind die Bewohner beim Wiederaufbau weitgehend auf sich gestellt
Unweit der Stelle, wo die Ahr in den Rhein mündet, liegt Sinzig-Nord. Der Sinziger Ortsteil besteht aus Wohnhäusern und Geschäftsbetrieben und ist eingerahmt von Schnellstraßen. Das Gebiet wirkt zusammengewürfelt: ein Supermarkt, Getränkevertriebe, die Zulassungsstelle für Kraftfahrzeuge, Werkstätten. Dazwischen ein Gewächshausbetrieb, der zu einer Reihe von Caritas-Einrichtungen gehört, die Menschen mit psychischen Erkrankungen beschäftigen.
Die Adresse »Am Teich« nördlich der Ahr verspricht Idylle. Hier stehen einige Einfamilienhäuser aus Holz mit Sonnenkollektoren auf den Dächern. Gegenüber liegen vier Wohnblocks, die mit öffentlichen Geldern als »Sozialer Wohnungsbau« mit Mietpreisbindung errichtet wurden und Migrantenfamilien ein Zuhause bieten. Daran schließen sich weitere Eigenheime und ein Garagenareal an. Von einem Teich allerdings ist weit und breit nichts zu sehen. Wenige Hundert Meter weiter südlich fließt die Ahr, die »Wilde Tochter des Rheins«. Entlang der zwei Sportplätze verläuft der »Grüne Weg«, doch von Grün ist hier wenig zu sehen.
Als Mitte Juli das Hochwasser kam, war Mitternacht längst vorbei, erinnert sich ein Anwohner, der mit der ganzen Familie und Freunden dabei ist, sein Haus »Am Teich« zu renovieren. Er und andere Anwohner seien in der Nacht immer wieder zur Ahr gegangen, um abschätzen zu können, wie hoch das Wasser steigen würde. Ein Nachbar habe eine Hochwasser-App auf dem Handy gehabt, die den Pegelstand bei Altenahr – 20 Kilometer Luftlinie westlich von Sinzig gelegen – angeben sollte. Der Wasserstand habe nur knapp über fünf Meter gelegen, erinnert der Mann sich: »Wir fühlten uns einigermaßen sicher. Aber wir wussten nicht, dass der Pegel da schon längst abgerissen war. Die Angaben waren falsch.« Das Wasser stieg und stieg. Erst weit nach Mitternacht habe er mit seiner Familie das Haus verlassen und sei zu Freunden gefahren, die weit genug vom Hochwassergebiet entfernt wohnen, erzählt er. Andere Menschen aus Sinzig-Nord mussten mit Schlauchbooten der Feuerwehr evakuiert werden.
Drei Monate später sind die Verwüstungen in Sinzig-Nord noch deutlich zu sehen. Freiwillige Helfer sammeln in einem Getränkemarkt herumliegende Flaschen auf, reinigen sie, verpacken sie in Kisten, die sie stapeln. Die Kfz-Zulassungsstelle liegt ebenso verlassen wie das gegenüberliegende Caritas-Gewächshaus. Ein aus Holz geschnitzter Engel hängt an einem Baum, die Hände zum Gebet gefaltet. Flügel und Gewand der Figur sind mit Schlammresten verschmiert.
Freiwillige aus Heidelberg sind vor Ort und versuchen, den Menschen, die sie »Am Teich« antreffen, zu helfen: »Brauchen Sie Pflaster, Desinfektionsmittel, Hygieneartikel«, fragt eine Helferin, die wie ihre Tochter eine Notfallapotheke als Bauchladen mit sich trägt. Eine Gruppe von Heidelberger Baumpflegern hilft einem türkischen Familienvater, dessen Sohn und Freund, ihr Haus von Schlamm zu befreien. Er habe in der Flutnacht im Keller des Hauses gesessen und Schlagzeug gespielt, erzählt Herr Konca, ein drahtiger, schmaler Mann. Seine Frau habe ihm gesagt, er solle hochkommen, die Flut käme, doch er habe es nicht geglaubt, erinnert er sich an die Nacht. Die Feuerwehr habe ihn dann mit einem Schlauchboot gerettet. Die Eltern lebten in Scheidung, entschuldigt sein Sohn die mangelnde Kommunikation zwischen Vater und Mutter. »Ich gehe zurück in die Türkei«, verkündet Herr Konca. Anders als die Nachbarhäuser sieht das Haus der Familie Konca sauber wie frisch gestrichen aus. »Sandgestrahlt«, lacht Herr Konca und zeigt auf die Heidelberger Helfer. »Diese guten Männer helfen uns schon das dritte Wochenende.«
Die Koncas bestätigen, was auch andere Anwohner der Straßen »Am Teich« und »Grüner Weg« in Sinzig-Nord berichten: »Die leerstehenden Häuser sind nicht sicher. Diebe kommen am helllichten Tag, um aus den leerstehenden Wohnungen zu plündern, was sie abtransportieren können«, sagt der Vater. Die anderen Häuser ihrer kleinen Reihenhaussiedlung seien leer. Dort hätten zumeist alte Leute gewohnt. Deren Kinder seien gekommen und hätten die Eltern abgeholt. Manche Haustüren und Fenster sind verbarrikadiert. Vielleicht seien sie versichert gewesen und würden eine Entschädigung erhalten, meint Herr Konca mit Blick auf die Nachbarhäuser. »Wir haben keine ausreichende Versicherung gehabt. Aber das Haus ist alles, was wir haben. Wir müssen renovieren, damit wenigstens unser Sohn hier weiter wohnen kann.«
Ärger über das THW
Auf der Kripper Straße unterhält sich die Helferin Jenny mit dem Fahrer eines Kleinbaggers. »Da drüben, an der nächsten Ecke rechts auf dem Grünen Weg gibt es etwas zu essen«, sagt sie dem Mann im Führerhäuschen. Die beiden helfen seit Wochen im Ahrtal und haben sich wie viele andere Freiwillige an den verschiedensten Orten des Katastrophengebietes immer wieder getroffen.
Der Baggerfahrer stellt sich als Herr Kaiser vor. Fremd sei ihm das Bedienen des Geräts nicht, sagt der gelernte Gartenbauer. Heute sei er Metallbauer und wohne in Bad Honnef, etwas nördlich von Sinzig am Rhein gelegen. Seit Wochen helfe er beim Aufräumen, sagt Kaiser. Dreck und Schlamm und anderen Müll schaufelt er aus Wohnungen und Kellern vor die Häuser, dann nimmt ein Schaufelbagger den Dreck auf, um ihn auf einen der vielen Lkw zu schütten. Die Fracht der Laster wird, ebenfalls von Freiwilligen, auf die nächste Müllkippe gefahren.
Da er keinen eigenen Bagger habe, erzählt Kaiser, habe er am Morgen versucht, beim THW, dem Technischen Hilfswerk, einen zu bekommen. Es gebe keinen Bagger, habe der THW-Mitarbeiter geantwortet, er solle bei anderen THW-Stellen anrufen, irgendwo gebe es sicher einen, der nicht gebraucht werde. Er selbst könne das nicht organisieren. Nach vielem Hin und Her sei klargeworden, dass der THW-Mitarbeiter mit den freiwilligen Helfern einfach nicht zusammenarbeiten wollte oder sollte. Er sei selbst viele Jahre Mitglied im THW gewesen, sagt Kaiser kopfschüttelnd. Doch das, was er seit Wochen im Ahrtal mitbekomme, habe ihn so auf die Palme gebracht, dass er ausgetreten sei.
»Hier stehen Geräte im Wert von Millionen Euro herum, die nicht eingesetzt werden. Und wir Kleinunternehmer arbeiten freiwillig mit unseren Geräten auf eigene Kosten und werden nicht mal unterstützt«, schimpft Herr Kaiser. Die einfachen THW-Mitarbeiter seien dafür nicht verantwortlich zu machen, doch die Führung gehöre ausgetauscht. Nicht nur das THW, der gesamte Katastrophenschutz müsse überdacht werden, fügt er aufgebracht hinzu. So wie er derzeit aufgestellt sei, habe er im Ahrtal nicht funktioniert.
Ein anderer Baggerfahrer kommt vorbei, die Männer tauschen Neuigkeiten aus. Helferin Jenny erinnert beide noch mal an die Essenversorgung. Sie ist Angestellte und hilft seit dem ersten Wochenende nach der Flut im Ahrtal. Gleich am Anfang sei sie mit anderen Freiwilligen nach Sinzig-Nord gekommen, wo sie Schlamm aus den Kellern der Mehrfamilienhäuser in der Straße Am Teich schippten. Das Hochwasser hat eine deutliche Linie hinterlassen, die etwa einen halben Meter über die Höhe der Erdgeschosswohnungen reicht. »Alles muss gründlich dekontaminiert werden, aber niemand hat sich bisher die Mühe gemacht, das in die Wege zu leiten.«
Jenny steht im Eingang eines Hauses, in dem sie mit Absolventen der Hochschule der Polizei geholfen hat, und sieht sich kopfschüttelnd um. Noch immer liegen Müll und Dreck vor den Gebäuden, ein strenger Geruch liegt über allem. An der schlammverschmutzten Tür klebt ein Zettel des Deutschen Mieterbundes. Die eine Woche nach der Flut ausgesprochene fristlose Kündigung der Mieter in den Wohnblocks »Am Teich« sei unrechtmäßig, heißt es da. »Sie müssen ihre Wohnung nicht verlassen.« Doch ohne Strom und Wasser sind auch die Wohnungen im zweiten, dritten und vierten Stock nicht nutzbar, sagt Jenny. Die meisten Leute seien einfach weg und nicht wiedergekommen.
Wenige Schritte weiter sitzt eine Familie neben ihrem Auto. Sherin und Asmat Alo stammen aus der syrischen Stadt Aleppo, ihre Wohnung liegt im vierten Stock. Erst wurde ihnen fristlos gekündigt, dann hieß es, sie könnten doch bleiben, sagt Frau Alo und versucht die vier Kinder zu beruhigen, die unruhig hin und her laufen. Zerstört worden sei ihre Wohnung nicht. »Doch wir haben kein Wasser, keinen Strom. Nun sollen wir in diese Toilettenhäuschen gehen und drüben steht ein Duschwagen.« Der Bürgermeister von Sinzig sei gekommen und habe Strom und Wasser versprochen, doch nichts sei seitdem passiert, erzählt Sherin Alo. Ihr Mann habe die Arbeit in einer Kfz-Werkstatt verloren, sagt sie: »Wo sollen wir hin, wer unterstützt uns, was soll aus uns werden? Sehen Sie sich um, wir leben hier auf dem Müll!«
Erschöpft und ausgebrannt
Jenny hat sich bei dem Gespräch abseits gehalten. Sie wirkt unruhig. Immer wieder stelle sie fest, wie wichtig das Zuhören sei. »Man kann noch so viele Getränke verteilen und noch so viel Nervenfutter, den Menschen einfach mal zuhören tut ihnen unglaublich gut.« Dabei könne man eigentlich keine der Geschichten mehr ertragen. Jenny spricht auch über sich selbst, als sie das sagt. »Es ist unglaublich. Vor fünf Wochen haben wir hier alles rausgeholt, und der Müll liegt immer noch da. Vor einer Woche gab es hier nicht mal Toiletten und keinen Sanitäter. Hier haben sich Leute geschnitten, niemand war da für eine Grundversorgung, es gab kein Essen.«
Sie hält inne, Tränen stehen ihr in den Augen. Wut, Unverständnis, Erschöpfung liegen in ihrer Stimme, als sie sagt: »Die Katastrophe ist zu groß für die Menschen. Auch wir Freiwillige, die wir seit Wochen Zeit, Geld und unsere Kraft geben, können den Mangel nicht beheben.« Zur Ohnmacht der Betroffenen und der freiwilligen Helfer komme das Entsetzen darüber, dass auch Politik und Verwaltung in Stadt und Land ihrer Verantwortung nicht gerecht würden.
Dabei war die 18.000-Einwohner-Stadt im rheinland-pfälzischen Landkreis Ahrweiler eine der am schlimmsten von der Katastrophe betroffenen Kommunen. Hier starben allein im Haus der Lebenshilfe, einem Pflegeheim für Behinderte, zwölf Menschen. Insgesamt gab es in Sinzig 14 Todesopfer. In der hochwassererfahrenen Stadt übertrafen die Pegelstände alles, was in den letzten 200 Jahren zuvor gemessen worden war. Die Verantwortlichen der Stadt hatten Säcke, Sand und Schaufeln an vermeintlich sicheren Orten bereitgestellt. Doch alles sei weggespült worden, berichtete Bürgermeister Andreas Geron im Juli gegenüber Journalisten. Die Geschwindigkeit, mit der das Wasser anstieg, habe man nicht vorhergesehen.
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