- Berlin
- Geflüchtete
Anpacken gegen Flüchtlingsnot
Verein schickt Hilfsgüter an belarussische Grenze
»Unser Vereinssitz ist in Bad Freienwalde, nur zehn Minuten von der polnischen Grenze entfernt. Wir können nicht einfach tatenlos die Situation mit anschauen«, sagt Axel Grafmanns zu »nd«. Er ist geschäftsführender Vorstand des Berlin-Brandenburgischen Vereins »Wir packen’s an«, der nächsten Mittwoch einen Lkw voll mit Hilfsgütern an die polnisch-belarussische Grenze schicken will. Viele Geflüchtete beispielsweise aus dem Irak oder Afghanistan sitzen dort fest, die Lage ist katastrophal.
Seit einer Woche habe der Verein Geldspenden gesammelt, 14.000 Euro seien dabei bisher zusammengekommen, berichtet Grafmanns. »Das ist mehr, als wir erwartet haben. Davon besorgen wir dringend benötigte Güter wie Powerbanks, regenfeste Schuhe und kalorienreiche Nahrungsmittel.«
Der Vereinsvorstand schildert die Notlage der Geflüchteten im polnisch-belarussischen Grenzgebiet. »Die Menschen frieren, haben nichts zu essen und sie trinken aus Sümpfen. Polen will eine Mauer zu Belarus bauen und hat eine Zone eingerichtet, in der Hilfsorganisationen der Zugang verwehrt bleibt. Das ist ein politisches Problem«, sagt Grafmanns. Die wichtigste Forderung des Vereins sei daher, dass an den EU-Außengrenzen Rechtsstaatlichkeit hergestellt werde, denn durch illegale Rückführungen und menschenrechtswidrigen Umgang mit Geflüchteten werde aktuell geltendes Recht gebrochen.
Wenn der 7,5 Tonnen schwere Laster sich am Mittwoch auf den Weg ins Grenzgebiet macht, sitzt Sigrid von Klinggräff mit einer weiteren Fahrerin hinter dem Steuer. »Ich finde die Unterstützung vor Ort superwichtig und freue mich, dass ich in dieser Form helfen kann«, sagt sie zu »nd«. Sie habe in ihrem Leben schon viele große Laster und Reisebusse gefahren, weshalb sie sich bestens für die Aufgabe gewappnet sieht. Aktuell wohnt von Klinggräff in Neukölln und arbeitet in der Geschäftsführung des Republikanischen Anwälte- und Anwältinnen-Vereins.
»Mir ist die rechtliche Ebene im aktuellen Diskurs sehr wichtig«, sagt Sigrid von Klinggräff. Es werde auch im Innenministerium zum Beispiel von »illegaler Einreise« gesprochen, obwohl das nicht zutreffe, denn es gelte internationales Menschenrecht. »Das macht mich wahnsinnig wütend. Es kann nicht sein, dass geltendes Recht mit Füßen getreten wird«, so die engagierte Frau.
Auch in der Hauptstadt selbst gibt es Unterstützungsbedarf für Geflüchtete. Der Flüchtlingsrat Berlin befürchtet eine Verschlechterung der Standards bei der Unterbringung, sagt Martina Mauer zu »nd«. Zum Beispiel lebten Menschen mit abgeschlossenem Asylverfahren bisweilen weiterhin in den Unterkünften des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten, weil sie keine Mietwohnungen finden, erklärt sie. »Nun braucht das LAF aber die Plätze in den Unterkünften für neu ankommende Menschen, und fordert deshalb, dass diejenigen, die nicht mehr im Asylverfahren sind, ausziehen«, sagt Mauer. Es brauche eine größere Anstrengung, Menschen den Zugang zu Mietwohnungen zu ermöglichen und in den Unterkünften berlinweit hohe Qualitätsstandards sicherzustellen, so Mauer.
Die Initiative »Moabit hilft«, die sich seit 2013 für Geflüchtete einsetzt, sieht das auch so: »Es müssen in der kommenden Zeit Qualitätsstandards in den Unterkünften durchgesetzt werden, gerade in den temporären Unterkünften wie den Wohncontainern«, sagt Gründerin Diana Henniges. Die Unterstützungsarbeit für Geflüchtete werde aber nicht erst in den kommenden Wochen akut. »Es ist ja nicht so, als hätte es die ganze Zeit keine Arbeit gegeben. Bei uns gibt es einen sehr großen rechtlichen Beratungsbedarf und wir haben hohe Anwält*innenkosten zu decken, weshalb wir fortwährend am Spenden-Sammeln sind«, sagt Henniges.
Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten sieht sich gut vorbereitet, alle Ankommenden angemessen zu versorgen. »Wenn wir eine Unterkunft eröffnen, dann haben wir alles, was benötigt wird, vor Ort«, sagt Sprecherin Monika Hebbinghaus. Zivilgesellschaftliches Engagement sei aber immer zu begrüßen. So sieht es auch die Integrationsverwaltung: »Berlin hat ein weitverzweigtes, solidarisches Netz von Unterstützerinnen und Unterstützern, die in den vergangenen Jahren bereits eine sehr gute, integrative Arbeit für die geflüchteten Menschen geleistet hat. Diese Arbeit wird auch in den kommenden Wochen besonders wichtig sein«, sagt Sprecher Stefan Strauß.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.