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Sölden eröffnet die Saison - und erntet Kritik
Sport, Wirtschaft, Umwelt: In der Diskussion um den frühen Start der Skirennläufer prallen viele Interessen aufeinander
Die Bäume im Tal schimmern in den schönsten Farben. Die Temperaturen sind herbstlich, aber angenehm. Vom Winter ist in Sölden nichts zu spüren und zu sehen. Nur wenn der Blick in die Ferne schweift, Richtung Süden, ist ein Berggipfel bereits weiß. Und dennoch beginnt hier an diesem Wochenende der Winter, der Ski-Winter - im Ort zum ersten Mal nach der Pandemie wieder mit Party und Aprés-Ski, oben auf dem Gletscher mit dem alpinen Weltcupauftakt.
Wenn die Frauen an diesem Sonnabend die erste Saisonsiegerin im Riesenslalom suchen und einen Tag später die Männer an der Reihe sind, steht Felix Neureuther ein paar Meter entfernt vom Zielraum als Experte vor der Fernsehkamera. Gut möglich, dass er auf dem Weg dorthin nicht von allen Zuschauern freundlich begrüßt werden wird. Er hat nämlich gerade ein kleines Problem mit Sölden, oder besser die Söldener mit ihm. In den vergangenen Tagen hat Neureuther viele Anrufe bekommen. Nicht alle, sagt der ehemalige Skirennläufer, waren angenehm. Jack Falkner, Geschäftsführer und Miteigentümer der Bergbahnen von Sölden, ließ ihm am Telefon deutlich wissen, was er von dessen Kritik an den Gletscherrennen hält.
Seit 30 Jahren findet Ende Oktober am Rettenbachferner der Weltcupauftakt statt. Und der ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für den Ort, für das ganze Tal. Der finanzielle Aufwand für die Veranstaltung des Weltcups lohnt sich allemal, sind sich die Verantwortlichen sicher. Die Skiindustrie hatte sich einst für so einen frühen Start in den Winter stark gemacht, um das Weihnachtsgeschäft anzukurbeln. Und nun kommt Neureuther und findet, das sei alles nicht mehr zeitgemäß.
Sölden ist nach der Pandemie froh, dass der Weltcup dieses Mal wieder fast wie früher stattfinden kann. Zwar dürfen ein paar weniger Zuschauer als vor Corona auf den Gletscher, aber es ist wieder Publikum da und die Hotels und Pensionen sind voll. Im Gegensatz zum vergangenen Jahr, als die Rennen ohne Zuschauer stattfinden mussten.
Neureuther hat Verständnis. »Ich will ihnen die Rennen auch gar nicht wegnehmen«, sagt er. »Sölden macht einen super Job.« Er muss es wissen, stand er doch selbst viele Jahre dort am Start. Das hat er nun Falkner und anderen aufgeregten Anrufern versucht zu erklären. Aber eben auch, dass man darüber diskutieren müsse, ob der Saisonauftakt nicht drei Wochen später, näher am Winter, besser passt. »Man müsste dann natürlich den kompletten Weltcupkalender neu aufstellen«, weiß Neureuther. Der spätere Saisonstart aber hätte den Vorteil, dass die Athleten nicht wie jetzt schon Ende Juli oder spätestens im August mit dem Schneetraining beginnen müssten. »Dann würde September reichen«.
Wolfgang Maier, Alpindirektor beim Deutschen Skiverband, gibt Neureuther im Prinzip recht, wenn er sagt, man müsse das Ökologiethema im Fokus haben. Aber er gehe es »etwas anders an«, weil er mittendrin steckt und nicht von außen darauf schaut. Mit dem Gletscherrennen in Sölden Ende Oktober habe er kein Problem, sagt Maier. »Das ist ein Klassiker.« Allerdings hätte er auch nichts dagegen, wenn es etwas später losginge.
Als der Weltverband Fis Ende der 80er Jahre damit begonnen hatte, Weltcuprennen im Herbst auf den Gletschern der Alpen zu veranstalten, war die Begeisterung nicht besonders groß, weil sie mitten in die Vorbereitung fielen. Es sei damals immer »ein Mordsaufwand« gewesen, sagt Doppel-Olympiasieger Markus Wasmeier. Auch weil das Fahren auf dem Gletscher etwas anderes Material als auf der später üblichen Kunstschneeauflage voraussetzt. Mittlerweile ist das kein großer Aspekt mehr, die Aktiven reisen ohnehin mit vielen Paaren Ski durch die Gegend, um für alle Schneeverhältnisse gerüstet zu sein. Man habe sich daran gewöhnt, dass es Ende Oktober losgehe, sagt Maier: »Man nimmt das Rennen als Orientierung.« Die Athleten sehen das in der Regel ähnlich. Für Stefan Luitz ist der Riesenslalom am Sonntag nach dem Wechsel der Skimarke ein erster Gradmesser, um auf dem neuen Material ein Renngefühl zu bekommen. Und der kommt so früh für ihn in diesem Jahr gerade recht. Es gehe darum, »mit Attacke und Selbstvertrauen gut Ski zu fahren«, sagt Luitz. Für seinen Kollegen Alexander Schmid hätte der Auftakt ruhig erst ein paar Wochen später stattfinden können, zumal er sich seit dem Sommer mit einer Patellasehnenreizung herumschlägt. Sölden, sagt er, »kommt wie jedes Jahr eigentlich zu früh.«
Weniger über Sölden, findet Maier, solle man sich Gedanken machen, sondern vielmehr über die geplanten Gletscherabfahrten von Zermatt, die künftig Anfang November stattfinden sollen - und »nicht nur aus ökologischen Gesichtspunkten«. Für die Abfahrer ist der November die trainingsintensivste Zeit, die müsste man aber nach vorne verlegen, wenn die ersten schnellen Rennen schon vier Wochen früher als bisher stattfinden würden. Und das würde noch mehr Gletschertraining erfordern, statt sich wie bisher in den Skigebieten von Colorado auf den Start in Lake Louise vorzubereiten.
Vor allem der neue Fis-Präsident Johan Eliasch forcierte die Pläne, weil er sich vorgenommen hat, den Skisport innovativ voranzubringen. Eine Innovation ist diese Abfahrt mit Start im schweizerischen Wallis und Ziel im italienischen Aostatal vor der malerischen Kulisse des Matterhorns auf jeden Fall. Ebenso Werbung fürs Skifahren - und damit gut für den Tourismus. Aber eben nicht für die Umwelt. Die rund vier Kilometer lange Strecke ist neu konzipiert worden. Eliasch ist aber nicht nur Fis-Präsident, sondern auch Chef einer Skifirma. Vielleicht stehen deshalb wirtschaftliche Interessen über ökologischen.
Der Deutsche Skiverband versucht schon länger, das Gletschertraining zu reduzieren. Vor allem im Nachwuchs, »muss bis Mitte September niemand auf die Gletscher, das kann man auch anders machen«, sagt Maier. Es ist auch gar nicht mehr so einfach, im Sommer auf Schnee zu trainieren. Österreich sperrt mit Ausnahme von Hintertux sämtliche Gletscher - um sie zu schonen. Die Gebiete öffnen erst wieder Anfang Oktober. Auch deshalb drängeln sich in der Vorbereitung die Weltcupteams auf den wenigen offenen Gletschern der Alpen: Stilfser Joch in Südtirol sowie Zermatt und Saas-Fee.
Deutschlands Abfahrtass Thomas Dreßen hätte nichts gegen ein Gletscherverbot im Sommer. »Da kann man sich tatsächlich Gedanken machen«, sagte der Mittenwalder, der nach einer Knieoperation hofft, im Dezember wieder ins Training einsteigen zu können. Aber dann müsse das für alle gelten. Wenn aber eine Nation ausschere, »dann bleibst du auf der Strecke«. Der Vorsprung wäre nicht mehr aufzuholen. Der Umweltschutz ist zwar eine internationale Angelegenheit, aber mit nationalen Interessen. Und die sind eben nicht immer gleich.
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