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Was die Briten an uns seltsam finden

Seit Oktober sind wir für das Vereinigte Königreich richtige Ausländer. Für die Einreise brauchen wir einen Reisepass. Aber ehrlich: Schon vor dem Brexit taten sich die Briten mit unseren Eigenheiten schwer

  • Tinga Horny
  • Lesedauer: 4 Min.

Kein anderes Dokument als ein Reisepass dokumentiert so deutlich, dass sein Halter nicht dazugehört. Er besitzt eine andere Staatsangehörigkeit und kann immer an der Grenze abgewiesen werden. Großbritannien behandelt uns EU-Bürger also nicht mehr wie Freunde. Doch wenn man einmal von der Politik absieht, von ehemaligen und immer noch existierenden Großmachtträumen eines British Empires und den verletzten Gefühlen auf Seiten des Kontinents, dann gab es ja immer schon Differenzen. Vor allem über das Klein-Klein des deutschen Alltags staunten Briten oft.

Was wir sagen, meinen wir auch

Raus mit der Sprache: Jeder interkulturelle Coach erklärt uns, dass wir zwar das Land der Dichter und Denker mit dementsprechend feinnervigen literarischen Produkten sind, aber es gibt kaum eine Sprache, die weniger Kontext braucht. Konkret bedeutet das: Was wir sagen, meinen wir auch. Und damit beginnt das Missverständnis. Briten finden uns nicht selten unhöflich, weil Deutsche selten artig im Konjunktiv fragen, ob sie dies haben dürften, sondern unverblümt benennen, was sie wollen. Während ein Brite erst einmal die allgemeine Atmosphäre mit Small Talk austestet, kommen wir sofort zum Punkt. Reden um den heißen Brei ist nicht unser Ding.

Lächeln gehört nicht zum Service: Studien belegen, dass freundliche Servicekräfte mehr Trinkgeld erhalten. Angelsachsen staunen daher, dass Dienstleistung in der Bundesrepublik nicht unbedingt mit einer entsprechend geschmeidigen Attitüde ausgeführt wird. Immer noch kann es passieren, dass Gäste vom kellnernden Personal zurechtgewiesen werden (»Auf der Terrasse nur Kännchen!«). Dienen hat bei uns keinen guten Leumund. Das sehen Briten viel pragmatischer: Wer seinem Gast zuvorkommend entgegenkommt, der verkauft nicht gleich seine Seele, sondern erledigt einfach seinen Job.

Eine Vorschrift ist eine Vorschrift: Im Verkehr gilt »Rechts vor Links«, darauf bestehen deutsche Autofahrer. Und bei »Rot« warten alle, selbst wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist. »Warme Küche nur bis 14 Uhr«, »Rasen nicht betreten«. Regeln sind Regeln, sie gelten für alle und wer sich nicht daran hält, wird gerügt und manchmal auch sanktioniert. Vor allem wer als Besucher von der Insel orientierungslos durch die Stadt schlendert, wird erschrecken, wenn er rüde von der Radfahrerspur gefegt wird. Wer im Weg steht, hat es nicht anders verdient.

Schlange stehen können wir nicht: Warten ist ineffizient. Das muss der Grund sein, warum Warten keine deutsche Tugend ist. Dabei ist es egal, ob man vor einem Schalter, einer Kasse oder einer Theke steht. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann versuchen viele sich - gar mit einer Ausrede - vorzudrängen. Das ist besonders unangenehm, wenn S- oder U-Bahnen einfahren, sich die Türen öffnen und die Einsteigenden die Aussteigenden erst einmal in den Waggon zurückdrängen.

Textilfrei ist für Briten unvorstellbar

Nacktsein gehört zum Leben: Briten sind nicht so prüde wie Amerikaner, aber definitiv nicht so freizügig wie Deutsche. Nackt baden, Ausziehen in der Umkleide eines Schwimmbads, hüllenlos in der Sauna schwitzen - die Bewohner von der Insel überrascht immer wieder, wie schamfrei Deutsche in bestimmten Situationen sind. Denn textilfreie Deutsche tummeln sich ja nicht nur in abgezäunten Bereichen für Nudisten, sondern praktisch überall: in Parks, am Strand, im Fitnesscenter.

Tee mit Gedöns: Tee gibt’s in Deutschland mit allem, was gut zieht. Parfümiert, am besten ohne Teein und in riesigen Bechern oder Gläsern wird er gerne konsumiert. Und wer das nicht mag, der gehört zur Grün- bzw. Weißer-Tee-Fraktion, liebt sein Heißgetränk großblättrig oder zu Minikugeln gerollt und auf die Sekunde genau gebrüht. Briten, die einfach nur nach einem pechschwarzen Tee in den Supermarktregalen suchen (gerne auch im Teebeutel), der vielleicht auch noch einen Schuss Milch verträgt und morgens Tote wieder auferstehen lässt, werden oft nicht fündig.

Sonntag ist Ruhetag: Wie gesagt, wir meinen, was wir sagen, deswegen sind sonntags alle Läden in Deutschland geschlossen. Lediglich für Flughäfen und Bahnhöfe gilt dieses Verkaufsverbot nicht. Wer also seinen wöchentlichen Lebensmitteleinkauf erledigen möchte, muss das bis Samstagabend getan haben, auch Dienstleistungen sind nicht zu bekommen. Klamotten shoppen geht schon gar nicht und auch die Autowaschstraßen haben großteils zu.

Trinken darf man überall: So gerne Briten nach Büroschluss ein Bierchen zischen, so sehr ist geregelt, wo sie das tun dürfen. In und vor den Pubs und Lokalen. Aber grundsätzlich darf man in Großbritannien erst mit 18 Jahren Alkohol trinken, aber niemals im öffentlichen Raum. Deswegen beneiden uns unsere Freunde von der Insel, weil wir uns bereits ab 16 berauschen dürfen, und zwar überall - auch auf der Straße (wenn nicht gerade eine Pandemie grassiert).

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