Picasso - halb und halb

Das Kölner Museum Ludwig diskutiert den Künstler und sein Bild in der BRD und der DDR

  • Lars Fleischmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Sehr verehrter Pablo Picasso! Wir erlauben uns, Ihnen ein Plakat zu schicken, zu dem Sie uns gestatteten, Ihr Motiv zu verwenden. Das Plakat hat bei uns in Berlin stürmische Diskussionen ausgelöst.« Dies schrieb am 15. Mai 1954 Helene Weigel als Sprecherin des Berliner Ensembles dem spanischen Maler Pablo Picasso. Das Berlin, das hier gemeint war und in dem stürmisch diskutiert wurde, war die Hauptstadt der DDR. Das Plakat zeigte Picassos Friedenstaube, dessen Schöpfer für manche Parteifunktionäre zu wenig Klassenstandpunkt zeigte.

Wenn dieser Brief im Original dieser Tage im Kölner Museum Ludwig ausgestellt ist, könnte er neben einer ganzen Reihe weiterer Exponate das westdeutsche Publikum erstaunen, da es eine ihm unbekannte alternative Kunstgeschichte erzählt. Es weiß wenig über die realsozialistische Rezeption des 1881 in Malaga geborenen Pablo Ruiz Picasso. Den überwiegenden Teil der Leserschaft dieser Tageszeitung hingegen könnte verwundern, wie wenig man im sogenannten Westen von der politischen Umtriebigkeit des Spaniers weiß.

Die Kuratorin Julia Friedrich und das Museum Ludwig nennen ihre Ausstellung fast folgerichtig »Der geteilte Picasso. Der Künstler und sein Bild in der BRD und der DDR«. Man fragt sich schon, wer dieser gespaltene Picasso war und welchen Anteil er selbst daran hatte, dass sein Werk sowohl im Westen als auch im Osten besprochen und ausgestellt wurde, dass sowohl der Kapitalismus als auch der Realsozialismus Aspirationen pflegten.

Die Ausstellung versucht dies chronologisch zu ergründen, als Parallelmontage. Die Werke Picassos, genauso wie die Exponate und Artefakte aus der Zeit des Kalten Krieges, bevölkern nicht etwa die Museumswände, sondern finden sich auf Stellwänden: auf der einen Seite die Sicht der BRD, auf der anderen die der DDR. So begrüßt uns am Eingang die Kopie eines Telegramms der US-amerikanischen Zeitschrift »New Masses« aus dem Umfeld der KP von 1944: »Amerikaner sind sehr interessiert, warum Sie der kommunistischen Partei beigetreten sind.« Wenige Tage vorher, kurz nach der Befreiung Frankreichs von der deutschen Besatzung, hatte Picasso bei der Kommunistischen Partei Frankreichs einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt. Picassos Antwort auf das Telegramm ließ nicht lange auf sich warten: Darin unterstrich er sein echtes, wahres Interesse am Kommunismus als Idee. Direkt daneben sieht man seine Friedenstaube, die er als Plakatmotiv für den internationalistischen Weltfriedenskongress 1949 in Paris beisteuerte.

Man merkt sogleich: Die Kunstwerke sind hier nicht nachrangig, aber den Mythos Picasso aufzuarbeiten, heißt heute eben auch, geschichtswissenschaftliche Arbeit zu leisten. »Der geteilte Picasso« ist ein Experiment, das sich durchaus auch in kritische Gefilde vorwagt.

Gleich mehrfach wird richtigerweise auf Picassos pazifistische Haltung verwiesen. In direkter zeitlicher Nähe zur Friedenstaube findet man auch das Gemälde »Massaker in Korea« - ein in der Kunstgeschichte des Westens selten rezipiertes Werk, obwohl es in der Nachkriegsphase des Künstlers eine herausragende Stellung einnimmt. Das Thema des Gemäldes, der radikal geführte Stellvertreterkrieg auf der koreanischen Halbinsel, schien den US-amerikanischen wie auch bundesrepublikanischen Kultureliten in den 50er Jahren zu brisant.

Ein Werk, auf das man leider verzichten muss - zumindest im Original -, ist die Anti-Kriegs-Ikone »Guernica« von 1937. Heutzutage wird das Bild, das zu seinen wichtigsten Werken gehört, nicht mehr ausgeliehen, so bleibt es bei der bloßen kritischen Auseinandersetzung. Kuratorin Julia Friedrich legt hier den Finger in die Wunde westdeutscher Verdrängungsleistungen und zeigt dezidiert, wie man lange ignorierte, dass das Bild einen deutschen Luftangriff auf die baskische Stadt Guernica darstellt, durchgeführt von der Legion Condor, die im spanischen Krieg Franco gegen die Republik unterstützte. 1990 warb die Bundeswehr sinnentstellenderweise mit dem Bild unter der Überschrift »Feindbilder sind die Väter des Krieges«, als würden damit »Feindbilder« konstruiert. Der historische Bezug zum faschistischen Militär blieb unerwähnt.

Während man im Westen den politischen Gehalt vieler Bilder gezielt unterschlug - so wurde Picasso bei der ersten Documenta in Kassel 1955 als über den Dingen schwebender Künstler präsentiert -, stritt man im Osten darüber, ob der formalästhetisch abstrakte Stil von Picasso mit dem Ideal des Sozialistischen Realismus, der sozusagen ästhetische Staatsräson war, vereinbar sei. Das ging bis in die 60er Jahre und darüber hinaus.

In einem Museum, das den Namen des Sammlers und Schokoladenfabrikanten Peter Ludwig trägt, darf natürlich auch dessen Rolle für die gesamtdeutsche Popularisierung Picassos nicht fehlen. Seine vielen Käufe wichtiger Werke, was dem Museum in Köln eine der größten Picasso-Sammlungen der Welt bescherte, bezahlte Ludwig nämlich auch mit dem Geld, das er mit seinen Handelsbeziehungen zu den Volkseigenen Betrieben der DDR verdiente. Ganz eigennützig zeigte er sich dabei nicht: Ludwig stellte der DDR und den Museen der Republik Teile seiner Sammlung zur Verfügung.

Der Versuch eines unideologischen Blickes auf Picasso ist insgesamt gesehen erfrischend und sinnstiftend, scheint das Werk des Spaniers doch sonst auserzählt am Kölner Standort und in allen Facetten beleuchtet. So lohnt sich dann eben ein Blick in die Ausstellung (oder in den umfangreichen Katalog), sowohl für Kinder des Westens wie des Ostens.

»Der geteilte Picasso. Der Künstler und sein Bild in der BRD und der DDR«: bis 30. Januar 2022 im Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, Köln.

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