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Das Böse aus Hollywood
Messermänner, letzte Mädchen und neue Konservative: Der Film zum Kürbisfratzenfest - »Halloween« und seine Nachfolger zeigen exemplarisch, wie viel Politik sich im Horrorkino verbirgt
Die Handlung ist frei erfunden, aber die Angst des Zuschauers real. Auf der Lust am eigenen Gänsehautgefühl basiert fast jeder Horrorfilm. Schließlich appelliert schon sein angestammter Ort, das Kino, durch die räumliche Dunkelheit an die Nachtseiten des menschlichen Empfindens. Dementsprechend fehlt es nicht an psychologischen beziehungsweise psychoanalytischen Deutungsversuchen, die aus dem Gruselgenre zuallererst den Aufschrei der frühkindlich verstörten Einzelseele herauszuhören glauben.
Aber daneben existiert auch ein kollektives Unbewusstes, das sich in Vampir-, Serienmord- und Kettensägen-Schockern mindestens ebenso ungebremst austobt. Schon Graf Dracula erschien als Wiedergänger einer Aristokratie, die der moderne Industriekapitalismus ihrer früheren Privilegien beraubt hatte. In George A. Romeros wankenden Zombiehorden (u. a. »Die Nacht der lebenden Toten« von 1968) wiederum erkennen Kulturhistoriker die postkolonialen Rachegötter ehemaliger afrikanischer Sklaven aus der Subsahara. Das wahrscheinlich beste Beispiel für soziologisch aufgefütterten Horror aber ist jener Film, der auch so heißt wie das bevorstehende Kürbisfratzenfest und zugleich Vorbote eines politischen Rechtsrucks war: »Halloween - Die Nacht des Grauens« von 1978.
Der Blutspritzklassiker von Regisseur John Carpenter entwickelte sich trotz seines lachhaft schmalen Produktionsbudgets zum lukrativen Kassenschlager, von dessen Zugkraft diverse Fortsetzungen und Nachahmer wie die »Freitag der 13.«-Reihe (ab 1980) oder Wes Cravens »Scream«-Tetralogie (1996-2011) nebst mehreren Spin-offs profitiert haben.
So selbstverständlich, wie man zu Weihnachten mit Aschenbrödel durch die verschneite Winterlandschaft reitet, schaut der Gruselfan kurz vor Allerheiligen Michael Myers und Co. beim Mädchenmorden zu. Cineasten werten John Carpenters Teenieterror sogar als Modellgeber für ein eigenes Subgenre der schwarzen Romantik, den Slasherfilm. Ein Begriff, der sich vom englischen Verb »to slash«, zu deutsch: »schlitzen«, ableitet.
Der »Halloween«-Plot ist simpel gestrickt: Unter wohlbehüteten Vorstadtjugendlichen geht ein Serienmörder um. Nur die weibliche Hauptfigur Laurie Strode, gespielt von Jamie Lee Curtis, bleibt am Ende übrig, sie ist das sogenannte »Final girl«. Ein Typus, den auch Nancy Thompson (Heather Langenkamp) aus »A Nightmare on Elm Street« oder Neve Campbell als Sidney Prescott in »Scream« verkörpern. Besonders in Carpenters Ur-»Halloween« aber wird das »letzte Mädchen« zur Trägerin einer politischen Botschaft.
In einem biederen Rock und mit einem Stapel Schulbüchern unter dem Arm stapft die strebsame Laurie durch die Straßen einer ruhigen Wohngegend. Das »Final girl« wirkt auf den ersten Blick langweiliger als seine lebensfrohen Freundinnen und ist meist Jungfrau. Während die Klassenkameradinnen am Halloweenabend mit Jungs rumvögeln, bevor der Killer kommt, ist Laurie beim Babysitten.
Sexuelle Abstinenz und Einübung in die zukünftige Mutterrolle kennzeichnen die Protagonistin. Nicht aus Zufall entstand »Halloween« kurz vor dem Beginn der neokonservativen Reagan-Ära. Fundamentale Christen gewannen an Einfluss. Gegenüber den lockeren 60er Jahren erlebte das moralische Diktat der Jungfräulichkeit vor der Ehe eine Renaissance, weibliche Gleichberechtigung geriet ins Hintertreffen. Die reaktionären Kräfte, die sich damals formierten, setzten unlängst das Abtreibungsverbot in Texas durch.
Doch der Geist dieser Denkhaltung geht bereits in »Halloween« um. Obschon sich Laurie Strode gegen den Messermann mitunter brachial zur Wehr zu setzen weiß, repräsentiert die Figur alles andere als einen emanzipierten, feministischen Ansatz. Eher könnte man sie als Urenkelin der patenten Farmerfrau aus dem Western bezeichnen. Die greift ja, wenn Indianer oder Banditen kommen, mitunter auch zur Flinte, um hinterher wieder brav in der Küche zu verschwinden. Indem aus Lauries Clique nur diejenige durchkommt, die, weil sie keusch und fleißig ist, am besten an den Sittenkodex angepasst ist, spiegelt das »Halloween«-Schema gleichsam als sozialdarwinistisches Moralmärchen das Gesetz der marktradikalen Disziplinargesellschaft. Wohlverhalten und Leistungswille werden belohnt - in letzter Konsequenz durch die Gunst des Überlebens.
Dem Mörder kommt in dieser Pädagogik die doppelte Funktion zu, gleichzeitig Henker und auch Auslöser des Übels zu sein. Michael Myers zählt als Patient einer psychiatrischen Klinik schon von Anfang an zu den Ausgeschlossenen der Gesellschaft, wobei die innere Motivation seiner Gewalttaten nicht tiefer ausgeleuchtet wird. Im Unterschied zum klassischen Frauenmörder Norman Bates aus Alfred Hitchcocks »Psycho« sind die Exekutoren der Slasherfilme meist reine Schablonengestalten. Bei Carpenter spricht sogar der behandelnde Arzt Dr. Loomis Myers jede Menschlichkeit ab und betrachtet ihn als Personifikation des absolut Bösen.
Diese fehlende Individualität schlägt sich im Slasherfilm-Topos der Maske nieder. Nicht nur Michael Myers hält sein Gesicht stets verhüllt, auch der Kettensägenschlächter aus »Michael Bay’s Texas Chainsaw Massacre« ist maskiert. Ikonisch wurde vor allem die Maske aus »Scream«, die ein Bildmotiv des symbolistischen Malers Edvard Munch zitiert. Bis heute findet der lang gezogene Schreimund als Verkleidung für Karnevalsfeiern oder eben Halloween reißenden Absatz.
Die Assoziation der Maske mit einer entindividualisierten Tötungsmaschine bietet zudem eine Deutungsmöglichkeit für die weitverbreitete Ablehnung der medizinischen Mund-Nasen-Bedeckung in der Corona-Pandemie. Niemand will gern aussehen wie der Teeniemetzger. Doch Querdenker definieren sich zudem als wahre Liberale und halten die Maske für unvereinbar mit ihrem Individualismus.
Und noch ein anderer, letzter Punkt gehört zur Politik des Horrorkinos: Ausgerechnet der Psychiater schießt am Ende des ersten Teils von »Halloween« Michael Myers nieder. Spiegelt das nicht die archaische Erbarmungslosigkeit des US-amerikanischen Justizsystems, das in manchen Bundesstaaten selbst für psychisch Kranke die Todesstrafe fordert?
Einer, der sich auskennt, US-Autor Stephen King, schrieb über den Horrorfilm: »Wir brauchen ihn, um unsere Ängste zu verstehen.« Aber vielleicht brauchen wir die grellen Schreie, die Verfolgungsjagden in der Nacht und die Abstechorgien aus der Vorstadtidylle auch, um die Gesellschaft zu verstehen.
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