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Gleichberechtigte Verhütung passt nicht zum Patriarchat
Verhütung bleibt Verantwortung der Menschen, die schwanger werden können. Bei einer gleichberechtigten Verhütung spielen cis-Männer oft nicht mit.
»Liest man wissenschaftliche Publikationen über Verhütungsmethoden, könnte man ohne besseres biologisches Wissen zu dem Schluss kommen, dass nur ein Geschlecht in die Fortpflanzung involviert ist: das weibliche«, kommentiert Nelly Oudshoorn die Recherche für ihr Buch »The Male Pill: A Biography of a Technology in the Making« (2003). Seitdem hat sich in der Verhütungs-Landschaft kaum etwas verändert. Während Frauen die Wahl zwischen täglich einzunehmenden Hormonpräparaten und teuren Gebärmuttereinsetzungen aus Metall haben, gibt es für ihre männlichen Partner bis heute nur eine einzige praktikable Option: das Kondom. Das hat vielschichtige Gründe – Gründe, die entlarven, dass sogar die Wissenschaft tief in unsere gesellschaftlichen Strukturen eingebettet und damit weder unabhängig noch wertneutral ist.
Medizin ist keine selbstgenügsame Reflexion, sondern ein anwendungsorientiertes Fachgebiet mit einem offensichtlichen Ziel: Gesundheit. Schon darüber lässt sich streiten, wie dieser Begriff auszulegen ist. Jeder Mensch möchte gesund sein; aber ob das bedeutet, ein gebrochenes Bein zu heilen oder ausgefallene Haare zu implantieren, kann jede und jeder für ihr oder sein Leben selbst entscheiden. Fest steht, dass wir für unser Wohlbefinden darauf angewiesen sind, Zugang zu den Heilmitteln zu haben, die auf dem Pharmamarkt angeboten werden. Glück gehabt, wenn die Krankenkasse die Medikamente übernimmt oder das Einkommen hoch genug ist, sich den Luxus eines gesunden Lebens leisten zu können. Pech gehabt, wenn die Krankenkasse keine Kosten übernimmt – wie es unter anderem mit Verhütungsmitteln für Frauen über 22 Jahren aussieht.
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Das bedeutet für alle geschlechtsreifen Menschen mit weiblichen reproduktiven Organen aus niedrigeren Einkommensschichten: Sparen oder Schwangerwerden. Aus dieser faktischen Gebärpflicht kann sie niemand befreien, bis sie in ihre Wechseljahre kommt und von ihrer Fruchtbarkeit entlastet wird.
Bis Männer dagegen unfruchtbar werden, kann man ein Leben lang warten: Obwohl die Potenz der Spermien mit steigendem Alter abnimmt, gibt es keine männliche Menopause. Mick Jagger, Charlie Chaplin, Pablo Picasso – etliche Männer sind noch im hohen Alter Väter geworden. Außerdem kann ein Mann täglich etliche Frauen schwängern – eine Frau aber ist nur wenige Tage im Monat fruchtbar und kann auch nur einmal alle neun Monate schwanger werden. Es wäre also viel für die Menschheit gewonnen, wenn man am männlichen statt am weiblichen Organismus zur Empfängnisverhütung ansetzen würde. Daran hat aber die Pharmaindustrie kein Interesse – hauptsächlich aus wirtschaftlichen Erwägungen.
Seit der ersten Pille für die Frau in den 1960er Jahren gibt es kein anderes Pharmaprodukt, das den Konzernen mehr Kosten beschert hat. Denn die schwerwiegenden gesundheitlichen, teils lebensbedrohlichen Risiken der »Ersten Generation Pille« führten zu teuren Haftungsklagen, weshalb die vertreibenden Pharmakonzerne wiederum teure Haftungsversicherungen abschließen mussten. Die unverhältnismäßig gefährlichen Nebenwirkungen hatten außerdem zur Folge, dass sich die Anforderungen für Produktzulassungen auf dem Markt erhöhten. Diese strengeren Regularien bedeuten für die Industrie aufwendigere, längere und kostspieligere Forschungsverfahren, die sich aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit einer Nichtzulassung (aufgrund der strengeren Standards) kaum lohnen. Deshalb fokussieren sich alle Pharmakonzerne lediglich auf eine Verbesserung bereits vorhandener Präparate für die Frau – sind aber auch in dieser Tätigkeit auf staatliche Finanzierung angewiesen.
Wegen der Abhängigkeit von staatlichen Geldern und der geringen Erfolgschance hat es keines der vereinzelten Entwicklungsprojekte je geschafft, ein marktreifes Produkt für männliche Fertilitätskontrolle hervorzubringen. Alle derartigen Versuche, wie bspw. der 1972 von der Bayer AG (damals Schering) veranstaltete »Schering Workshop on Contraception: The Masculine Gender«, blieben erfolglos. Zwar wurde eine wirksame Methode mit tolerierbarem Nebenwirkungsprofil gefunden – ein Gestagen-Implantat, das jährlich in den Oberarm eingesetzt und eine Testosteron-Injektion, die alle drei Monate gespritzt werden sollte. Aufgrund der »anwenderunfreundlichen Darreichungsform« wurde aber an einem Markterfolg gezweifelt und der Forschungsschwerpunkt wieder auf »Frauengesundheit« gelegt. »Männer gehen nicht gerne zum Arzt und Männer bekommen nicht gerne Spritzen«, erklärte Unternehmenssprecherin Friederike Lorenzen. Ein ausschlaggebender Faktor war zudem die sensible männliche Psyche: Alle Probanden litten zu stark unter den Nebenwirkungen der Hormone – die Placebo-Vergleichsgruppe allerdings genauso schlimm wie die tatsächliche Versuchsgruppe, weshalb die Studie aus »ethischen Gründen« eingestellt werden musste.
Verhütung bleibt Frauensache: Die »Pille für den Mann« gibt es bereits – nur noch nicht auf dem Markt
Die Angst davor, mit zugesetzten Hormonen seine Männlichkeit durcheinander zu bringen sowie die mangelnde Einsicht, dass zur Reproduktion immer zwei gehören, lädt die Verantwortung zur Verhütung ungeteilt auf den weiblichen Part. Sie hat alles zu verlieren: ihre freie Selbstbestimmung, ihre körperliche und psychische Gesundheit, ihre menschliche Würde. Für ihn drängt es nicht, etwas zu verändern; niemals wird ein cis-Mann abtreiben oder gebären müssen. Deshalb ist es besonders schwierig, männliche Versuchspersonen dafür zu rekrutieren, Frauen von ihrer ungleichen Last zu befreien. Sie scheinen von so einer Entwicklung ebenso wenig zu profitieren wie die Pharmaindustrie. Den einzigen Vorteil, den so manche »Ich-schwöre-dir-ich-habe-mich-erst-gestern-auf-alle-Geschlechtskrankheiten-getestet«-Männer daraus ziehen könnten, ist kondomfreier Sex mit leichtgläubigen Mädchen (»Ich schwöre dir, ich nehme die Pille – ääh, die Spritze!«).
Verhütung bleibt also Frauensache, haben die fehlenden männlichen Nutzer und die fehlenden finanziellen Grundlagen entschlossen. Wie der Soziologe und Männerforscher Torsten Wöllmann von der Universität Gießen vermutet, passt es wohl »nicht zum Selbstbild einer Reihe von Männern«: »Männlichkeit ist häufig definiert über Stärke, über Kraft, über Aggression, über Konkurrenz, – aber nicht so sehr über Fürsorglichkeit in einer Partnerschaft und über Verantwortung bezogen auf Sexualität. Und insofern ist das Einnehmen von hormonellen Verhütungsmitteln eine Bedrohung der körperlichen Souveränität.«
Für die Souveränität der einen, zahlen die anderen mit ihrer Gesundheit: Millionen Frauen ertragen seit mehr als fünfzig Jahren das, worauf Männer keine Lust haben: Thrombosen, Stimmungsschwankungen, Gewichtsveränderungen, Libidoverlust – um nur wenige zu nennen. Geschlechternormen bestimmen also Sicherheitsstandards für Medikamente, schließt Nelly Oudshoorn. Die asymmetrische Beurteilung von gesundheitlichen Risiken bei Männern und Frauen zeigt, wessen Stimme Gehör findet, nach welchen Interessen Forschung ausgerichtet ist und dass nicht jedes Leben gleich viel wert geschätzt wird. Der männliche Körper bleibt nicht nur vor Belastungen und Schmerzen verschont, sondern genießt dank den verhütenden Frauen seine uneingeschränkte Sexualität. Die »sexuelle Revolution« der 68er Jahre befreite nämlich ausschließlich heterosexuelle cis-Männer von störenden gesellschaftlichen Hürden, um frei ihren Trieben und Gelüsten nachgehen zu können. Frauen konnten dank der Pille diese freie Liebe mitpraktizieren, haben dafür aber einen hohen Preis gezahlt – manche mit ihrem Leben.
Die Autorin Julia Banholzer ist Philosophiestudentin an der Humboldt-Universität zu Berlin.
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