- Politik
- Frauenpolitik
Wie Gleichstellung gelingen kann
Für Frauen gibt es in der Politik nach wie vor viele Barrieren. Eine Studie zeigt, dass das nicht so bleiben muss
In der Politik im Bund, aber auch in den Ländern und in Kommunen, sind es Männer, die das Zepter in der Hand haben. Wenn die Rede davon ist, dass der Bundestag nun weiblicher und diverser geworden sei, dann mag das laut Helga Lukoschat von der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin (EAF) stimmen, »aber wir müssen auch die Relationen sehen«. Im 20. Bundestag ist der Anteil von Frauen um drei Prozentpunkte auf 34,7 gestiegen. Der Höchststand war mit 37,1 Prozent aber schon im Jahr 2013 erreicht worden. »Auch diese Zahl ist eben weit von Parität entfernt«, so Lukoschat.
Die EAF Berlin kooperierte mit dem Institut für Demoskopie Allensbach und erarbeitete eine Studie zum Thema »Parteikulturen und die politische Teilhaben von Frauen«. Deren Ergebnisse präsentierte sie am Donnerstag. Die Untersuchung beruft sich auf eine repräsentative Online-Befragung mit rund 800 teilnehmenden Politikerinnen und Politikern aus den sechs im Bundestag vertretenen Parteien. Ins Detail gehende Interviews tragen außerdem zur Aussagekraft der Studie bei. Helga Lukoschat und die Meinungsforscherin Renate Köcher sind Autorinnen der Studie. Sie gehen auf das Vorhaben eines bundesweiten Paritätsgesetzes ein, das mit einer »sehr komplexen, verfassungsrechtlichen Debatte verbunden« sei und Zeit in Anspruch nehme. Ein Ansatz der Studie sei die Lieferung von praktischen Hinweisen, die die Parteien kurzfristig umsetzen könnten. In Deutschland ist es die erste Studie dieser Art.
Auch Aussagen von männlichen Politikern sind in die Studie eingeflossen. Unter den Befragten herrschte ein Konsens darüber, dass der Frauenanteil in verantwortlichen Positionen erhöht werden müsse. Politikerinnen nennen allerdings eine Vielzahl von Barrieren. So würden politische Termine zum Beispiel häufig abends oder am Wochenende stattfinden. Es bestehe zudem eine Geringschätzung gegenüber den Themen, mit denen sie sich beschäftigen. Knapp die Hälfte der Befragten ist überzeugt, dass Politik nach wie vor den Eindruck erwecke, dass sie eine Männerdomäne sei. Das stoße Frauen ab.
Köcher vertritt die Meinung, dass man »an der Wurzel ansetzen und sehen muss, dass man mehr Mädchen für Politik interessiert«. Auch die politische Diskussionskultur, die durch die sozialen Medien verstärkt ist, schrecke Frauen von politischer Teilhabe ab. Männer blieben zwar nicht von respektlosen Anfeindungen verschont, Frauen scheinen jedoch stärker darunter zu leiden. Das könnte in der sexualisierten Natur der Beleidigungen liegen.
Politikerinnen glauben, dass sie anderen Erwartungen gerecht werden müssten als ihre männlichen Kollegen. Es handele sich um die Zuschreibung bestimmter »Frauenthemen« und die Erwartung, dass Frauen keine streitende, sondern eine moderierende Rolle einnehmen sollten. Auch das äußere Erscheinungsbild sei bedeutend. Es zeichnet sich ab, dass vor allem Parteimitglieder der Grünen, der Linkspartei und – gefolgt mit einem Abstand – der SPD glauben, dass sich ihre Partei um mehr Gleichheit bemühe.
Diese Fakten waren bereits weitgehend bekannt. Neu ist aber, dass Politikerinnen in der Studie auch eine Bandbreite an Lösungsvorschlägen nennen. So müsse etwa die Parteiarbeit familienfreundlicher gestaltet werden. Eine gezielte Ansprache von Frauen sollte auch bedacht werden. 72 Prozent der Politikerinnen meinen, dass eine verbindliche Frauenquote eine gute Idee sei. Bei den Männern wird diese Forderung von 41 Prozent unterstützt.
Sexismus-Erfahrungen im Alltag
Die Autorinnen legen den Parteien unter anderem die Nutzung von digitalen Angeboten nahe, da sie Flexibilität fördern. Um mehr Vereinbarkeit mit Privatem zu schaffen, müssten Sitzungen anders terminiert sein. Strategisch Wichtiges dürfe nicht erst zum Schluss kommen. Auch gezielte Strukturen und Awareness-Anlaufpunkte gegen Alltagssexismus, beispielsweise auf Parteitagen, müssten aufgebaut werden.
Auf die Frage nach positiven Erfahrungen im politischen Alltag ist herauszuheben, dass Politikerinnen eine ähnlich gute Bilanz ziehen wie ihre Kollegen. Laut Köcher ist das eine wichtige Erkenntnis, um aufzuzeigen, dass Politik für Frauen nicht immer nur von Angst bestimmt sein müsse. Politische Arbeit könne auch persönlich wertvoll sein. Sie wünscht sich, dass das Mut mache. Die EAF Berlin möchte ab sofort mit ihren Ergebnissen an die Parteien herantreten.
Darüber hinaus haben das Institut Allensbach und das EAF Berlin aber auch herausgefunden, dass vier von zehn Politikerinnen Sexismus-Erfahrungen im Alltag gemacht haben. 40 Prozent der Befragten gaben demnach an, schon einmal sexuelle Belästigung erlebt zu haben. Bei den unter 45-Jährigen seien es 60 Prozent. Betroffen sind Frauen quer durch das Spektrum der Parteien. Befragt wurden Amts- oder Mandatsträgerinnen aus Bund, Ländern und Kommunen.
Zu sexueller Belästigung zählten die Autorinnen der Studie unangemessene Berührungen, aber auch sexistische Bemerkungen. »Parteiübergreifend wird von unangemessenen, anzüglichen Bemerkungen über Aussehen, Figur oder Kleidung berichtet«, hieß es. Sexuelle Belästigung und sexistische Sprüche kämen dabei auf allen politischen Ebenen vor. Gefordert wurde daher ein Kulturwandel in der Politik.
Dieser wird der Studie zufolge vor allem dadurch erschwert, dass Frauen in politischen Ämtern weiterhin unterrepräsentiert seien.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.