«Querdenker» planen Revival

Vor einem Jahr eskalierte die «Querdenker»-Demo in Leipzig. Für Samstag mobilisieren die Corona-Leugner erneut

  • Max Zeising, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Bilder sind in den Erinnerungen der Leipziger Stadtgesellschaft noch tief verankert: Hooligans und Rechtsextreme zünden Pyrotechnik, greifen Polizist*innen an. Die Beamt*innen, offensichtlich mit der Situation überfordert, ziehen sich zurück. Weniger radikale Teile der «Querdenken»-Bewegung nutzen das Chaos und strömen auf den Leipziger Ring. Die Botschaft, die sie transportieren wollen: 1989 wiederholt sich.

So geschehen vor genau einem Jahr, am 7. November 2020. Bundesweit hatten die «Querdenker*innen» nach Leipzig mobilisiert, um gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus zu demonstrieren. Laut Polizeiangaben beteiligten sich 20 000 Menschen - laut der Forschungsgruppe «Durchgezählt» der Uni Leipzig waren es sogar 45 000 - an den Kundgebungen, die laut Auflagen stationär bleiben mussten.

Das Milieu - bunt: Familien, Friedensbewegte, Esoteriker*innen, aber eben auch Rechtsextreme. Eine Melange, die sich bei den Corona-Protesten neu gefunden hatte.

Friedlich blieb es nicht. Journalist*innen berichteten von Attacken von Rechtsextremen auf sie selbst oder auf Gegendemonstrant*innen. Handgreifliche Auseinandersetzungen sind auf Video festgehalten. Als die Hools die Polizeikette durchbrachen, lag ein Gefühl extremer Bedrohung in der Luft.

Die Frage ist nun nicht, ob sich 1989 wiederholt - die von den Corona-Leugner*innen verbreitete Deutung, ihre Proteste seien mit denen in Ostdeutschland gegen das SED-Regime gleichzusetzen, sind nicht anders denn als Geschichtsfälschung zu bezeichnen.

Die Frage ist, ob sich 2020 wiederholt. Die «Querdenker*innen» planen offenbar ein Revival: Unter dem Motto «Freiheit, Gleichheit, Solidarität» will die «Bewegung Leipzig», wie der lokale Ableger der «Querdenker*innen» sich nennt, am Samstag erneut demonstrieren. Zunächst waren eine Versammlung mit 3000 Teilnehmer*innen und ein erneuter Protestzug über den Ring geplant. Allerdings macht ausgerechnet die stark steigende Corona-Inzidenz in Sachsen den Protestierenden einen Strich durch die Rechnung: Nach Erreichen der «Vorwarnstufe» im Freistaat sind Versammlungen ausschließlich ortsfest zulässig und auf eine Teilnehmer*innenzahl von maximal 1000 Personen begrenzt. Angemeldet ist auch eine Kundgebung der «Bürgerbewegung Leipzig 2021», die hauptsächlich vom ehemaligen NPD-Kader Volker Beiser organisiert wird und in der Messestadt regelmäßig montags demonstriert, laut Beobachter*innen mit einer recht überschaubaren und indentischen Teilnehmerschaft.

«Die 'Bewegung Leipzig' feiert die Demo im vergangenen Jahr als größten bisherigen Erfolg und will diesen nun wiederholen», sagt Irena Rudolph-Kokot vom Aktionsnetzwerk «Leipzig nimmt Platz». Sie befürchtet, dass deutlich mehr «Querdenker*innen» kommen als angezeigt - wenn auch nicht so viele wie im letzten Jahr. Zudem hätten sich die Aufrufe der Corona-Leugner*innen verändert: «Egal, welche Auflagen gelten: Die wollen laufen.» In «Querdenker*innen»-Chats etwa wird von einer «freien» Demo, von «spontaner» Zusammenkunft gesprochen. Das «Aktionsnetzwerk» hat mehrere Gegendemonstrationen angemeldet - sollten die «Querdenker*innen» dennoch über den Ring laufen, dann «werden wir ihnen den Platz nehmen», sagt Rudolph-Kokot.

Für die «Querdenker»-Kundgebungen trommeln indes auch die «Freien Sachsen» - was in doppelter Hinsicht symbolisch für die Entwicklung der «Querdenker*innen»-Szene ist. Bei den «Freien Sachsen» handelt es sich um eine rechtsextreme Kleinstpartei, die etwa zum «Grenzschutz» gegen Geflüchtete« aufruft oder Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer verhaftet sehen will, nachdem der Freistaat in dieser Woche die 2G-Regelung auf zahlreiche Bereiche des öffentlichen Lebens verpflichtend ausweitete.

Auch die »Querdenker*innen«-Szene in ihrer Gesamtheit ist seit dem letzten Jahr zwar kleiner, aber radikaler geworden. Rechtsextremismusforscher David Begrich sagt, »der Bewegungsimpuls« der Szene sei »zwar nicht erloschen, aber erlahmt«. Das habe verschiedene Gründe, etwa ein Fortgang der Corona-Debatte, enttäuschter Rückzug nach internen Streitigkeiten um Führung und Geld - man denke etwa an den geschäftigen »Querdenken«-Gründer Michael Ballweg, auf dessen Konto zu Schenkungen aufgerufen wird - sowie unerfüllte Erwartungen an ein schnelles Ende der Corona-Maßnahmen.

Zugleich beobachtet Begrich eine Radikalisierung: »Die Proteste gingen damit los, dass man vor der Volksbühne stand und das Grundgesetz hochhielt. Nach wenigen Monaten ist an die Stelle des Grundgesetzes die schwarz-weiß-rote Fahne getreten.«

Interessant: Auch die »Freien Linken«, die sich eigenen Angaben zufolge gegen »kapitalistische Strukturen« und eine »sich ausschließlich auf Identitäts- und Symbolpolitik« fokussierende Linke wenden, rufen zur Teilnahme an der Demo der »Bewegung Leipzig« auf. Es ist eine überschaubare Gruppe, auf Facebook hat sie bislang 664 Likes gesammelt. Offenbar begreifen sich die »Freien Linken« als linker Flügel von »Querdenken«, scheinen aber kein Problem mit Nazis in den eigenen Reihen zu haben.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.