Arbeitsplätze ahoi!

Der Tourismus im Lausitzer Seenland soll helfen, die durch den Braunkohleausstieg im Revier wegfallenden Jobs zu ersetzen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Einwohner von Großräschen-Süd wurden umgesiedelt, der Ortsteil für den Braunkohletagebau Meuro abgebaggert. »Aus Großräschen-Süd ist ein Tagebau geworden und jetzt ein See«, erzählt Vizebürgermeister Robert Weidner (SPD). 1971 lebten 14 000 Menschen in Großräschen, jetzt sind es noch 8500. Oberspreewald-Lausitz hat dem Nachbarlandkreis Spree-Neiße etwas voraus. Hier gibt es im Restloch eines Tagebaus bereits seit 1973 den Senftenberger See als Naherholungsgebiet und Anziehungspunkt für Touristen und dazu nun den jüngeren Großräschener See mit Seebrücke und Hafenbecken, der inzwischen auch Gäste anzieht.

Aus den Erfahrungen könnten andere im Lausitzer Revier lernen, glaubt die Landtagsabgeordnete Anke Schwarzenberg (Linke), die früher selbst als Ingenieurin in der Rekultivierung von Tagebauen tätig war. Sie ist am Freitag dabei, als sich der Sonderausschuss zur Strukturentwicklung in der Lausitz im Kurmärker-Saal von Großräschen trifft, um Fachleute anzuhören und zu beraten, wie das Lausitzer Seenland vermarktet werden kann. Denn Hotels, Ferienhäuser, Campingplätze, Häfen und Bootsverleih sollen dem Revier künftig noch viel mehr als heute schon das geben, was mit dem Abschalten der Braunkohlekraftwerke spätestens im Jahr 2038 an anderer Stelle wegfallen wird: Arbeitsplätze.

Bei der Sitzung wird einmal mehr deutlich, dass der Strukturwandel schon lange läuft. Anfang der 1990er Jahre wurden etliche Braunkohletagebaue stillgelegt, die nicht mehr rentabel waren. Zehntausende Kohlekumpel und Kraftwerker verloren ihre Jobs. Die Arbeitslosenquote schnellte in Oberspreewald-Lausitz hoch bis auf offiziell 27 Prozent - und dabei war klar, dass diese Zahl durch zahlreiche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erheblich geschönt war. Heute liegt die Quote bei wirklichkeitsnahen 6,3 Prozent. Landrat Siegurd Heinze (parteilos, aber für die CDU) spricht von einer »positiven Entwicklung«. Die Kreisstadt Senftenberg sei einmal die »Hauptstadt der Braunkohle« gewesen und nun seit 2016 staatlich anerkannter Erholungsort. »Wer das vor 20 Jahren vorhergesagt hätte, der hätte einen Termin beim Arzt bekommen.«

»Einen Braunkohleausstieg vor 2038 kann ich mir nicht vorstellen«, ergänzt der Landrat, der einst den Beruf des Elektromonteurs erlernte. Sonst gebe es einen »Blackout«, also einen flächendeckenden Stromausfall. Die Politik könne die Physik nicht außer Kraft setzen.

Auf der anderen Seite mahnt die Landtagsabgeordnete Ricarda Budke (Grüne): »Wir müssen die Klimakrise aufhalten, damit sich der Tourismus entwickeln kann. Wir brauchen das Wasser.« Durch die extreme Trockenheit der Jahre 2018 bis 2020 stockte beispielsweise die Flutung des ehemaligen Tagebaus Cottbus-Nord, der sich in den Cottbuser Ostsee verwandeln soll. Außerdem erkundigt sich Budke nach prekären Arbeitsverhältnissen in der Tourismusbranche, in der viele Saisonkräfte beschäftigt werden. Sie weiß, dass die Lausitzer Energie AG ihre Mitarbeiter daran gemessen sehr gut bezahlt. Zur Antwort bekommt die Abgeordnete, es könne sich niemand mehr leisten, zu schlechte Arbeitsbedingungen zu bieten, wenn er überhaupt noch Personal finden wolle.

Im Jahr 2019 - vor der Coronakrise - wurden im brandenburgischen Teil des Lausitzer Seenlands bis Ende Oktober rund 255 000 Übernachtungen gezählt, informiert Detlev Wurzler, Vorsteher des hiesigen Tourismus-Zweckverbands, der mit seinem Pendant in Sachsen organisatorisch zusammenhängt. Vergangenes Jahr waren es knapp 259 000 und im laufenden Jahr etwas mehr als 243 000. Dass anders als anderswo kein dramatischer Einbruch zu verzeichnen war, stimmt zuversichtlich. Das Seenland profitierte in gewisser Hinsicht sogar von der Krise. »Uns kannte in Bayern vor der Coronazeit niemand«, erklärt Wurzler den Landtagsabgeordneten. Aber Fernsehsender schauten sich dann um, wo man im Inland Urlaub machen könnte, wenn Flugreisen ins Ausland wegen der Pandemie nicht möglich sind, und sie berichteten über die Lausitz. Die Besucher strömten herbei und schrieben in die Gästebücher: »Wir kommen wieder.«

Die Infrastruktur wird weiter ausgebaut. Am Seestrand Lieske will ein Investor 40 Ferienhäuser errichten. Der Kauf des 18 000 Quadratmeter großen Grundstücks stehe unmittelbar bevor, berichtet Zweckverbandsvorsteher Wurzler. Nur leider könne man dem Investor nicht sagen, wann der Tagebausee zur Nutzung freigegeben wird. Das dauert seine Zeit. Insgesamt jedoch scheint alles auf einem guten Weg zu sein. Damit die Politik nicht glaube, sie brauche nur noch zuzuschauen, präsentiert Wurzler eine Wunschliste. Ganz oben steht ein einheitliches Schifffahrtsrecht. Denn die Grenze zu Sachsen verläuft durch das Seenland, teilweise durch einzelne Gewässer wie den Geierswalder See hindurch. Einem Freizeitkapitän ist schwer verständlich zu machen, was er diesseits und jenseits der Linie dürfe oder nicht. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) habe gesagt, dass er ein einheitliches Schifffahrtsrecht in zwei Jahren hinbekomme. »Ich hoffe, dass er das schafft«, sagt Wurzler.

»Es gibt nur eine Lausitz und die müssen wir gemeinsam stärken«, bestätigt der Landtagsabgeordnete Michael Schierack (CDU) die Notwendigkeit enger Abstimmung mit Sachsen. »Fragen nach einer erfolgreichen Vermarktung und die Planung von Radwegen machen nicht an Ländergrenzen halt.« Erwogen wird, die Lausitz in der Tourismuswerbung zu einer Marke zu machen. Allerdings warnt Dieter Hütte, Chef der Tourismus Marketing Brandenburg GmbH, dies dürfte den eingeführten Marken Brandenburg und Sachsen keine Konkurrenz machen. Sinnvoller wäre es vielleicht, sich eine Etage tiefer zu orientieren. Da könnte sich das Lausitzer Seenland neben dem Spreewald und dem Dahme-Seengebiet einordnen. Alles andere will nach Darstellung von Hütte reiflich überlegt sein.

Erkennungszeichen der Region könnten die bunten Trachten der slawischen Minderheit der Sorben sein, so wie es die Lederhosen für Bayern sind und die roten Bollenhüte für den Schwarzwald, schlägt Pětr Brězan vor. Er ist der für den Tourismus zuständige Referent beim sorbischen Dachverband Domowina und außerdem Vorsitzender des Vereins Sorbischer Kulturtourismus. Zur sorbischen Kultur gehören laut Brězan nicht allein die alten Bräuche, die in den Dörfern weiter gepflegt werden, sondern auch die junge Sängerin Lena Hauptmann, die mit ihren Liedern in sorbischer und englischer Sprache 2019 den zweiten Platz bei einem internationalen Chansonwettbewerb belegte und außerdem den Publikumspreis bekam.

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