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»Pflegekräfte haben die Nase voll«
Über nicht geimpfte Beschäftigte, Versprechen der Politik und was daraus wurde
Zu Beginn der Pandemie wurden sie als Helden der Arbeit beklatscht. Jetzt sind Pflegekräfte wieder in den Schlagzeilen, nachdem es Corona-Ausbrüche in Altenheimen gab. Diesmal hagelt es Vorwürfe, weil einige Beschäftigte nicht geimpft sind. Er habe »null Toleranz« dafür, sagte etwa der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus. Die Beschäftigen zögen damit die gesamte Pflegebranche in ein schlechtes Licht.
Nun weiß niemand, wie hoch die Impfquote unter Altenpflegekräften ist. Was man aber weiß: Die Situation in der Altenpflege ist bereits seit Jahren miserabel, ganz ohne schlechtes Licht, und zwar für Beschäftigte und Pflegebedürftige, die nicht gut betucht sind. Die Pandemie hat die Lage verschärft. Gleichzeitig haben viele Hoffnung geschöpft, weil die Politik Verbesserungen versprochen hat. Doch es kam anders. Wir haben mit Vertreterinnen und Vertretern von Pflegekräften und Branchenkennern über die derzeitige Lage und die Stimmung unter den Beschäftigten, übers Impfen und Testen gesprochen.
Fachkräfte in der Altenpflege haben im vorigen Jahr bei einer vollen Stelle einen mittleren Bruttolohn von rund 3170 Euro im Monat erhalten, Fachkräfte in der Krankenpflege erhielten rund 470 Euro mehr.
Beschäftigte in Helferberufen erhielten in der Altenpflege 2241 Euro, in der Krankenpflege waren es 514 Euro mehr. Dies geht aus einer Analyse des Forschungsinstituts IAB hervor, in dem nur Vollzeitkräfte betrachtet werden.
Die Gehälter in den einzelnen Einrichtungen sind sehr unterschiedlich, so erhalten Fachkräfte in der ambulanten Pflege im Mittel nur 2857 Euro, in Ostdeutschland sind es sogar nur 2680 Euro. Zu bedenken ist auch, dass ein Großteil der Pflegekräfte Teilzeit arbeitet. Bei Helferinnen gilt dies für zwei Drittel der Beschäftigten. Insgesamt arbeiten in der Altenpflege rund 1,2 Millionen Menschen.
Der Mindestlohn in der Pflege beträgt zwölf Euro pro Stunde. Für Fachkräfte liegt er bei 15 Euro. rt
Pflegenotstand - das heißt für viele Beschäftigte, dass sie keine gute Arbeit machen können. »70 Prozent haben in einer Verdi-Umfrage gesagt, dass sie keine Zeit haben, mit den Pflegebedürftigen ins Gespräch zu kommen«, sagt Matthias Gruß, der bei der Gewerkschaft Verdi für die Altenpflege zuständig ist. »Das ist aber notwendig, um Pflegebedarf zu erkennen und natürlich auch für die psychische Gesundheit der alten Menschen.«
Weil es zu wenig Personal gibt, müssen die Leute zudem oft kurzfristig einspringen. »Das ist ein dickes Problem«, sagt Renate Müller, die Beschäftigte in Einrichtungen der katholischen Kirche vertritt und Bundesvorsitzende der zuständigen Mitarbeiterorganisation BAG-MAV ist.
»Das geht mich alles nichts mehr an«
Jede zweite Fachkraft in der Altenpflege hat einen Teilzeitjob, bei Helferinnen sind es sogar zwei von drei. Einige wollen das selbst, so Müller. »Viele sagen aber auch, wir schaffen keinen Vollzeitjob, die Arbeit ist zu anstrengend.« Zudem stellten einige Arbeitgeber gern Teilzeitkräfte ein, um mehr Personen zu haben, die bei Engpässen kurzfristig einen Dienst übernehmen können.
Die hohe Belastung kann zum sogenannten Coolout-Phänomen führen, erläutert die Altenhilfe-Expertin Heike Prestin von der Diakonie: Beschäftigte verlieren ihre Empathie, sie sind so belastet, dass sie sagen: Das geht mich alles nichts mehr an.
Der Personalmangel ist riesig. In Altersheimen werden 36 Prozent mehr Pflegekräfte gebraucht, um die Menschen so zu versorgen, wie es nötig wäre, ergab ein Gutachten des Gesundheitsökonomen Heinz Rothgang.
Zusätzliche Stellen beschlossen
Das Problem ist längst bekannt. So hat die Bundesregierung 2018 und 2020 beschlossen, dass es insgesamt 33 000 zusätzliche Stellen geben soll. Doch bis Ende Juni waren erst 5314 dieser Stellen besetzt, erklärt die AOK auf Nachfrage. Ein Grund mag der Fachkräftemangel sein. Doch für Pflegehelfer gilt dies nicht, viele Arbeitslose suchen eine Stelle. »Obwohl es voll finanziert wird, ist es den Arbeitgebern offenbar nicht so wichtig, ihr Personal zu entlasten«, schlussfolgert Gruß.
So bleibt der permanente Zeitdruck: »Die Beschäftigten haben das Gefühl, dass sie die Arbeit, die sie machen wollen und sollten, nicht schaffen. Das ist der Normalzustand«, sagt Expertin Prestin. In der Pandemie ist der Arbeitsaufwand auch noch gestiegen, etwa durch Hygienevorkehrungen und Personalausfälle durch Quarantänezeiten.
Gleichzeitig gab es immer wieder Grund zur Hoffnung. So vereinbarten Verdi und der Unternehmerverband BVAP im Februar dieses Jahres einen Tarifvertrag, der für allgemeinverbindlich erklärt werden sollte. Doch die Arbeitgebervertreter in der Caritas legten ihr Veto ein. »Das war für Beschäftigte eine unglaubliche Enttäuschung«, so Gruß. Anstatt harte Vorgaben zu machen, hat die CDU/SPD-Koalition dann im Sommer mit der Pflegereform Regelungen zu Tariflöhnen und der Personalbemessung gemacht, die viel Spielraum lassen.
»Viele Pflegekräfte haben die Nase voll, gerade jetzt, in der Pandemie«, sagt Gruß. »Sie hören Versprechungen und dann ändert sich so gut wie nichts.«
Schrumpfender Sozialschutz
Was die Finanzierung der Pflege angeht, ist die beschlossene Reform eher ein Rückschritt. Denn sie sieht unterm Strich preisbereinigt keine zusätzlichen öffentlichen Mittel vor. Zwar soll die Pflegeversicherung jährlich 1,4 Milliarden Euro mehr erhalten. Gleichzeitig wurde aber beschlossen, dass die Pflegepauschalen nicht generell erhöht werden, um den Preisanstieg von 2017 bis 2019 auszugleichen. Das hatte sich die Bundesregierung eigentlich schon vorgenommen, nun ist nichts daraus geworden. Dies bedeutet: 1,8 Milliarden Euro weniger als geplant.
Die Folge: Mehr Personal und höhere Löhne führen dazu, dass die Eigenbeiträge, die Pflegebedürftige zahlen müssen, weiter steigen. Für sehr Wohlhabende ist das kein Problem, wohl aber für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen.
Durch die wachsenden Eigenanteile wird die Pflege faktisch zunehmend privatisiert, was Ärmere besonders trifft: Sie müssen aus ihren geringen Einkünften die Eigenbeiträge entrichten, zudem ist ihr Pflegerisiko größer. So werden ärmere Männer im Durchschnitt sechs Jahre früher pflegebedürftig als Wohlhabende. Bei Frauen beträgt der Unterschied 3,6 Jahre. Das ergab eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW.
Für Heime bedeutet die unzureichende öffentliche Finanzierung: Wer möglichst wenig Personal hat und dieses möglichst niedrig vergütet, kann Pflegebedürftigen günstigere Plätze anbieten als gut ausgestattete Häuser.
Pflegende fühlen sich im Stich gelasssen
Beschäftigte wissen, dass die Politik etwas tun könnte gegen Personalnot und niedrige Löhne, sie sehen, dass Auto- und Flugzeugkonzerne Milliarden Euro Unterstützung bekommen. Pflegende fühlen sich seit Jahren im Stich gelassen, erst recht in der Pandemie, sagt eine Branchenkennerin. Und nun fordert die Politik von ihnen, sich impfen zu lassen. Das könne eine Abwehrreaktion auslösen. Sie höre aus Einrichtungen, dass Verärgerung über und mangelndes Vertrauen in die Politik eine Rolle spielten bei manchen Beschäftigten, die sich nicht impfen lassen. In ihrem Arbeitsalltag müssen sich die Menschen ständig dem Zeitdruck unterordnen, nun wollen sie einmal selbstbestimmt entscheiden.
Politikverdrossenheit könne ein Grund sein, dass sich manche nicht impfen lassen, sagt der Gewerkschafter Gruß. Ängste spielten wohl auch eine Rolle, diese gelte es durch Aufklärung zu nehmen.
Jedenfalls wollen die meisten Beschäftige nicht darüber reden. Die Stimmung sei in den Altenheimen ohnehin angespannt zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften, auch durch die scharf geführt öffentliche Debatte, betont Renate Müller von der katholischen Mitarbeitervertretung BAG-MAV.
Sie persönlich verstehe nicht, dass sich manche Altenpflegekräfte nicht impfen lassen. Den Menschen noch mehr Druck zu machen und sie an den Prangen zu stellen, bringe jedoch nichts und könne dazu führen, dass sie es dann erst recht nicht tun. Sinnvoll sei hingegen Aufklärung und eine engmaschige Testung von allen Besuchern und Beschäftigten, auch den Geimpften. Das haben die Gesundheitsminister am Freitag beschlossen.
Um den Pflegemissstand auf Kosten von Beschäftigten und Pflegedürftigen endlich zu beenden, sei eine solidarische Lösung nötig, betont Prestin: »Die gesetzliche Pflegeversicherung muss eine bedarfsgerechte Pflege finanzieren. Die Eigenanteile müssen gedeckelt werden.« Das würde auch Familien entlasten, die immer noch als »Pflegedienst der Nation« benutzt würden. »Die eigentlichen Dramen spielen sich in Familien ab, wo die meist weiblichen Angehörigen zu wenig Unterstützung bekommen oder osteuropäische Betreuungskräfte ausgebeutet werden.«
Dass der Pflegenotstand schon so lange anhalte, habe auch etwas damit zu tun, dass meist Frauen die Menschen pflegen, als Angehörige oder als Erwerbstätige. Und dass die Pflegebedürftigen meist alt sind - es geht also anders als bei Kranken nicht darum, dass sie wieder erwerbstätig sein können.
Solidarisch finanzieren ließe sich eine bessere Pflege etwa durch ein Zusammenlegen von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung. Doch genau das haben SPD, Grüne und FDP in ihrem Sondierungspapier ausgeschlossen.
Hier könnte Druck helfen. »Die Mitarbeiter in den Altenpflege müssen aufbegehren und sagen: So geht es nicht weiter«, meint Renate Müller von der Mitarbeitervertretung katholischer Einrichtungen. »In Kliniken ist das passiert und es hat viel gebracht.«
Arbeitskämpfe sind in kirchlichen Einrichtungen selten, das Streikrecht ist hier massiv eingeschränkt. »Die Beschäftigten können sich auch gewerkschaftlich organisieren und sich einmischen«, sagt Müller. »Und Streiks sind auch anderswo das letzte Mittel.«
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