Klage gegen Bootsflüchtlinge

Zwei Männern drohen in Griechenland lange Haftstrafen wegen Schlepperei

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

Zuletzt hat die Situation von Geflüchteten an der Grenze zwischen Belarus und Polen für Schlagzeilen gesorgt. Aber nach wie vor leiden Schutzsuchende auch in Griechenland. Not und Leid werden mitunter kriminalisiert - wie bei Ayoubir Nadir aus Afghanistan, der mit seinem Sohn in die Europäische Union zu fliehen versuchte. Doch das Boot kenterte am 8. November 2020 vor der griechischen Insel Samos, Ayoubir Nadir überlebte knapp, doch sein sechsjähriger Sohn kam ums Leben. Seitdem sitzt der 25-Jährige im Gefängnis. Im Frühjahr 2022 soll er wegen Kindeswohlgefährdung angeklagt werden. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis. Ein weiterer Bootsinsasse soll wegen «unerlaubten Transports von 24 Drittstaatsangehörigen in griechisches Hoheitsgebiet» angeklagt werden. Ihm könnte wegen Schlepperei sogar eine lebenslängliche Strafe drohen.

Antirassistische Organisationen haben zum Jahrestag des Bootsunglücks die Kampagne FreetheSamosTwo gestartet. Die Initiative ging von der Berliner NGO Borderline Europe aus, die bereits seit Jahren auf die Kriminalisierung von Flucht und Fluchthilfe aufmerksam macht und sich in den letzten Jahren vermehrt der Kriminalisierung von Bootsfahrer*innen zugewandt hat. «Es haben sich der Kampagne schnell Gruppen aus ganz Europa angeschlossen, insbesondere aus Griechenland, so etwa Aktivist*innen von Aegean Migrant Solidarity oder Alarmphones», erklärt Julia von der Kampagne gegenüber «nd». Sie betont, dass es sich hier nicht um Einzelfälle handelt. «Die Kriminalisierung von Bootsfahrenden ist bereits seit Jahren systematische Praxis, Staaten wie Griechenland und Italien praktizieren es vielleicht weniger offensichtlich, indem sie es zum Beispiel als »Schleuserbekämpfung« verkaufen. Auch im Fall der beiden Männer in Samos wird eine EU-Richtlinie, die vorgeblich dem Schutz vor Menschenhandel dienen soll, zur Kriminalisierung von Geflüchteten genutzt.

Die Aktivistin Julia betont, dass nicht der Vater für den Tod seines Sohnes verantwortlich ist, sondern eine Politik der Europäischen Union, die legale Migrationsrouten verweigert und, so die Menschen zwingt, immer gefahrvollere Fluchtwege zu nutzen.

Die Kriminalisierung von Geflüchteten stellt sie auch in einen größeren Zusammenhang. Bereits 2020 wurden in Ungarn Geflüchtete wegen eines »unerlaubten Grenzübertritts« zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Damals sei das rigide Vorgehen gegen Asylsuchende als Kennzeichen einer rechten Regierung angesehen worden. Dabei sei aber übersehen worden, dass der ungarische Regierungschef Victor Orbán mit seiner harten Haltung von Politiker*innen anderer EU-Staaten unterstützt werde.

Die Kriminalisierung der beiden Männer auf Samos stellt für sie eine Orbánisierung der EU-Flüchtlingspolitik dar. Die Aktivistin stellt auch die kürzliche Verurteilung des Bürgermeisters der kalabrischen Gemeinde Riace in Italien zu einer langjährigen Haftstrafe in diesen Kontext: Selbst Unterstützer*innen von Geflüchteten werden mittlerweile kriminalisiert. Der kalabrische Bürgermeister Domenico Lucano wurde zunächst vielfach für seine Haltung gelobt und mit Preisen ausgezeichnet. Dann geriet er ins Visier der Rechten, wurde angefeindet und letztlich für seine Zivilcourage belangt.

Am Fall der beiden Angeklagten von Samos will die Solidaritätskampagne den Prozess im Frühjahr 2022 öffentlich begleiten. Bereits im Vorfeld soll die Öffentlichkeit mit vielfältigen Veranstaltungen sensibilisiert werden. »Wir werden bis zum Prozess im Mai versuchen, so viel Aufmerksamkeit wie möglich für diese beiden Fälle zu schaffen, sei es mit Veranstaltungen, Petitionen, Aktionen auf der Straße oder im Netz«, betont Julia.

Am 20. November findet in Berlin eine Veranstaltung zu den beiden inhaftierten Geflüchteten in Samos statt, bei der der auch der Anwalt der Angeklagten anwesend sein wird. Nähere Infos unter: www.borderline-europe.de

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