US-Raketenkommando reaktiviert

Das Pentagon stellt einen in Deutschland bis 1991 stationierten Truppenverband wieder in Dienst

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Diese Woche hatte das Kommando der US-Armee für Europa und Afrika zu einer Zeremonie in die Lucius D. Clay Kaserne in Wiesbaden eingeladen. Soldaten waren angetreten, ein Fahnenkommando nahm Aufstellung, ein Militärorchester spielte Märsche, ein Vier-Sterne-General schmetterte markige Sätze. Dann wurde die Truppenfahne entrollt, und während man 21 Salutschüsse abfeuerte, versank das Paradefeld im Pulvernebel. Der Anlass der Zeremonie: Die US-Streitkräfte haben ihr 56. Artillerie-Kommando reaktiviert, dessen Hauptquartier in Mainz-Kastel liegt.

Zwischen 1963 und 1991 war der Truppenverband schon einmal in Deutschland stationiert. Nennt man dessen einstige Bewaffnung, werden Erinnerungen an Hochzeiten des Kalten Krieges und der Friedensbewegung wach. Das Kommando hatte die Gewalt über die Pershing-I- und Pershing-II-Bataillone der US-Armee. Deren mit Nuklearsprengköpfen bestückten Mittelstreckenraketen waren – neben gleichfalls in Westdeutschland stationierten Tomahawk-Marschflugkörpern der US-Luftwaffe – das Gegenstück zu den SS-20- und SS-21-Atomraketen, die die Sowjetunion in verschiedenen Staaten des Warschauer Vertrages stationiert hatte. Die Gefahr des gegenseitigen Overkills war damals sehr real.

Im Westen wuchs Anfang der 1980er Jahre der Widerstand gegen das Wettrüsten der Supermächte. 1981 beispielsweise versammelten sich in Bonn, dem damaligen Regierungssitz der Bundesrepublik, 300.000 Menschen, um gegen die Grundlage der westlichen Raketenstationierung, den sogenannten Nato-Doppelbeschluss, zu protestieren. In der DDR wurde der Protest zumeist staatlich gelenkt. Doch auch der erste Mann im Lande, SED-Generalsekretär Erich Honecker, verlangte, das »Teufelszeug« müsse von deutschem Boden verschwinden.

1987 unterzeichneten Moskau und Washington den sogenannten Intermediate Range Nuclear Forces-Vertrag, kurz INF. Darin wurde festgelegt, dass beide Seiten weltweit ihre landgestützten Nuklearraketen kürzerer und mittlerer Reichweite samt allen Abschussvorrichtungen zerstören. Mangels Waffen und Aufgaben wurde das damalige 56th Field Artillery Command der US-Armee im Juni 1991 außer Dienst gestellt.
Nun ist es wieder auferstanden, ausgestattet »mit bedeutenden Fähigkeiten für multidisziplinäre Operationen«, betonte der Chef der neuen Truppe, Generalmajor Stephen J. Maranian. Das sagt alles und nichts. Doch dass die Angehörigen des Kommandos unter anderem Boden-Boden-Langstreckeneinsätze im gesamten Verantwortungsbereich der US Army Europe and Africa koordinieren sollen, macht hellhörig.

Obgleich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach der Stationierung neuer russischer Atomraketen an den Westgrenzen des Landes erklärt hatte, die Nato werde auf Russlands Aufrüstung nicht in gleicher Art und Weise antworten, wollen die USA in den kommenden Jahren neue bodengestützte Hyperschallwaffen und andere Raketen mit größerer Reichweite stationieren. Experten vermuten, dass es sich um das Dark Eagle- und das Typhoon-System handelt.

Dark Eagle ist eine Langstrecken-Hypersonic-Rakete, die das US-Heer gemeinsam mit der US Navy entwickelt hat. Eine erste Batterie ist angeblich bereits in Dienst gestellt worden. Die »Typhoon« ist ein Raketenabfangsystem mittlerer Reichweite, das möglicherweise anfliegende russische Raketen »entschärfen« soll. Die US-Marine hat derartige Raketen bereits seit 2013 im Einsatz. Bisher hieß es, man könne sie notfalls bei Raketenangriffen Nordkoreas einsetzen.

Spekuliert wird auch darüber, dass die US-Armee neue ballistische Flugkörper mit konventioneller Bewaffnung beschaffen könnte. Diese sogenannten Precision Strike Missiles haben eine Reichweite von über 310 Meilen. Sie wären nach dem inzwischen ausgelaufenen INF-Vertrag verboten. Doch das Abkommen wurde noch unter US-Präsident Donald Trump gekündigt, auch Moskau maß dem Papier keine Bedeutung mehr zu. Seit dem 2. August 2019 ist er außer Kraft.

Angesichts anhaltender Proteste gegen bereits in Europa stationierte US-Atomsprengköpfe befürchtet man in Washington Widerstand gegen die neuen Raketenpläne. Man vermutet zudem, wichtige Nato-Verbündete könnten einer Stationierung neuer Nuklearwaffen auf ihrem Territorium nicht zustimmen. Daher plant man im Pentagon dem Vernehmen nach, die neuen Atomraketen auf Basis eines Rotationsverfahrens nach Europa und näher an die russische Grenze zu schaffen.

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