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Der Anfang vom Ende der Notlage
SPD und Grüne werben um breite Zustimmung zu Corona-Gesetzesvorhaben
Seit Wochen nimmt das Infektionsgeschehen in Deutschland zu, die Situation auf den Intensivstationen spitzt sich zusehends zu, in den letzten Tagen explodierten die Fallzahlen der neu gemeldeten Ansteckungen mit dem Coronavirus förmlich. Ein Ende dieser Entwicklung ist derzeit nicht absehbar. Was neben der nach wie vor nicht ausreichenden Impfquote wohl auch daran liegen dürfte, dass die Pandemie-Bekämpfung seit der Bundestagswahl zwischen Suche nach und Verhandlungen für eine neue Regierung sowie Selbstfindungstrip der Union nach dem Wahldebakel nicht den Stellenwert genoss, der angesichts der sich andeutenden Eskalation nötig gewesen wäre.
Wie also soll es weitergehen in der Coronakrise? Darüber, welche rechtlichen Rahmenbedingungen zur Ergreifung von Anti-Corona-Maßnahmen künftig zur Verfügung stehen sollen, diskutierte am Donnerstag der Bundestag. Für die Zeit nach dem von den Ampel-Koalitionären geplante Auslaufen der epidemischen Notlage von nationaler Tragweite Ende November streben SPD, Grüne und FDP ein bundeseinheitliches Vorgehen an, das durch eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes festgeschrieben werden soll.
Olaf Scholz, kommender Kanzler und augenblicklicher geschäftsführender Vizekanzler und Finanzminister, erklärte in seiner ersten großen Rede nach der Bundestagswahl zu dem von SPD, Grünen und FDP am Donnerstag in den Bundestag eingebrachten Gesetzesvorhaben: »Wir müssen gewissermaßen unser Land winterfest machen.« Das Virus sei noch unter uns und bedrohe die Gesundheit der Bürger*innen. Deshalb sollten Dinge wie Maskenpflicht und Hygieneregeln weiter durchgesetzt werden können. Zudem warb Scholz für eine »große gemeinsame Kampagne« für mehr Impfungen und appellierte an die Menschen: »Lassen Sie sich impfen! Es ist wichtig für Ihre Gesundheit, und es ist wichtig für unser Land.« Die Oppositionsparteien im Bundestag rief Scholz dazu auf, dem neuen Infektionsschutzgesetz zuzustimmen: »Ich fände es schön, wenn es parteiübergreifend getragen wird.«
Auch ein zuletzt immer vehementer - unter anderem von Noch-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) - gefordertes Bund-Länder-Treffen zur Corona-Lage kündigte Scholz an: »Es wird in der nächsten Woche ein Gespräch mit den Ministerpräsidenten der Länder geben«, so Scholz. Via Kurznachrichtendienst Twitter erklärte daraufhin der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und derzeitige Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Hendrik Wüst (CDU): »Im Einvernehmen mit der Bundeskanzlerin und der SPD-Seite lade ich zu einer Ministerpräsidentenkonferenz am kommenden Donnerstag ein.« Es sei »gut, dass nun endlich von allen Seiten Bereitschaft für diese dringend notwendige Abstimmung da ist«. Vor allem die SPD-geführten Länder waren in Bezug auf ein solches Treffen bisher eher zurückhaltend.
In der Bundestagsdebatte begrüßte Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus das von Scholz angekündigte Bund-Länder-Treffen, zu dem, so Brinkhaus, die Ministerpräsidenten der Union schon lange bereit gewesen seien. Heftig kritisierte er hingegen das Vorhaben der künftigen Ampel-Koalitionäre, die epidemische Notlage nationaler Tragweite am 25. November auslaufen zu lassen. Damit setze die Ampel »das völlig falsche Signal«, so Brinkhaus. »Sie sagen den Leuten: Es ist nicht mehr so schlimm. Im Gegenteil: Wir müssen den Menschen sagen, Ihr müsst noch achtsamer sein.« Die Union werde sich dafür einsetzen, dass die epidemische Notlage verlängert werde.
Die Fraktionsspitzen der künftigen Koalitionspartner der SPD wiederum verteidigten die Ampel-Pläne. Katrin Göring-Eckardt erklärte für die Grünen, die Maßnahmen, die nach dem Auslaufen der epidemischen Lage den Ländern zur Verfügung stünden, seien »wirksam und rechtssicher«. Zugleich warb sie für einen breiten Konsens. Die Debatte über die nötigen Maßnahmen gehöre in den Bundestag. Es müsse darüber gesprochen werden, wie der bislang vorliegende Maßnahmenkatalog erweitert werden könne. »Wenn sie weitere Vorschläge haben, reden wir darüber sehr, sehr gerne«, so Göring-Eckardt. Auch mit Experten und Menschen aus der Praxis solle noch über die nötigen Maßnahmen beraten werden. Mit deutlichen Worten reagierte FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann auf aus seiner Sicht unsachliche Vorwürfe gegen die Ampel-Parteien: »Wir können hart in der Sache diskutieren, über jedes einzelne Instrument, aber Lügen und Fake News gehören in den Instrumentenkasten von Diktatoren und Populisten.« Bewusst werde das Missverständnis geschürt, dass irgendjemand behauptete, mit dem geplanten Auslaufen der gesetzlichen Sonderlage sei Corona vorbei.
Für die Linksfraktion begrüßte Vizefraktionschefin Susanne Ferschl, dass mit dem Gesetzesvorhaben Schluss sei »mit dem juristischen Konstrukt«, mit dem »Regieren per Verordnungsermächtigungen« möglich sei. Gleichzeitig kritisierte sie die Befristung der künftigen Maßnahmen im Gesetz bis 19. März 2022. Den Menschen dürfe »nicht vorgegaukelt« werden, dass die Pandemie dann vorbei sei. Auch am zögerlichen Handeln angesichts des Infektionsgeschehens übte Ferschl scharfe Kritik. Es sei die vierte Welle und das vierte Mal, »dass die Verantwortlichen warten, bis die Welle über ihnen zusammenschlägt«.
Das Gesetzesvorhaben wurde vom Plenum im Anschluss an die Debatte in den zuvor eingesetzten Hauptausschuss überwiesen. Nach einer Anhörung zum Gesetz soll es am 18. November vom Bundestag beschlossen werden. Danach muss es auch noch den Bundesrat passieren. Mit Agenturen
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