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Schmierenskandal setzt Johnson unter Druck
Korruptionsvorwürfe gegen britische Regierung lassen Zustimmungswerte für Tories sinken
Wenn sich der Premierminister Großbritanniens genötigt fühlt, zu versichern, dass sein Land »nicht im Entferntesten korrupt« sei, dann kann davon ausgegangen werden, dass etwas im Argen liegt. Boris Johnsons Regierung ist in einen Korruptionsskandal verwickelt, der seine Tory-Partei zunehmend in Erklärungsnot bringt. Täglich liest man in der Presse neue Enthüllungen, die das Tory-Establishment in wenig schmeichelhaftem Licht zeigen: Vetternwirtschaft und Missbrauch des öffentlichen Amts zum eigenen finanziellen Vorteil scheinen an der Tagesordnung zu sein.
Angefangen hat die Affäre vergangene Woche, als der ehemalige Minister Owen Paterson aufgrund von regelwidrigem Lobbying zurücktreten musste. Der Tory-Abgeordnete hatte sich in seiner Funktion als Minister für zwei Firmen eingesetzt, für die er zur gleichen Zeit eine bezahlte Beratertätigkeit ausübte. Die Kommissarin für parlamentarische Standards empfahl, Paterson für 30 Tage vom Unterhaus zu suspendieren. Paterson beklagte sich über die »grausame Welt der Politik« und trat zurück.
Aber damit war die Sache nicht vorbei: In den folgenden Tagen gerieten mehrere andere Abgeordnete in die Schusslinie. An vorderster Stelle steht Geoffrey Cox, der ehemalige Staatsanwalt, der offensichtlich eine gute Nase hat für lukrative Nebenjobs. Vergangenes Jahr trat er als Anwalt für die Regierung der Steueroase Britisch Virgin Islands auf, als diese sich einer Untersuchung wegen Korruption stellen musste. Laut Presseberichten hat Cox als Anwalt in der Sache bislang 700 000 Pfund (818 000 Euro) verdient.
Britische Unterhausabgeordnete dürfen zwar Nebenjobs ausüben, solange sie diese deklarieren. Allerdings vermittelt Cox nicht eben den Eindruck, als räume er seinem Amt als Abgeordneter besondere Bedeutung bei. »Seine Wähler müssen sich wundern, ob Geoffrey Cox ein Anwalt in der Karibik oder ein konservativer Abgeordneter ist«, so der Vorwurf der oppositionellen Labour-Partei.
Am Mittwoch ist zudem ein Video aufgetaucht, das Cox zeigt, wie er anscheinend von seinem Abgeordnetenbüro in Westminster seiner Anwaltstätigkeit nachgeht - was ausdrücklich verboten ist. Laut dem »Guardian« hat Cox in seinem Nebenjob als Anwalt seit seinem Amtsantritt 2005 mindestens sechs Millionen Pfund verdient. Der »Mirror« berichtet zudem, dass Cox eine Londoner Wohnung für satte 4000 Pfund pro Monat vermietet, während er gleichzeitig den Steuerzahlern 1900 Pfund an Spesen für seine eigene Mietwohnung verrechnet.
Auch sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen öffentliche Aufträge im Zuge der Pandemie an Bekannte von Regierungsmitgliedern gegangen sind, oder an Firmen, für die Abgeordnete gearbeitet haben. Schließlich betreffen die Vorwürfe den Premierminister selbst: Im Oktober weilte Johnson in einer Villa im spanischen Marbella, die dem Tory-Oberhausabgeordneten Zac Goldsmith gehört - und zwar umsonst. Goldsmith wurde vor zwei Jahren als Unterhausabgeordneter abgewählt, woraufhin er von Johnson geadelt wurde und so seinen Posten als Minister im Umweltressort behalten konnte.
Die ganze Affäre erinnert stark an den Spesenskandal von 2009. Damals enthüllte die Presse, dass Unterhausabgeordnete das Spesensystem für teils extravagante Ausgaben missbrauchten - der Skandal führte zu unzähligen öffentlichen Entschuldigungen, Entlassungen und Rücktritten, und es ramponierte den Ruf der britischen Politiker dauerhaft.
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Sollte sich jetzt der Verdacht erhärten, dass Abgeordnete der Regierungspartei ihr Amt auf ähnliche Weise zu eigennützigen Zwecken missbrauchen, könnten die Tories noch stark in Bedrängnis geraten. Bereits jetzt hat ihr Ruf Schaden genommen: Die Regierungspartei ist in der vergangenen Woche in Umfragen stark abgestürzt. Ein konservativer Politiker sagte gegenüber dem Nachrichtenportal »Politico«: »Ich kann mich nicht erinnern, dass es einen solchen Moment gegeben hat, seit Johnson Parteivorsitzender geworden ist.«
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