Senioren die Bleibe gekündigt

Verbraucherzentrale und Mieterverein beraten vor der Josephinen-Wohnanlage

  • Andreas Fritsche, Potsdam
  • Lesedauer: 4 Min.
Kurzer Weg zur Rechtsberatung: Das Mobil der Verbraucherzentrale parkt am Sonntag vor der Josephinen-Wohnanlage.
Kurzer Weg zur Rechtsberatung: Das Mobil der Verbraucherzentrale parkt am Sonntag vor der Josephinen-Wohnanlage.

Die eine oder andere alte Dame kommt mit ihrem Rollator vorbei. Fragen stellen in der Regel ihre Angehörigen, zum Beispiel die Söhne. Draußen ist es kalt, aber die Ratsuchenden, die einen Termin haben, können nacheinander in einem Fahrzeug der Verbraucherzentrale Platz nehmen. Hier erhalten sie ausnahmsweise kostenlos eine Rechtsberatung der Experten der Verbraucherzentrale und des Mietervereins. Die zehn Termine am Sonntag sind ausgebucht.

Kommendes Wochenende wird das Fahrzeug noch einmal vor der Josephinen-Wohnanlage in der Potsdamer Burgstraße parken. Den mehr als 100 Senioren, die dort betreut werden, sind vor wenigen Tagen ihre Mietverträge gekündigt worden - zur gesetzlichen Frist, wie es in den Kündigungsschreiben heißt. Es fehlt die konkrete Angabe, zu welchem Datum die Bewohner jeweils spätestens ausgezogen sein sollen. Bei Mietverträgen, die schon länger als fünf Jahre laufen, gilt aber bekanntlich eine Kündigungsfrist von sechs Monaten, bei geringerer Dauer sind es drei Monate.

»Seit 2007 bieten wir in der Josephinen-Wohnanlage Wohnungen zu kleinstem Preis an«, heißt es in einer Erklärung auf der Internetseite der Einrichtung. »Mit großem Bedauern« müsse man mitteilen, dass die Anlage geschlossen werde. Begründet wird das unter anderem mit der erheblichen Verzögerung der 2019 gestarteten Bauarbeiten am Speisesaal. So sei die notwendige Suche nach Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg vom Land Brandenburg in der Nähe von Seniorenheimen pauschal untersagt worden, um den Hochbetagten die Evakuierung während einer möglichen Bombenentschärfung zu ersparen. Es hätte das Risiko bestanden, dass sie sich dabei mit Corona anstecken. Außerdem gebe es Lieferschwierigkeiten beim Baumaterial und alles werde teurer. »Vor dem Hintergrund fehlenden Personals und gestiegener Preise können wir die Betreuungsleistungen in der erforderlichen Qualität und Sicherheit mittel- und langfristig nicht mehr zu wirtschaftlich akzeptablen Preisen anbieten.« Daher sehe man sich gezwungen, die Mietverträge zu beenden.

Was das für die Betroffenen bedeutet, die 80, 90 und 100 Jahre alt seien, weiß Peter Mundt, Vorsitzender des Potsdamer Seniorenbeirats. Er sah welche von ihnen verzweifelt weinen. »Diese Menschen haben sich vorgestellt, hier den Rest ihres Lebens verbringen zu dürfen.« Jetzt raus zu sollen, versetze sie in Angst und Panik. »Mit unter 1000 Euro monatlich für Miete und Service ist die Josephinen-Wohnanlage vergleichsweise günstig«, bestätigt Mundt. Etwas anderes zu diesem Preis zu finden, sei in der Stadt »fast unmöglich«. Darum hat Mundt die Beratung durch Verbraucherschützer und Mieterverein organisiert, die dankbar angenommen wird.

Die Betreiber der Anlage haben Unterstützung bei der Suche nach Alternativen angeboten und dazu Fragebögen zugeleitet, was für eine Bleibe sich die Senioren wünschen und leisten können. Diesen Fragebogen auszufüllen, kann nach Einschätzung von Rainer Radloff nicht schaden. Der Vorsitzende des Mietervereins Potsdam und Umgebung rät jedoch, zuvor Widerspruch gegen die Kündigung einzulegen. Das müsse schnell gehen, weil der Widerspruch zwei Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist beim Vermieter eingegangen sein müsse.

In dem Widerspruch, den die Experten von Verbraucherzentrale und Mieterverein für die Bewohner formulieren, wird erklärt, dass die Kündigung unwirksam sei und zusätzlich wird auf den jeweils individuellen Härtefall hingewiesen. Im Gespräch mit den Menschen und ihren Angehörigen wird geklärt, woraus sich der Härtefall ergeben könnte. Alter und Krankheiten spielen eine Rolle sowie die Schwierigkeit, eine andere Unterkunft zu finden. Drei gleichlautende Schreiben werden den Leuten dann sofort ausgedruckt: für den Hausbriefkasten in der Burgstraße, für die GmbH mit Sitz in Pritzwalk, die diese Wohnanlage betreibt, und für den Mutterkonzern in Hamburg.

Die Stadtverordnetenversammlung beschloss, die Senioren zu unterstützen. Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) soll mit den Betreibern reden. Sein Büro hat ihnen bereits Gesprächstermine vorgeschlagen.

»Pflegeeinrichtungen dürfen nicht der Jagd nach Profiten zum Opfer fallen«, findet Linksfraktionschef Stefan Wollenberg. Er möchte, so wie auch Seniorenbeiratschef Peter Mundt die Weichen für einen dauerhaften Erhalt der Wohnanlage stellen.

Ein Termin für die nächste Beratung am 20. November kann beim Mieterverein am 15. November zwischen 9 und 14 Uhr unter Tel.: (0331) 289 34 36 vereinbart werden.

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