- Berlin
- Mietenwahnsinn
Kiezdrache gegen Immobilienhaie
Mieter demonstrieren in Kreuzberg mit einem Laternenumzug gegen Verdrängung
Auf dem Kreuzberger Heinrichplatz leuchten am Samstagabend Laternen. Mehrere Hundert Mieter und zwei von der Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez gebastelte grüne »Kiezdrachen« sind in Position. »Wir erwecken die Drachen mit unserem Schlüsselbund zum Leben. Mit den Schlüsseln zu den Wohnungen, die wir nicht wieder hergeben werden«, ruft einer der Organisatoren des Laternenumzugs ins Mikrofon. Die Erwachsenen klirren mit den Schlüsseln und die vielen Kinder vor Ort fordern: »Aufwachen!« Es ist der mittlerweile siebte widerständige Laternenumzug der Nachbarschaftsinitiative. Eine Demonstration, die entlang mehrerer aktuell von Verdrängung bedrohter Orte im Kiez führt. Und die mit Laterne und Drache bewusst eine ist, zu der man auch mit Kind gehen kann.
Denn Verdrängung bedroht Groß und Klein. Das wird an der Station vor der Oppelner Straße 20 deutlich. Hier ist der Kinderladen Irgendwie Anders zu Hause. Der Vermieter will die Gewerbemiete auf 19 Euro pro Quadratmeter erhöhen. Die Kita kann das nicht bezahlen. »Wenn der Kinderladen weg ist, bedeutet das auch einen Angriff auf den sozialen Zusammenhalt«, sagt Jan, Vater eines Kindes aus dem »Irgendwie anders«. Dem Vater geht es aber nicht nur darum, dass der Vermieter seine Mietforderung senkt. Auch grundsätzlich müsse sich am Gewerbemietrecht etwas ändern, wenn der Ausverkauf gestoppt werden soll, meint er. Denn Gewerbemieter sind bisher nicht vor horrenden Mieterhöhungen und Kündigungen geschützt. Und gerade in dem bei Touristen beliebten Wrangelkiez wird sich leicht ein Gewerbe finden, dass hohe Mieten zu zahlen bereit ist.
»Während Tourist*innen nach hippen Cocktailbars, Restaurants oder Klamottenläden fragen, werden Kitas, Schneidereien oder die Gemüseläden von ihnen nicht gebraucht«, sagt die Mietaktivistin Lorena Jonas auf dem Laternenumzug. Mit jedem solchen Gewerbe vor Ort steige dann auch die Gewinnerwartung bei anderen Vermietern und der Druck auf die angestammten Läden, erklärt sie. Bei Mietwohnungen ist das ähnlich. Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ergab, dass jede Airbnb-Wohnung die Mieten in der unmittelbaren Nachbarschaft um durchschnittlich 13 Cent pro Quadratmeter verteuert. Jonas hat sich auf der Plattform umgeschaut. Dort gefunden hat sie in der Nachbarschaft etwa ein Ein-Zimmer-Apartment für 500 Euro die Nacht. Auf dem regulären Markt dürfte die Wohnung nach dem Mietspiegel nicht einmal im Monat so viel kosten. »Letztlich verknappt jede Ferienwohnung das Angebot regulärer Mietwohnungen«, sagt Jonas.
Beim Laternenumzug am Samstag ging es auch um die Naunynstraße 54/55. Der Häuserkomplex wurde an eine Investorengruppe aus Hongkong verkauft. »Der einzige Grund für den Kauf kann nur gewesen sein, hier Geld zu machen«, sagt eine Mieterin. Wie viele Hausgemeinschaften zuvor hatten auch sie und ihre Nachbarn auf die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Bezirk gehofft. Doch am vergangenen Dienstag entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass das Vorkaufsrecht für Häuser in Milieuschutzgebieten nicht ausgeübt werden darf, wenn lediglich angenommen wird, »dass der Käufer in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen werde«. Auch die Naunynstraße 54/55 hängt damit in der Schwebe.
An diesem Dienstag soll es ein Online-Treffen der stadtpolitischen Initiativen geben, um den Protest gegen die Einschränkung beim Vorkaufsrecht zu organisieren. Denn nicht nur im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat das Vorkaufsrecht als Notnagel gegen Investoreninteressen zahlreiche Häuser in der Vergangenheit gerettet.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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