Schöne neue Bahnwelt

Die S-Bahn schwärmt von ihrer Zukunft, andere fürchten ihre Zerschlagung

  • Nicolas Šustr und Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Displays in den Fensterscheiben, eine »innovative Servicewand« mit Getränkeautomaten, »bequeme Stehsitze«, Plätze für die Arbeit am Laptop: So stellt sich die Deutsche- Bahn-Tochter DB Regio bundesweit ihre S-Bahnen im Jahr 2030 vor. Seit Mittwoch ist das mit diesen und zahlreichen weiteren »Features« bestückte und »Ideenzug City« genannte Modell in Originalgröße in Berlin zu Gast. Eigentlich ist es in Hessen stationiert.

S-Bahn-Berlin-Chef Peter Buchner lobt bei der Vorstellung im Bahnwerk Schöneweide überschwänglich die »vielen pfiffigen Ideen«, die in dem Modell stecken und mit denen man noch mehr Menschen für den Öffentlichen Personennahverkehr zu gewinnen glaubt. Allein das neue »Raumgefühl« mache »Lust, S-Bahn zu fahren«, so Buchner. Wie viel von dem »Ideenzug City« irgendwann mal umgesetzt wird, »können wir am Ende nicht entscheiden«. Das hänge an den Kunden - und den Steuerzahlern.

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Alles andere als zum Teil spinnert wirkende Zukunftsmusik sind die mit konventionellerer Inneneinrichtung ausgestatteten modernen Züge, die noch in diesem Jahr auf der S45 zwischen Bahnhof Südkreuz und Flughafen BER den Betrieb komplett übernehmen werden. Erste Fahrzeuge sind bereits im Einsatz. Dabei handelt es sich um die neue Baureihe 483/484, die regulär bisher nur auf der S47 nach Spindlersfeld fuhr. Eine entsprechende Einigung hat es dem Vernehmen nach zwischen den Ländern, dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg und der S-Bahn gegeben. Laut Verkehrsvertrag wären die Züge erst ab Juli 2022 auf der S46 nach Königs Wusterhausen zum Einsatz gekommen.

Die Serienproduktion der Hersteller Siemens und Stadler Pankow läuft jedenfalls. Im September wurden bereits 17 durchgängige Zwei- und Vier-Wagen-Züge der Baureihen 483 und 484 abgeliefert. Zugelassen wurde der erste Serienzug im Oktober. Beim geplanten Lieferrhythmus von ein bis zwei Zügen pro Woche könnte die gesamte Bestellung von 96 Serienzügen bis Anfang 2023 in Berlin eingetroffen sein. Ab kommendem Frühjahr sollen dann auf der Nord-Süd-Linie S2 alle Fahrten mit der Maximalzuglänge von acht Wagen durchgeführt werden.

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Weiterhin politisch heiß umkämpft bleibt derweil das laufende Vergabeverfahren für die Ost-West-Linien über die Stadtbahn und eben die Nord-Süd-Linien durch den Innenstadttunnel. Anfang des Monats mussten die Bieter nach mehrmaliger Verschiebung ihre indikativen, also unverbindlichen Erstangebote abgeben.

Sicher darunter ist die DB, gemeinsam mit Siemens und Stadler Pankow, auch der Schienenfahrzeugproduzent Alstom soll dabei sein, wohl als Konsortium zusammen mit dem privaten Bahnverkehrsunternehmen Transdev. Da Vertraulichkeit gilt, äußern sich die Beteiligten nicht.

Seit Langem kämpfen Gewerkschaften, Eisenbahnexperten und Teile von SPD und Linke dabei gegen die befürchtete »Zerschlagung der S-Bahn«. Am Dienstag meldete sich sogar die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus zu Wort und warnte vor den »fatalen Folgen« der »Aufteilung in Netz und Betrieb«. Das »Chaos« sei schon programmiert, erklärte der CDU-Abgeordnete Oliver Friederici.

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Schärfere Töne schlägt Jorinde Schulz von der Neuköllner Linkspartei an. »Der teure und bürokratische, durch Verzögerungen und Pannen geprägte Ausschreibungsschlamassel muss sofort und endgültig beendet werden«, sagt Schulz, die sich zugleich im Bündnis Eine S-Bahn für Alle engagiert. Ein Gutachten soll belegen, dass ein Abbruch des Verfahrens möglich ist. Im Wesentlichen ginge dies aber wegen der deutschen Vergaberegeln nur bei einer Kommunalisierung der 100-prozentigen DB-Tochter S-Bahn Berlin GmbH. Bisher zeigte der Bund allerdings keinerlei Interesse, die Mehrheit an einer der größten Ertragsperlen im Konzern abzugeben.

Beim Linke-Parteitag zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen hatte Fraktionschef Carsten Schatz erklärt, dass alle drei Koalitionspartner für die Kommunalisierung der S-Bahn seien. In den Koalitionsgesprächen wird darüber verhandelt. Ob eine mögliche neue Ampel-Bundesregierung dazu bereit wäre, steht dabei auf einem ganz anderen Blatt.

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Klar ist, dass im Zuge der Ausschreibung juristisches Ungemach droht. Bereits im Juni hatte der Schienenfahrzeugkonzern Alstom eine Rüge bei der Vergabekammer eingelegt. Bei abschlägigem Bescheid soll dem Vernehmen nach der Klageweg beschritten werden. Alstom hatte bereits bei der Auftragsvergabe für neue U-Bahn-Wagen der BVG geklagt. Letztlich erfolglos, trotzdem führte der juristische Streit zu rund anderthalb Jahren Verzögerung bei der Vergabe. Die nächste Stufe des Verfahrens, die Aufforderung zur Abgabe verbindlicher Angebote an die qualifizierten Bieter, sollte eigentlich schon im Dezember erfolgen. Das kann nur glücken, wenn rechtzeitig ein neuer Senat steht. Dass das tatsächlich der Fall sein wird, wird von Beobachtern allerdings bereits bezweifelt.

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