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Vierte Welle wird Tsunami

Opposition kritisiert Landesregierung für ihre Corona-Politik

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 4 Min.

Harte Kritik an ihren Corona-Maßnahmen musste sich Brandenburgs Landesregierung am Mittwoch von der Opposition sowohl von links als auch von rechts anhören. Landtagsvizepräsidentin Barbara Richstein (CDU) - sie vertrat die an Corona erkrankte Parlamentspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) - mahnte mehrfach »gesittetes Verhalten« im Plenarsaal an. »Eine Abkehr von Krisenrhetorik, die an Kriegszeiten erinnert«, forderte zum Abschluss der Sitzung der SPD-Abgeordnete Björn Lüttmann. Tatsächlich war es eine Debatte der starken Worte.

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Corona in Zahlen

In den vergangenen sieben Tagen haben sich 433,4 Brandenburger je 100 000 Einwohner mit dem Coronavirus infiziert. Nur eine Woche zuvor lag die Inzidenz noch bei 258,2. Den höchsten Wert hat jetzt mit 994,2 der Landkreis Elbe-Elster.

In den märkischen Krankenhäusern werden 395 Corona-Patienten behandelt. 81 liegen auf der Intensivstation, 68 müssen beatmet werden.

11,1 Prozent der verfügbaren Intensivbetten sind mit Corona-Patienten belegt.

Die Zahl der gemeldeten Todesfälle stieg am Mittwoch um 10 auf 3998.

61,4 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft.

Bisher haben 101 565 Brandenburger eine Auffrischungsimpfung erhalten. af

Von »Politikversagen« sprach Linksfraktionschef Sebastian Walter und warf der Regierung vor, »überhaupt nichts« aus zwei Jahren Pandemie gelernt zu haben. »Ihre Durchhalteparolen, Versprechen und Ausflüchte können die Menschen nicht mehr hören.« Es sei schiefgelaufen, was schieflaufen könne. Dabei ist Walter zufolge inzwischen alles da, was benötigt werde, um der Pandemie Herr zu werden: »Impfen und testen.«

Während in Berlin schon 23 Prozent der alten Menschen die dritte Impfung erhalten habe, seien es in Brandenburg nur 7,5 Prozent. Walter warnte: »Wenn wir jetzt die Zahlen nicht runterbekommen, droht eine flächendeckende Überlastung des Gesundheitswesens.« Er warf der Regierung vor, nicht mit einem Tarifbeschluss für eine gerechte Bezahlung der Pflegefachkräfte gesorgt zu haben, »sodass sie jetzt streiken müssen«. Das Gesundheitswesen stehe heute personell schlechter da als vor der Pandemie.

Zuvor hatte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) in seinem Bericht der Landesregierung von der an Corona erkrankten Bundestagsabgeordneten Alice Weidel (AfD) gesagt, mit der jetzigen Erfahrung wäre sie wohl lieber geimpft gewesen. Unumwunden verurteilte Woidke die Ankündigung des Bundestages als »falsches Signal«, das pandemische Geschehen im nationalen Maßstab für beendet zu erklären. Ihm zufolge scheint sich die vierte Corona-Welle zu einem Tsunami zu entwickeln. Angesichts der wachsenden Gefährlichkeit des Virus drohe erneut die Überlastung der Intensivstationen der Krankenhäuser. Schon müssten planmäßige Operationen verschoben werden, um Betten für Corona-Patienten freizuhalten. Dem Ministerpräsidenten zufolge müsse umfangreiches Testen »wieder zur Normalität gehören«. Der Landkreis Elbe-Elster nähert sich laut neusten Angaben in der Inzidenz der Marke 1000.

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Für AfD-Fraktionschef Christoph Berndt verdient das Handeln der Landesregierung in der Sache nur die Bezeichnung »Wahnsinn«. Berndt forderte, die Corona-Politik durch eine unabhängige Kommission aufzuarbeiten. Corona sei weder die Pest noch die Spanische Grippe. Angststörungen und Fettleibigkeit bei Kindern nähmen durch die Corona-Eindämmungsmaßnahmen zu, die Politik vergrößere so also die Risikogruppen. »Sie helfen nicht, sondern Sie schaden. Sie nehmen nicht wahr, dass die Impfung nichts taugt. Der Impfstoff ist Schrott«, behauptete Berndt, der von Beruf Labormediziner ist und vor seinem Einzug in den Landtag an der Berliner Universitätsklinik Charité tätig war. »Für die meisten Corona-Erkrankten ist das keine schwierige Erkrankung.«

Aus Sicht von SPD-Fraktionschef Daniel Keller existiert eine »moralische Impfpflicht«, er sprach auch von einer »Koalition der Willigen«. Corona-Leugner würden dagegen die dramatischen Berichte von Ärzten und Pflegern ignorieren oder diese sogar der Lüge bezichtigen. »Das ist nicht hinnehmbar.« Kritikern warf Keller vor, zu übersehen, dass die Impfung Menschen gesund erhalten und auch Ansteckungen verhindert habe.

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Für die CDU sagte Fraktionschef Jan Redmann, würde man der gegenwärtigen Entwicklung tatenlos zusehen, dann stiege die Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivstationen von derzeit 66 in sechs Wochen auf 680. »Die Bilanz spricht für das Impfen«, so Redmann.

Die Abgeordnete Carla Kniestedt erklärte für die Grünen, möglicherweise würden alle irgendwann einmal eine Corona-Infektion bekommen, doch müsse darauf geachtet werden, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Der AfD-Abgeordnete Dennis Hohloch warf Kniestedt daraufhin eine Neigung zur Agitation vor, was bei ihrem Journalistikstudium in der DDR und ihrer früheren Tätigkeit bei der »SED-Parteizeitung Neues Deutschland« auch »kein Wunder« sei.

Er habe kein Vertrauen in die Maßnahmen der Landesregierung, versicherte Péter Vida von den Freien Wählern. »Grob fahrlässig« seien kostenlose Tests abgeschafft worden, um sie nun viel zu spät wieder einzuführen. Er verwies auf das Beispiel Schweden: Dort wie auch in Spanien sei der Herbst-Corona-Anstieg ausgeblieben, weil man vor allem ältere Menschen in hohem Maße geimpft habe.

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