- Brandenburg
- Geschichte
Gefangene aller Länder
Ausstellung informiert über die Kriegsgefangenenlager von Cottbus der Jahre 1914 bis 1924
Den Grundstock für die neue Ausstellung bildet eine Auswahl aus mehr als 1000 Fotos von den beiden Kriegsgefangenenlagern in Cottbus. Etliche dieser Fotos sind bereits seit Ende Juni in einer virtuellen Ausstellung zu sehen. In den letzten Tagen stellten die Historiker Robert Büschel und Alexander Valerius nun auch eine Schau im Stadtmuseum fertig. Dafür arrangierten sie zudem alte Zeltplanen. Nicht unter diesen Planen, aber unter ganz ähnlichen sowie in Erdlöchern mussten russische Kriegsgefangene des Ersten Weltkriegs anfangs campieren, nachdem die ersten 5000 am 4. September 1914 in der Stadt eintrafen. Nur sieben Tage später sind es bereits 10 000 - und erst nach zwei Wochen entstehen die ersten Baracken.
An diesem Freitag wird die Ausstellung über ein Kapitel der Stadtgeschichte eröffnet, das weitgehend in Vergessenheit geraten war, wie Alexander Valerius dem »nd« berichtet. Es sind aber die mehr als 1000 Fotos in den Städtischen Sammlungen erhalten. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, stammen die Aufnahmen nicht nur vom Lagerfotografen Paul Tharan. Auch einige Kriegsgefangene haben Fotos gemacht.
Deutschland war selbst überrascht, an der Ostfront gleich zu Beginn des Krieges so viele Gefangene zu machen. Von der Ankunft der ersten 5000 wird der Oberbürgermeister von Cottbus erst einen Tag vorher in Kenntnis gesetzt. Vom Bahnhof müssen sie zu einer Pferderennbahn im Norden der Stadt in Sielow laufen, wo sie behelfsmäßig untergebracht werden. »Erschöpft, ausgehungert, zerlumpt und zum Teil verletzt bieten die Neuankömmlinge ein Bild des Elends«, informiert die Ausstellung. Das Leid der Gefangenen als ein Aspekt der Schrecken des Ersten Weltkriegs wird anschaulich dokumentiert. So berichtete die SPD-Zeitung »Märkische Volksstimme« über die Ankunft der Russen: »Sie alle schienen großen Hunger zu haben. ›Acht Tage nichts gegessen‹, so kam es von den Lippen eines Gefangenen, der eine Bemerkung aus dem Publikum über ihr schlechtes Aussehen gehört hatte. Überhaupt ist man mit Spott und Schmähreden gegen die Gefangenen nicht sparsam. Anzuerkennen ist aber auch, dass gefühllosen Leuten, die von ›Bande totschießen‹, ›vergiften‹ usw. faseln, aus dem Publikum heraus mit gehörigen Zurechtweisungen geantwortet wird. Wir hörten einige Frauen, die sich ritterlich für menschliche Behandlung der Gefangenen ins Zeug legten.«
Die Unterbringung auf der Pferderennbahn spottet jedoch jeder Beschreibung. Einem russischen Oberarzt zufolge können die Kriegsgefangenen das erste Mal erst im Januar 1915 ein Bad nehmen. Es bricht Fleckfieber aus. 500 Gefangene und ein paar Angehörige der Wachmannschaft sterben, außerdem der Arzt Stanislaus von Prowazek, der die in Deutschland fast unbekannte Krankheit zu erforschen versucht, die durch Läuse in den Kleidern übertragen wird. Auch sein Kollege Henrique da Rocha Lima steckt sich an, überlebt aber. Als er den Erreger entdeckt, nennt er ihn nach dem verstorbenen Freund Rickettsia prowazeki.
Wegen der Epidemie entsteht in Cottbus-Merzdorf ein Quarantänelager. Schließlich ist Platz für insgesamt 22 000 Kriegsgefangene. Wohlgemerkt: Cottbus zählte seinerzeit nur 45 000 Einwohner. Interniert sind dann nicht mehr allein Russen, sondern auch Engländer, Franzosen, Australier - und wegen der Kolonien auch Soldaten aus Asien und Afrika. Die Fotos der Ausstellung zeugen von Theateraufführungen in russischer, französischer und englischer Sprache. Sie zeigen auch eine von den Gefangenen gebaute Kirche, die von den verschiedenen christlichen Religionen gemeinsam genutzt wird - und einen Moslem aus Tunesien auf einem Gebetsteppich. Wer zu fliehen versuchte, wird zur Strafe an einen Pfahl gebunden.
Nach Kriegsende 1918 kehren die Männer zu ihren Familien zurück. Nur den Russen bleibt dies teils bis 1921 wegen der Revolutions- und Bürgerkriegswirren in ihrer Heimat verwehrt. Selbst danach werden die Lager nicht aufgelöst, sondern noch eine Weile genutzt, um osteuropäische Juden und andere Ausländer vor ihrer Abschiebung zu sammeln. Erst Ende 1924 ist damit Schluss.
Viel ist nicht übrig geblieben von den Lagern, ein paar Grabstätten im Wald, ungefähr dort, wo am Restloch des Braunkohletagebaus Cottbus-Nord ein neues Stadtviertel geplant ist. Das ist ein guter Anlass, sich mit der Geschichte der Lager und der Bewahrung ihres Andenkens zu befassen. Wem der Weg nach Cottbus zu weit ist, der sei auf die Online-Version der Ausstellung verwiesen.
Ausstellung »Ankunft auf Zeit«, Stadtmuseum Cottbus, Bahnhofstraße 22, bis 13. März, Di bis Fr 10 bis 17 Uhr, Sa und So 13 bis 17 Uhr, Eintritt 4 €, ermäßigt 2 €. Online: ausstellungen.deutsche- digitale-bibliothek.de/lager-cottbus
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.