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Ein linker Grüner kandidiert als Landrat
Clemens Rostock verspricht in Oberhavel mehr Busse und eine andere Kultur in der Kreisverwaltung
Durch den Wald bei Briese (Oberhavel) soll eine fünf Meter breite Schneise geschlagen werden. 64 Bäume müssen dafür gefällt werden. Ein Radweg soll entstehen - weil Fördermittel dafür vorhanden sind. Eine ältere Dame fuhr die Strecken ab und stellte fest, dass sie auf dem neuen Weg nur eine Minute schneller wäre, als wenn sie die Straße benutzt. Aber es ist wahrscheinlich zu spät. Voraussichtlich schon zwischen Dezember und Februar werden die Bäume geschlagen. »Das ist ein Schildbürgerstreich«, beklagt Torsten Werner vom Verein zum Schutz des Briesetals und der Havelwiesen.
Brandenburgs Grüne, die inzwischen rund 2600 Mitglieder zählen, werden stark durch zugezogene Westdeutsche dominiert, die auch die meisten Führungsfunktionen besetzen. Der 1984 in Eisenhüttenstadt geborene Clemens Rostock gehört zu den Ausnahmen.
Nach der Grundschule, die Rostock in seiner Geburtsstadt besuchte, ging er ans deutsch-polnische Gymnasium in Neuzelle und machte dort mit polnischen Mitschülern Abitur. Rostock verweigerte den Wehrdienst, lehnte aber auch den Zivildienst ab und ging stattdessen nach England, wo er ein Jahr freiwillig in einer Einrichtung für Behinderte arbeitete.
Er studierte Wirtschafts- und Regionalwissenschaften, war danach als Referent beim alternativen Verkehrsclub VCD tätig.
Von 2014 bis 2019 war der Politiker Landesvorsitzender der Grünen, seit 2019 ist er Landtagsabgeordneter und in seiner Fraktion Sprecher für Verkehr, Energie, Arbeit und DDR-Aufarbeitung. af
33 Menschen sind am Sonntag zu einer Wanderung mit dem Landtagsabgeordneten Clemens Rostock (Grüne) gekommen, der am kommenden Sonntag bei der Landratswahl in Oberhavel antritt. Sie nutzen die Gelegenheit, dem Kandidaten ihre Bedenken gegen dieses Verkehrsprojekt zu schildern, ihrem Unmut über das Verhalten der Unteren Naturschutzbehörde Luft zu machen. Allen diesen Menschen liegt der Klimaschutz am Herzen. Sie wollen Rad fahren, aber nicht auf diesem Radweg. Der könnte anders gelegt werden, sind sie überzeugt.
Könnte Clemens Rostock als Landrat solch einen Irrsinn künftig verhindern? Der Frau, die das wissen will, versichert der 37-Jährige: »Ja.« Im konkreten Fall seien ja auch nicht die Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörde das Problem. »Das liegt an den Direktiven von oben.« Er würde in der Kreisverwaltung die Kultur des Umgangs mit der Bevölkerung verändern, verspricht Rostock.
Einen Tag zuvor hat er seinen Parteifreunden bei einer Landesdelegiertenkonferenz in Potsdam geschildert, wo in Oberhavel seiner Meinung nach die Säge klemmt. »Schöne Natur, wundervolle Menschen«, der Landkreis ist finanziell gut ausgestattet, habe aber nachweislich das schlechteste Busangebot in ganz Brandenburg. Seit 30 Jahren werde Oberhavel von »sogenannten Sozialdemokraten« regiert. Sogenannt, weil die Beschäftigten der kommunalen Abfallwirtschaftsunion und der Oberhavel-Kliniken »weit unter Tarif bezahlt werden«. Und »Bürgerbeteiligung gibt es nur dem Namen nach«, kritisiert Rostock. So sei es ganz kompliziert gewesen, als Bürger über den Schulentwicklungsplan mitzudiskutieren. Man habe dazu zwei E-Mails schreiben, ein Dokument ausdrucken, ausfüllen, einscannen und zurücksenden müssen. Diese Zustände möchte Clemens Rostock ändern. »Haben wir eine Chance? Ja, die haben wir.« Weshalb dieser Optimismus? »Die Linke unterstützt mich offiziell und mit konkreter Mitarbeit.«
Eigentlich wollte Die Linke mit Thomas-David Lühmann einen eigenen Landratskandidaten ins Rennen schicken. Sie hatte den Verwaltungsinformatiker bereits nominiert. Doch dann verzichtete der 30-Jährige aus persönlichen Gründen. Die Frist, einen neuen Kandidaten zu benennen, war schon verstrichen. So kam es, dass Die Linke nun Clemens Rostock hilft. Auf den Plakaten ist das nicht zu lesen. Die waren vorher schon gedruckt. Aber die Genossen klingeln an Haustüren und verteilen Flyer.
Dabei stimmt Die Linke nicht in jeder Frage hundertprozentig mit Rostock überein. Den Nato-Angriff auf Jugoslawien 1999 verurteilte er beispielsweise nicht ganz so konsequent. Er schwankte da zwischen der Ablehnung des Nato-Angriffs und der Verantwortung, Menschen zu beschützen. Das Schwanken, stellt Rostock klar, habe bei ihm aber dazu geführt, zu sagen: »Im Zweifel gegen die Bundeswehr.«
Davon abgesehen macht ein Landrat keine Außenpolitik. Darum steht für Thomas-David Lühmann von der Linkspartei fest: Nachdem er nun nicht selbst auf den Wahlzetteln steht, wird er am 28. November Clemens Rostock ankreuzen. »Ich befürworte immer Bündnisse mit den Grünen. Da sage ich zuerst Ja«, erzählt Lühmann am Rande der Wanderung im Briesetal, bei der er mitläuft. Mit den Grünen funktionieren Absprachen seiner Erfahrung nach besser, »obwohl uns die SPD programmatisch näherstehen mag«. Doch der langjährige Landrat Karl-Heinz Schröter war ein ausgesprochen rechter Sozialdemokrat. Unter seinem Nachfolger Ludger Weskamp, der nun zum Ostdeutschen Sparkassenverband wechselt, habe das Jobcenter seine Ermessensspielräume auch nicht zugunsten der Arbeitslosen genutzt, bedauert Lühmann. Von SPD-Landratskandidat Alexander Tönnies verspricht er sich in dieser Hinsicht wenig. Doch bei Clemens Rostock hegt Lühmann die Hoffnung, dass sich im Jobcenter und auch insgesamt im Landkreis etwas ändert.
Wo der Kandidat der Grünen zu verorten ist, beschreibt Rostock auf Nachfrage selbst: »Es gibt im Landesverband Brandenburg keine institutionalisierten Flügel der Partei. Aber bei den Grünen gelte ich als Linker.«
Vier Männer treten bei der Landratswahl an. Neben Alexander Tönnies (SPD) und Clemens Rostock (Grüne) sind das Sebastian Busse (CDU) und Vasco Piehl (AfD). Im Kreistag haben Grüne und Linke je sieben Mandate. Niemand hat dort mehr Sitze als diese zwei Parteien zusammen. Dass eine Landratswahl ihre eigenen Gesetze hat, zeigte sich kürzlich in Teltow-Fläming. Dort siegte Landrätin Kornelia Wehlan (Linke) zeitgleich mit der Bundestagswahl und gegen den Trend ihrer Partei. Was den Sympathiefaktor von Clemens Rostock betrifft, sagt Torsten Werner vom Briesetalverein am Sonntag: »Ein paar Stimmen hast du hier.« Die Teilnehmer der Wanderung quittieren das mit aufmunterndem Lachen.
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