- Berlin
- Deutsche Wohnen & Co enteignen
Vergesellschaftung ist Koalitionsbrandherd
Rot-Grün-Rot kann Konflikt um Umsetzung des siegreichen Volksentscheids in Verhandlungen nur formal befrieden
»Das Kapitel war die größte Herausforderung«, sagt SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey gleich zu Beginn der Pressekonferenz am Dienstagmorgen im Kurt-Schumacher-Haus, der Berliner SPD-Landeszentrale. Es geht um die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und Linken zu den Kapiteln Stadtentwicklung und Wohnen.
Größter Knackpunkt bei dem konfliktreichen Thema war der Umgang mit dem siegreichen Volksentscheid der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen. Erst gegen Mitternacht in der Nacht zu Dienstag kam es zu einem Kompromiss, der nur wenig über die Vereinbarung im Sondierungspapier vom Oktober hinausgeht. Weiterhin soll eine einzusetzende Expertenkommission innerhalb eines Jahres »Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens« prüfen und eine Empfehlung für den Senat erarbeiten, »der dann eine Entscheidung trifft«, wie es in der Vereinbarung heißt.
- In der Wohnungs- und Baupolitik wird es im Kern eine Fortführung der bisherigen Koalitionspolitik geben.
- SPD, Grüne und Linke haben ein Wohnungsbaupotenzial von derzeit rund 212 000 Wohnungen identifiziert. Rund 30 000 davon sollen durch Aufstockung, Nachverdichtung oder Umnutzung von Bestandsflächen entstehen. Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch spricht von einem »klaren Bekenntnis zum urbanen Bauen«. Die bisherige Traufhöhe von 22 Metern sei nicht heilig. »Ganz Berlin muss um eine Etage in die Höhe wachsen«, so Jarasch weiter. Die neuen Möglichkeiten des Baurechts sollen genutzt werden, um stärker als bisher Einfluss zu nehmen.
- Auch neue Flächen sollen erschlossen werden. Das Tempelhofer Feld soll in dieser Legislaturperiode aber nicht dazu gehören. Geprüft werden soll allerdings das Potenzial der Elisabethaue in Pankow, deren Bebauung in der letzten Legislaturperiode noch per Koalitionsvertrag ausgeschlossen wurde. Außerdem wird der Zentrale Festplatz in Reinickendorf genannt, dazu Späthsfelde in Treptow-Köpenick. Letzteres würde entweder Kleingärten treffen oder das Areal der Späth’schen Baumschulen, die restlichen Flächen sind mit Einfamilienhäusern bebaut. »Dabei sollen Klimaresilienz, die Planung und der Erhalt soziokultureller Infrastruktur, grüner Freiflächen sowie innovative Konzepte der Schwammstadt, der 15-Minuten-Stadt, sowie der Smart City Berücksichtigung finden«, heißt es in der Koalitionsvereinbarung.
- Beim sozialen Wohnungsbau sollen Private mehr in die Pflicht genommen werden. Es soll geprüft werden, ob der Anteil geförderten Wohnraums nach Münchner Vorbild auf bis zu 60 Prozent steigen kann, wenn ein Bebauungsplan aufgestellt werden muss. Auf Druck der SPD sollen die Privaten zur Refinanzierung bei neuen Projekten auch einen Anteil als Eigentumswohnungen errichten dürfen.
- Die soziale Ausrichtung der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften soll beibehalten werden, ihr Auftrag bleibt die Versorgung unterer und mittlerer Einkommensschichten. Ein Privatisierungsverbot soll in die Verfassung. Für die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit braucht es allerdings auch Teile der Opposition.
- Im alten sozialen Wohnungsbau sollen die Eigentümer keine fiktiven Kosten mehr anrechnen können, damit bei Auslaufen der Bindung keine Wuchermieten mehr möglich sind. nic
Ebenfalls aus dem Sondierungspapier stammt die Passage, dass die Kommission »unter Beteiligung der Initiative des Volksbegehrens« gebildet werden soll. Welchen Anteil sie daran haben wird, ist noch nicht geregelt. »Der Senat wird eine Beschlussvorlage erarbeiten und dann die Zusammensetzung der Kommission festlegen«, sagt Franziska Giffey dazu bei der Pressekonferenz. 100 Tage soll der Senat laut Koalitionsvereinbarung nach seiner Konstituierung Zeit dafür haben.
In einem ersten Schritt soll die Kommission demnach die Verfassungskonformität einer Vergesellschaftung untersuchen. »Dabei sollen auch mögliche rechtssichere Wege einer Vergesellschaftung benannt und rechtlich bewertet werden«, heißt es in der Vereinbarung. In einem zweiten Schritt würden für diese Wege wohnungswirtschaftliche, gesellschaftsrechtliche und finanzpolitische Aspekte berücksichtigt und entsprechende Empfehlungen an den Senat erarbeitet.
Linke-Spitzenkandidat Klaus Lederer reagiert angefasst auf die Frage, ob mit diesem Ergebnis die Erwartungen der Parteimitglieder erfüllt würden. Er finde es »interessant, dass Journalisten wissen wollen, was an unserer Basis erwartet wird«, sagt er. »Ich kommuniziere ja mit unserer Basis.« Die Linke habe von Anfang an gesagt: »Uns ist wichtig, dass dieser Weg konsequent gegangen wird, dass der Volksentscheid ernst genommen wird.« Es sei »zentral wichtig«, dass eine Kommission die »nicht ganz einfachen rechtlichen und sonstigen Fragen klärt und aufbereitet« und eine Empfehlung vorlege.
Die Reaktion der Vergesellschaftungsinitiative fällt gallig aus. »100 Tage, bis die Kommission überhaupt eingesetzt wird. Und ein Jahr lang, in dem sie nur prüft – diese durchschaubare Verzögerungstaktik können wir Mieter*innen nicht hinnehmen«, erklärt Moheb Shafaqyar. Er ist einer der Sprecher und für Die Linke stellvertretender Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. »Vergesellschaftung ist das einzig wirksame Instrument gegen den Mietenwahnsinn, besonders jetzt, nachdem das Vorkaufsrecht und der Mietendeckel gekippt wurden«, so Shafaqyar weiter. Es sei nicht hinnehmbar, dass die SPD versuche, die Umsetzung des Volksentscheids zu blockieren. »Wir brauchen eine Kommission, die ein Vergesellschaftungsgesetz auf den Tisch legt, und zwar schnell«, fordert er.
Auch der Berliner Mieterverein nennt die Regelung »ein Armutszeugnis«. »Die heute bekannt gewordene Einigung aus den Koalitionsverhandlungen zum Volksentscheid kann nicht zufriedenstellen«, sagt dessen Geschäftsführer Reiner Wild. »Es ist eine unnötige zeitliche Verschleppung vorgesehen, die am Ende die Koalition selbst belasten wird«, prophezeit er. Bei Ausschöpfung des Zeitrahmens könnte es eine Empfehlung erst im Frühjahr 2023 geben, die Eckpunkte des Gesetzes würden dann erst zwei Jahre nach Regierungsantritt stehen, moniert Wild. Eine Lösung im Umgang mit dem Entscheid könne nur politisch erfolgen. Darum drücke sich die Koalition.
CDU-Chef Kai Wegner nennt das vereinbarte Vorgehen »einen faulen Kompromiss« von Rot-Grün-Rot. Zulasten Berlins werde der »weiterhin vorhandene Konflikt um Zwangsenteignungen in die Zukunft verschoben«. Das sei »Machterhalt um jeden Preis statt Klartext«. Seiner Meinung nach schade das »Damoklesschwert« der Vergesellschaftung der Wohnungs- und Bauwirtschaft und verhindere neue Arbeitsplätze.
»Das war einer der schwersten Punkte der Koalitionsverhandlungen, weil die Parteien mit unterschiedlichen Positionen reingegangen sind«, verteidigt Klaus Lederer von der Linken das Ergebnis. Erst in kleinster Runde mit je zwei Vertretern der drei Parteien ist es nach nd-Information Montagnacht im Moa-Hotel zu dieser Einigung gekommen. Die Presse war am Montag zunächst für 18 Uhr zu einem Statement eingeladen worden.
Den Sozialisten gehe es darum, dass der Auftrag des Volksbegehrens seriös abgearbeitet wird, so der Kultursenator. »Ich glaube, dass es dafür Rückendeckung von unserer Partei gibt«, sagt Lederer. »Wir wollen die Vergesellschaftung und halten sie für richtig«, unterstreicht er.
»Umsetzungsvoraussetzungen und Umsetzungsfolgenabschätzungen« spielten eine Rolle bei dem Vorgehen, erklärt die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey. Das seien alles Dinge, die der Senat politisch zu gewichten und zu bewerten habe. »Es darf unter keinen Umständen passieren, dass Berlin noch mal in eine Situation kommt, dass wir mit einem wie auch immer gearteten politischen Weg vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern«, sagt Giffey. In dieser Gemengelage hätten sich die drei Parteien dazu entschlossen, den Weg der Expertenkommission zu gehen.
Die Sichtweise der FDP wirkt eher exotisch. »Die Grünen setzten sich klar bei der Enteignung von Wohnungsunternehmen durch, die nun im Eiltempo umgesetzt wird«, erklärt Sebastian Czaja, FDP-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus. Die Expertenkommission werde sich »zum Spielplatz der radikalen Enteignungsfanatiker entwickeln«. Recht bekommen könnte Czaja immerhin mit seiner folgenden Aussage: »Der Koalitionsbruch in einem Jahr ist so bereits angelegt.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.