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- Serienkiller "Furia"
Terror überall
In der deutsch-norwegischen Thriller-Serie »Furia« will sich ein europaweit agierendes rechtes Terrornetzwerk die Welt untertan machen
The Big Bang, er wird kommen. Los Angeles, Istanbul, Tokio, Neapel, selbst die beschauliche Vulkaneifel – überall kocht und faucht es so lange schon unter der Oberfläche dichtbesiedelter Metropolregionen, dass sich die Spannung jederzeit katastrophal entladen kann, schlimmer noch: entladen wird. Und was für die Plattentektonik gilt, gilt für die politische kaum weniger.
Wenn man der norwegisch-deutschen Thriller-Serie »Furia« glaubt, steht das Superbeben kurz bevor: Ein rechter Anschlag, getarnt als islamistischer Terrorakt, mitten in Deutschland – nicht erst seit Halle, Hanau, Kassel ein europäischer Hotspot extremistischer Gewalt. Zehn Jahre nach dem Massaker des norwegischen Neonazis Anders Breivik auf Utøya hat sein Landsmann Gjermund Stenberg Eriksen die Geschichte eines verheerenden Attentats ersonnen, das ein grenzübergreifendes Netzwerk islamfeindlicher Nationalisten im Idyll skandinavischer Fjorde plant.
Wo die Heimat des Headautors so geheimnisvoll schön ist, dass man eher mit einer Herde Einhörner als rechter Revolutionäre rechnet, erleben wir acht – im Original mit Untertiteln – Teile lang, wie der Kontinent mitsamt der EU erschüttert werden soll.
Als der Polizist Asgeir (Pål Sverre Hagen) mit neuer Identität ins verschlafene Vestvik zwischen Oslo und Bergen versetzt wird, ahnt er daher noch nicht, dass seine Flucht vor russischen Mafiosi verglichen mit dem, was kommt, ein Ponyhofurlaub war.
Der alleinerziehende Vater richtet sich mit seiner kleinen (und schwarzen) Tochter Michelle gerade häuslich ein, da beschmieren Einwohner das örtliche Asylbewerberheim mit rassistischen Parolen, woraufhin der Sohn eines Lokalunternehmers angeblich von Flüchtlingen getötet wird. Bei den Ermittlungen stößt Asgeir sodann nicht nur auf die Terrorzelle und erschießt eines ihrer Mitglieder; unter den Verschwörern trifft er auch die eingeschleuste Undercoveragentin Ragna (Ine Marie Wilmann).
Was der erfahrene »Tatort«- und Schirach-Regisseur Lars Kraume (»Terror«) mit dem Norweger Magnus Martens (»Fear the Walking Dead«) von hier an volle sechs Stunden lang auf Eskalation bürstet, ist mit Erdbeben daher noch recht milde umschrieben. Während Ulrich Noethen als ostdeutscher Drahtzieher des Anschlags mit KSK-Erfahrung seine Geheimtruppen sammelt, bläst Nina Kunzendorf als Sicherheitsbeauftragte im Bundesinnenministerium zum Gegenangriff.
Vor allem auf deutscher Seite ist die Serie mit Schauspielern wie August Diehl über Benjamin Sadler bis Uwe Preuß wie üblich stargespickt. Der Mehrteiler glänzt dabei in einer internationalen Koproduktion am oberen Rand der Hochglanzskala. Alles sehr schön ausgeleuchtet, alles sehr wertig ausgestattet, alles sehr komplex ausgedacht also. Aber alles auch im Rahmen des Realistischen, wie eingestreute Originalaufnahmen echter Terroranschläge und der Link nach Utøya andeuten? Schwer zu sagen. Weil vermutlich nur wenige jemanden kennen, der jemanden kennt, die Teil derart anarchistischer Gewaltfantasien wie das Sprengen einer stinknormalen Schule sind, genießen die fiktional Verantwortlichen hier größtmögliche Freiheit in der Figurenzeichnung.
Christian Berkel als Innenminister ist im populistisch aufgeladenen Bundestagswahlkampf jedenfalls ebenso glaubhaft wie die gewohnt wunderbare Nina Kunzendorf als dessen Regulativ.
Authentisch wirkt auch Norwegens Querdenkerszene, der man die kriminelle Energie zum Glück ein bisschen weniger ansieht als südlich der Nordsee. Zugleich aber übertreiben es Kraume und Martens vielfach mit der düsteren Atmosphäre. Weil darin das Böse lauert, tauchen sie die hinreißende Fjordlandschaft ständig in graues Nebelwetter. Weil die Handlung konsequent aufs denkbar schlimmste Verbrechen zusteuert, legen sie zudem noch ein bedrohliches Dauergrummeln über den Spannungsbogen.
Und Bundespressekonferenzen, in denen investigative Reporter ihr gesammeltes Recherchewissen öffentlich in konfrontative Verhörfragen packen, kann sich auch nur jemand ausdenken, der noch nie in einer Bundespressekonferenz war. Trotzdem reicht die Mischung aus Wahrheit und Fiktion für ein fesselndes Fernseherlebnis, dem man ein wenig Pathos locker nachsieht.
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