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- Linke in der Krise
Ein Blick auf die Lebensrealität
Die Linke braucht gemeinsamen Streit statt beliebiges Nebeneinander
Laut der Hilfsorganisation Oxfam schädigt das reichste Prozent der Menschheit das Klima doppelt so stark wie die ärmere Hälfte der Welt. Anders als in Deutschland ist dieser Zusammenhang bei der ärmeren Hälfte der Bevölkerung in Lateinamerika oder Ozeanien sehr präsent. Den linken Bewegungen ist es bisher nicht gelungen, ein Bewusstsein über diese Klimaungerechtigkeit im Mainstream zu verankern. Es ist die Mammut-Herausforderung für Die Linke, deutlich zu machen, dass der Klimawandel vor allem durch den Konsum der oberen Klassen vorangetrieben und auch nur durch deren Beschränkung wirksam bekämpft werden kann.
Sabine Skubsch, Jahrgang 1957, ist Mitglied im Linke-Parteivorstand sowie Gewerkschafterin und Betriebsrätin bei einem sozialen Träger. Sie lebt in Karlsruhe.
Die Grünen erkannten zwar früh die Verletzlichkeit der Umwelt. Durch ihre Fokussierung auf die Gegenüberstellung von Mensch und Natur blieben sie aber blind für die soziale Frage. Da sie die Herabsetzung der Menschen am unteren Ende der Reichtumsskala immer ausgeblendet haben, ruft ihre Politik die Wut derjenigen hervor, denen Verzicht gepredigt wird, ohne gleichzeitig ein gutes Leben jenseits der Mittelklassen zu fordern. Die Botschaft vom privaten Konsumverzicht treibt die einkommensschwachen Schichten geradezu in ständige Opposition gegen Klimaschutzmaßnahmen, deren Lasten vor allem sie tragen sollen. Die Linke muss den Kampf um Klimagerechtigkeit von dem oberlehrerhaften, moralisierenden Dünkel, den ihm die Grünen aufgedrückt haben, befreien. Wenn uns das nicht gelingt, wird es auch keine Mehrheiten für einen Klimaschutz geben.
Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels müssen sozial sein. Soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit sind unteilbar miteinander verbunden. Natürlich muss es Verbote geben, um beim Klimawandel umzusteuern. Diese dürfen sich aber - zumindest nicht in erster Linie - gegen Lebensgewohnheiten richten, sondern die Unternehmen und Konzerne regulieren, die die Natur als Spülbecken benutzen, unnötige Verpackung produzieren, von ihren Arbeitskräften grenzenlose Mobilität fordern usw.
Wir müssen Arbeit als Quelle gesellschaftlichen Reichtums und Lebensrealität der meisten Menschen viel mehr in den Vordergrund stellen: gerechte Bezahlung, Regulierung des Arbeitsmarktes für die Niedrig- und Mittelverdienenden, gerechte Verteilung von Arbeit und Zeit. Die Kampagne zu Gesundheit und Pflege brachte der Linken bei den Beschäftigen im Pflegebereich viel Anerkennung. Ähnlich müssen wir in uns in anderen Branchen engagieren: Erwerbstätige empowern und Produzentinnenstolz fördern. Beispielsweise gibt es im Einzelhandel viele Linke-nahe Betriebsräte, denen Die Linke eine Bühne bieten kann. Die Coronakrise hat gezeigt, welche Berufe »systemrelevant« sind. An diesem Selbstbewusstsein müssen wir anknüpfen.
Auch bei der Ansprache der Werktätigen nutzt rückwärtsgewandtes Wunschdenken nichts. Anders als andere Branchen profitierte die Autoindustrie von der Politik der Großen Koalition. Man denke nur an die Abwrackprämie. Verständlich, dass viele ihr Kreuz bei CDU oder SPD machen. Statt den Begriff »Arbeiter« in der parteiinternen Auseinandersetzung wie eine Fahne vor sich herzutragen, sollte genau hingeguckt werden, welche Erwerbstätigen vom gesellschaftlichen Reichtum mehr und mehr abgeschnitten werden. Unser Potenzial liegt insbesondere bei den Beschäftigten in der Pflege, Logistik, Sozialem, Bildung und Reinigung. Dort liegen die Einkommen zwischen Mindestlohn bis allenfalls 3000/4000 Euro, also meist unter dem Durchschnittseinkommen.
Aber nicht nur die Erwerbsarbeit gehört in den Fokus einer linken Partei, sondern jede gesellschaftliche Arbeit. Es ist die Lebensrealität vieler Menschen - insbesondere von Frauen -, zwischen Erwerbstätigkeit und der Erziehung von Kindern sowie der Pflege von Angehörigen ständig hin- und her zu hetzen. Das Konzept »Vereinbarkeit von Beruf und Familie« geht - so wie es praktiziert wird - vor allem zu Lasten der Frauen. Dem muss Die Linke die Forderung nach gerechter Verteilung von Arbeit und Zeit - unter anderem Verkürzung der Arbeitszeit und Ausbau der öffentlichen Infrastruktur - entgegenstellen.
Ich schlage öffentliche Ratschläge zu Arbeit und Klimagerechtigkeit sowie anderen wichtigen Themen vor. Diese Ratschläge sollten über den Tellerrand hinaus konzipiert werden, das heißt, NGOs, soziale Bewegungen und Expertinnen sollten beteiligt werden. Ziel muss sein, sich den Fragen aus der Gesellschaft zu stellen und einen Strategierahmen zu entwickeln. Neben dem Inhaltlichen muss dies auch ein Ort des Lernen von solidarischer politischer Auseinandersetzung sein. Es macht nämlich nur dann Sinn, wenn dort alle miteinander streiten: Klimaaktivist*innen genauso wie diejenigen, die die Alltagssorgen der »kleinen Leute« anmahnen. Es ist nichts gewonnen, wenn die einen einen Klimaratschlag bekommen und die anderen dafür ein Industrieforum. Klientengerechte Ansprache ist das Dümmste, was wir machen können - das führt bestenfalls zu einem beliebigen Nebeneinander, aber vermutlich verschärft es die toxische Polarisierung.
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