- Berlin
- Gewalt in Beziehungen mit Kindern
Unmögliche Trennung
Mütter, die nicht nur als Opfer erscheinen wollen, stoßen bei Jugendämtern und Gerichten auf Barrieren
»Es ist ein Nischenthema, dabei sind so viele Frauen betroffen«, erklärt Anuscheh Amir-Khalili beim Gang im Novemberregen über den ehemaligen Jacobi-Friedhof an der Neuköllner Hermannstraße in Berlin. Die 43-Jährige leitet zusammen mit Katja Musafiri das Flamingo Netzwerk für geflüchtete Frauen und Kinder und ist gemeinsam mit dieser Mitinitiatorin des Projekts »Growth - Mütter gegen Gewalt«. Dieses zeigt am Donnerstag, zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, unter dem Titel »Trennung Impossible« eine dokumentarische Theaterperformance, die sich explizit mit der Gewalt gegen Mütter befasst. »Wir wollen Geschichten von Frauen sichtbar und hörbar machen, die sich vom Partner trennen, aber wegen gemeinsamer Kinder nicht aus Verstrickungen rauskommen - auch wenn Gewalt im Spiel ist«, sagt Amir-Khalili. Angelehnt an das Stück »Asyl-Monologe« wird in einer szenischen Lesung in der Kapelle, die direkt neben dem alten Friedhofseingang liegt, ein Thema auf die Bühne gebracht, das vor allem eins zum Ziel hat: die Brisanz der Thematik klarzumachen.
Sich aus gewalttätigen Partnerschaften zu befreien, ist für Mütter in der Regel schwieriger, weil die gemeinsamen Kinder involviert sind. Für geflüchtete Frauen umso mehr, da sie befürchten müssen, ihren Aufenthaltsstatus zu verlieren, erklärt Amir-Khalili.
Väter haben grundsätzlich ein Recht auf Umgang mit ihren Kindern. Es gibt jedoch mehr als genug Fälle, in denen gewaltvolle Männer dieses Recht ausnutzen, um weiterhin Kontrolle über ihre Ex-Partnerinnen auszuüben, sagt Katja Musafiri. Auch wenn sich das Problem durch alle gesellschaftlichen Schichten ziehe: »Kommt noch Perspektivlosigkeit hinzu, etwa durch Arbeitslosigkeit oder mentale Probleme, gibt es Männer, die ihren kompletten Lebensinhalt damit füllen, der Mutter ihrer Kinder über diese untrennbare Elternverbindung, das Leben schwer zu machen. Um eine konstruktive Einigung geht es in solchen Fällen dann selten.« Ihnen sei mit dem erleichterten Zugang zum geteilten Sorgerecht ein Instrument an die Hand gegeben, Druck auszuüben und die Ex-Partnerin in einem »Hamsterrad« aus Gerichtsterminen und Vorladungen beim Jugendamt zu halten. Viele betroffene Frauen geben in diesem »Hamsterrad« auf - wegen des emotionalen und psychischen Drucks, weil ihnen Kraft und Zeit fehlen. Die Projektleiterinnen von »Growth« erleben es im Rahmen ihrer Arbeit auch, wie viele Frauen versuchen, sich berufliche Unabhängigkeit zu verschaffen und dann zusammen mit der Sorgearbeit in eine regelrechte Mühle geraten.
»Wir haben etwa die Geschichte einer Betroffenen, deren Erziehungsfähigkeit aufgrund von Falschaussagen des Vaters infrage gestellt wurde. Sie musste jahrelang dagegen vorgehen, um den Kontakt zu ihrem eigenen Kind erweitern zu können. Mehrere Tausend Euro kosteten sie die Verfahren, in die sie der Ex-Partner gezwungen hatte.« Er wiederum musste wegen seiner sozialen Situation keinen Cent zahlen, die Kosten habe der Staat übernommen, so Musafiri.
Behörden wie Jugendämter und Familiengerichte seien zu wenig geschult, um diese Abhängigkeiten zu erkennen; der Kontext von Gewalt werde häufig ausgeblendet. Hilfe gebe es oft erst, wenn die Situation bereits eskaliert sei. »Viele Gerichte nehmen das, was man unter Trennungsgewalt versteht, nicht zur Kenntnis«, erklärt Amir-Khalili. Eine besonders problematische Rolle spiele dabei häufig das Jugendamt. Denn wenn gewaltvolle Beziehungen und der Wunsch nach Änderungen im Umgangsrecht vor Gericht landen, machen viele Frauen die Erfahrung, dass die Behörde sie nicht unterstützt, sondern sie selbst in den Fokus geraten.
»Eine Frau, die unter der Gewalt ihres Ex-Partners leidet, aber dennoch selbstbewusst auftritt, entspricht nicht dem typischen Opferverständnis der Behörden. Im Katalog des Hilfesystems ist Unterstützung für solche Fälle nicht vorgesehen«, sagt auch Katja Musafiri. Man mache immer wieder die Erfahrung, dass Frauen geraten wird, sich mit gewaltvollen Situationen zu arrangieren, statt ganz klar auf ihren Schutz und den der Kinder hinzuarbeiten. »Ein perfides System«, ergänzt Anuscheh Amir-Khalili. Wenn der Fall nicht ausschließlich ins Raster häuslicher Gewalt passt, gilt er als Fall der sogenannten höchst strittigen Elternebene: Zwei Elternteile streiten sich um das Sorgerecht. Damit falle der Gewalt- und Machtaspekt wieder heraus. Die Institutionen sorgten mit dafür, dass gewaltvolle Strukturen fortbestehen.
»Viele erleben diesen Prozess allein als Lose-lose-Situation«, sagt Amir-Khalili (als Gegenteil von »Win-Win-Situation«, was allgemein als ein für alle Beteiligten gutes Ergebnis gilt). Aus Angst vor weiterer Gewalt, aber auch aus Sorge um das Wohl der Kinder, sprechen Frauen dann nicht mehr über ihre Erfahrungen.
»Ich hatte große Unruhe und Sorge, ob ich dem Thema gerecht werden kann«, sagt Heinrich Horwitz. Horwitz hat die Szenische Lesung choreografiert und erklärt, warum Schauspieler*innen die Geschichten der Frauen auf die Bühne bringen: »Wir sind die Personen, die die Möglichkeit haben zu sprechen, es ist unsere Profession.« Man habe die Geschichten der Frauen »geschenkt und zugetragen bekommen«. In nur fünf Tagen entsteht das Stück in der Kapelle des Jacobi-Friedhofs. »Ich war selbst erschrocken, wie wenig ich weiß. Mir war vieles nicht klar, zum Beispiel über die Rechtsgrundlage, die so wie unsere Welt patriarchal ist, vor allem wenn Kinder im Spiel sind - es ist sehr hart und verzweifelt«, meint Horwitz. Es sei zu wünschen, dass Projekte wie »Trennung Impossible« dazu beitragen, das Thema stärker politisch sichtbar zu machen. »Man kann sehr klar erkennen, dass es hier nicht nur um Fragen der Gleichberechtigung geht, sondern zunächst um Anerkennung und um Opferschutz.«
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