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KZ-Wachmann Nummer 116/41/9

Verteidiger kündigt im Prozess wegen Beihilfe zum Mord eine Erklärung des 101 Jahre alten Angeklagten an

  • Andreas Fritsche, Brandenburg/Havel
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn er sagt, er war da, wäre ich der Letzte, der das verhindern würde«, versichert Verteidiger Stefan Waterkamp am Freitag im Prozess. Sein Mandant, der 101 Jahre alte Josef S., ist angeklagt, als Wachmann im Konzentrationslager Sachsenhausen Beihilfe zum Mord in mindestens 3518 Fällen geleistet zu haben.

Dem Vorsitzenden Richter ist zu Ohren gekommen, dass der hochbetagte Angeklagte, der oft schwer zu verstehen ist, sinngemäß gesagt haben soll: »Was sollte ich machen? Die haben mich ja durch verschiedene Kompanien gezogen.« Könnte das ein Bekenntnis sein? »Ich glaube, es wäre eine Erlösung, wenn er das einmal hier sagen würde«, versucht der Richter zu ermuntern.

Etwas ärgerlich lenkt Verteidiger Waterkamp ein und fragt selbst: »Herr S., waren sie im KZ Sachsenhausen Wachmann?« Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: »Nein!« Dazu würde das Gericht dann aber brennend interessieren, was er sonst gemacht habe von 1941 bis 1945. Anfangs hatte er behauptet, 1941 noch in Litauen gewesen zu sein, musste aber schon eingestehen, sich doch in Deutschland aufgehalten zu haben. Aber wo denn, wenn nicht in Sachsenhausen und was hat er da gemacht? Anwalt Waterkamp vertröstet auf den Donnerstag kommender Woche. Dann will er für seinen Mandanten eine Erklärung dazu abgeben.

Fest steht: Es gab einen SS-Rottenführer Josef S. in der Wachmannschaft des Lagers, geboren am 16. November 1920, genauso wie der Angeklagte. Alles passt auf ihn: die Größe, die schlanke Statur, die Herkunft aus Litauen. Der Historiker Stefan Hördler, der die Dokumente durchforstete und dem Gericht über etliche Verhandlungstage hinweg als Sachverständiger Bericht erstattet, zeigt am Freitag eine SS-Truppenstammrolle für Sachsenhausen vom 30. Januar 1943. Darin verzeichnet ist mit der Chiffre 116/41/9 ein Josef S., wobei 116 die laufende Nummer auf der Liste ist, 41 für 1941 als Jahr des Diensteintritts steht und 9 für die 9. Kompanie im SS-Totenkopfsturmbann. So erklärt es Hördler. Die Liste hängt zusammen mit einer damals erfolgten Reorganisation des Totenkopfsturmbanns, der in Totenkopfwachbataillon umbenannt wurde. Dabei verschmolz die bisherige 9. Kompanie mit Teilen der 8. Kompanie zur neuen 4. Kompanie.

Die Zuordnung könnte wichtig sein, weil den einzelnen Kompanien die Beteiligung an bestimmten Verbrechen nachgewiesen werden kann, etwa die Erschießung sowjetischer Kriegsgefangener oder niederländischer Häftlinge.

Allerdings irritiert, dass in der einen Truppenliste von 1943 als Geburtsdatum von Josef S. der 16.1.1920 und nicht der 16.11.1920 vermerkt ist. Aber das hält Hördler für einen Tippfehler auf der Schreibmaschine. Die zweite Eins sei einfach vergessen worden. In anderen Dokumenten ist Josef S. mit dem korrekten Geburtsdatum erfasst. An eine Verwechslung glaubt Hördler nicht, auch wenn der Name Josef S. seinerzeit nicht selten war. Unter den SS-Männern in allen 13 Wachkompanien - Anfang 1943 waren es 1423 Mann - gab es keinen anderen Josef S., erklärt der Historiker. Nebenklägeranwalt Thomas Walther vergewissert sich extra: »Ich schließe aus ihren längeren Ausführungen: Er ist, wer er ist.« Hördler bestätigt das.

Walther beantragt am Freitag, die Tochter des Angeklagten als Zeugin zu laden. Der Vater soll ihr über die dunkle Zeit nichts erzählt haben. Vielleicht doch. Vielleicht verweigert sie auch die Aussage. Aber sie soll ihrem Vater unter die Augen treten, was vielleicht eine Reaktion provoziert.

»Das ist alles nicht wahr. Ich weiß überhaupt nicht, warum der Sachverständige das erzählt«, beschwert sich der Angeklagte wieder einmal. »Nicht ein Wort Deutsch damals gesprochen ich habe«, beteuert er mit den grammatischen Ungenauigkeiten, die entstehen können, wenn jemand als sogenannter Volksdeutscher mit einer anderen Sprache aufgewachsen ist. Litauisch war es im Falle des Angeklagten. Bereits früher hatte Josef S. sich auf mangelnde Sprachkenntnisse berufen und gesagt, er hätte die Befehle von Vorgesetzten damals doch gar nicht verstehen können.

Allerdings hatte Historiker Hördler ausgeführt, dass es umfangreiche Sprachkurse gab und extra Bilderbücher, um den volksdeutschen SS-Männern den Sinn wichtiger Befehle begreiflich zu machen. Es gab Tausende dieser SS-Männer. Sie stammten vor allem aus Rumänien und Litauen und hatten sich fast immer freiwillig zur Waffen-SS gemeldet. Ausnahmen gab es nur gegen Ende des Zweiten Weltkriegs unter Ungarndeutschen, die genauso, wie es bei den sogenannten Reichsdeutschen vorkam, nun auch zum Wehrdienst in der SS verpflichtet worden sind. Das geschah, nachdem Ungarn aus dem Bündnis mit Hitlerdeutschland ausscheren wollte und von der Wehrmacht besetzt wurde. Die SS-Freiwilligen glaubten, ins Feld geschickt zu werden. Die meisten kamen tatsächlich an die Front, nicht wenige jedoch auch in die Wachmannschaften der Konzentrationslager.

Für einige dieser Männer haben sich Personalunterlagen, Dienstausweise und dergleichen erhalten. So erscheinen auf den Bildschirmen in der Turnhalle in der Max-Josef-Metzger-Straße in Brandenburg/Havel, die für den Prozess zum Gerichtssaal umfunktioniert ist, Fotos von schwarz Uniformierten, mit denen der SS-Mann Josef S. gedient hat. Was der Totenkopfsturmbann getan hat, darüber besteht kein Zweifel. »Kompromisslose Härte - das bedeutet Durchführen aller Befehle bis zum Mord«, stellt Experte Hördler klar. Nach etwa zweieinhalb Stunden wird die Verhandlung vertagt, obwohl der Angeklagte beteuert, ein wenig könnte er noch aushalten. Weiter geht es nächste Woche.

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